Am 20. März 2017 betrat Funda Yilmaz, damals 24, nervös das Buchser Gemeindehaus. Sie hatte einen Termin für ihr Einbürgerungsgespräch. Als sie eine knappe Stunde später wieder herauskam, froh, es überstanden zu haben, wusste sie noch nicht, dass sie bald zu einer Art Galionsfigur für Einbürgerungswillige werden und ihr Name in nationalen und internationalen Medien auftauchen würde. Erst recht hatte sie nicht im Entferntesten daran gedacht, einmal für den Nationalrat zu kandidieren. Und doch tut sie es nun: auf der Liste der SP MigrantInnen Aargau. Gestern wurde sie nominiert.
Der Fall Funda Yilmaz ist bekannt: Eine junge Türkin, in der Region geboren und aufgewachsen, einwandfreie Sprachkenntnisse, fehlerloser Staatskundetest, befriedigt beim Einbürgerungsgespräch die Ansprüche der zuständigen Kommission nicht: Yilmaz verfüge nicht über genügend staatsbürgerliche Kenntnisse, kenne die Region zu wenig und sei kaum integriert. Der Einwohnerrat Buchs weist ihr Einbürgerungsgesuch im Juni 2017 ab.
Erst, als der Fall durch die Medien publik wird, erst, als die ganze Schweiz das Protokoll des Einbürgerungsgesprächs lesen kann und ob den Fragen den Kopf schüttelt, erst, als der «Club» auf SRF über Funda Yilmaz diskutiert und sogar SVP-Hardliner Andreas Glarner befindet, die Einbürgerungskandidatin sei wahrscheinlich «eine so gute Schweizerin wie wir alle», besinnen sich die Buchser Behörden. Sie schauen den Fall nochmals an und bürgern Yilmaz im Herbst 2017 doch noch ein.
Seither hat sich die freundliche, aber eher schüchterne junge Frau aus der Öffentlichkeit, in die sie unvermittelt und unfreiwillig gelangt war, zurückgezogen. Nur gelegentlich wird sie noch angesprochen, zuletzt Anfang Jahr, als ihr in der Schlange vor der Migros-Kasse ein fremdes Mädchen erzählte, sie habe in der Schule einen Vortrag über den Einbürgerungsfall gehalten.
Und jetzt sitzt Funda Yilmaz, gerade 27 geworden, doch wieder vor einer Journalistin – wegen ihrer Nationalratskandidatur. Damit hätten die wenigsten gerechnet. Viel ist in den letzten anderthalb Jahren passiert in ihrem Leben. Funda Yilmaz heisst nun Funda Mignogna. Sie hat am 6.6.18 ihren Nico geheiratet, Schweizer mit italienischen und spanischen Wurzeln. Die Anfrage eines Hochglanzmagazins, das die Hochzeitsfotos drucken wollte, hatte sie abgelehnt: «Das ist doch wirklich privat und hat nichts mit der Einbürgerung zu tun.» Das Paar wohnt seit rund einem Jahr in Schöftland – und ab dem Herbst wird es zu dritt sein, Mignogna-Yilmaz erwartet ihr erstes Kind. Danach will die Bauzeichnerin weiter Teilzeit im Aarauer Ingenieurbüro arbeiten, in dem sie schon die Lehre absolviert hat – und Politikerin werden.
In einem Brief an die Buchser Einbürgerungskommission im April 2017 hatte Funda Yilmaz noch geschrieben, es stimme schon: Sie kenne sich in der Politik nicht gut aus, sie werde «wahrscheinlich auch nie politisch aktiv werden und einer Partei beitreten».
Doch die Einbürgerungsposse weckte ihr politisches Interesse. Zwar war sie in ihrer neuen Wohngemeinde Schöftland noch an keiner Gemeindeversammlung, aber sie geht an die Urne: «Klar, wenn man nach so langer Zeit und so viel Theater endlich darf.»
Noch 2017 war sie der SP beigetreten, hielt die Gründungsrede bei den SP MigrantInnen Aargau. «Als Migrantinnen können wir auch in der Politik Verantwortung übernehmen und Zeichen setzen», sagte Yilmaz damals. Und nun macht sie ernst. Leicht fällt es ihr allerdings nicht. «Als mich Florim Kadriu von den SP MigrantInnen fragte, ob ich auf deren Liste kandidieren wolle, war ich verblüfft, dass sie überhaupt auf mich gekommen waren. Anfangs wollte ich wirklich nicht, weil ich befürchtete, dass das wieder einen Medienaufruhr geben würde.»
Zuversicht gaben ihr Gespräche mit der Familie: «Mein Mann fand, es sei meine Entscheidung, er würde mich aber unterstützen. Meine Eltern waren sofort dafür – so eine riesige Chance müsse ich packen.» Nach einem Treffen mit Kantonalparteipräsidentin Gabriela Suter und einigen Tagen Bedenkzeit entschied Mignogna-Yilmaz, sich der Herausforderung zu stellen. Zurückhaltend und schüchtern sei sie eigentlich immer noch: «Doch ich habe im Laufe der ganzen Einbürgerungsgeschichte gelernt, mich zu überwinden und auf Menschen zuzugehen.»
Angst vor dem politischen Gegner hat sie jedenfalls nicht; auch nicht vor SVP-Glarner, den sie vor dem gemeinsamen Auftritt bei «Talk Täglich» bei Tele M1 noch gefürchtet hatte: «Wenn die Kamera nicht läuft, ist er nett», findet Funda Mignogna-Yilmaz heute.
Wie der Wahlkampf aussehen soll, weiss die Nationalratskandidatin noch nicht. Die Schwerpunkte stehen aber fest. «Ich bin der SP ja nicht einfach so beigetreten, sondern weil sie sich für sinnvolle Sachen einsetzt und ich das auch tun möchte.» Wichtig seien ihr ein bezahlbares Gesundheitswesen, die Gleichstellung von Migranten und eine Ausweitung ihrer politischen Teilhabe. Es sei ihr schon klar, dass sie wahrscheinlich nicht gewählt werde, sagt Mignogna-Yilmaz. «Aber das sind ja nicht die letzten Wahlen, ich kann für später Erfahrung sammeln.»
Für mich scheint es, als ob man Frau Mignogna einfach der Publicity wegen auf die Liste nimmt und sie so im Prinzip für die Interessen der Partie ausnutzt, leider...
Ich weiss auch nicht, was sich die nationalen Parteien mit der Nominierung von bekannteren Personen erhoffen. Mehr Wähler als Mittel zum Zweck? Nachhaltig kann das ja nicht sein.