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Sie sprechen am WEF über Klima und sind selber die grössten Klimasünder

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Sie sprechen am WEF über Klima und sind selbst grosse Klimasünder

19.01.2023, 05:5920.01.2023, 11:56
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Am World Economic Forum (WEF) geht es darum, Menschen auf 1560 Metern über Meer zusammenzubringen – zumindest die etwas über 2600 auserwählten Menschen, die vor Ort sind. In Davos werden sie reden, diskutieren und ermahnen.

Stets im Hinterkopf werden sie haben: das Klima. Denn das WEF hat sich dem Pariser Klimaziel von 1,5 Grad verpflichtet.

Und damit die Mächtigen dieser Welt ein Vorbild im Kampf gegen den Klimawandel sind, tischt das Forum nachhaltige Lebensmittel auf. Am Mittwoch gibt es zum Mittagessen sogar rein vegetarische Kost, da dies eine nachhaltige Ernährungsform mit «Vorteilen für die Gesundheit der Menschen und unseres Planeten» sei.

Doch die WEF-Gäste essen nicht nur möglichst CO₂-frei, sondern beeinflussten das Klima auch sonst nachhaltig, so das Forum. Unter der Rubrik «Our Impact» werden mehrere Netto-Null-Projekte beschrieben, die initiiert, unterstützt oder entwickelt wurden.

So weit die Werbebroschüre.

Doch ein genauerer Blick lässt den Glanz dieser Klimaversprechen etwas trüben.

Die Klimasünder im Jet

Der vielleicht offensichtlichste Widerspruch zu den Klimaparolen der Veranstaltung sind die Flugzeuge und Privatjets, mit denen viele WEF-Gäste anreisen.

Privatjets am Flughafen Zürich, WEF 2016.Bild: KEYSTONE

Insgesamt gebe es etwa 1000 zusätzliche Flugbewegungen, die durch das WEF entstünden, schätzt die Schweizer Flugsicherung Skyguide. Eine Studie zeigt, dass während des WEFs doppelt so viele Privatjets in der Region unterwegs sind wie in den Wochen davor und danach. Und dass alleine im Jahr 2022 die WEF-Jets so viele CO₂-Emissionen ausgestossen haben, wie es 350’000 Autos in einer Woche tun. Die Studie wurde von Greenpeace bei der unabhängigen Umweltberatungsfirma CE Delft in Auftrag gegeben.

Das WEF ermuntert seine Gäste, den CO₂-Ausstoss der Anreise zu kompensieren oder klimaneutralen Treibstoff zu kaufen.

Und so kontert Alois Zwinggi, Direktor des WEFs, jegliche Kritik in Sachen CO₂-Fussabdruck gegenüber SRF: «Das World Economic Forum misst seit Jahren den gesamten CO₂-Fussabdruck aller Beteiligten und kompensiert diesen gesamthaft durch Projekte im In- und Ausland.»

Grüne Energie: «Die grösste Herausforderung der Menschheit»

Für die Zeit ihres Aufenthaltes in der Schweiz mag das mit der CO₂-Kompensation stimmen. Doch auch das WEF hat bislang trotz aller Bemühungen keinen politischen oder wirtschaftlichen Konsens darüber geschaffen, wie in einer vernetzten Welt das Klimaproblem tatsächlich nachhaltig und global gerecht angegangen werden kann.

Hinzu kommt, dass die geopolitischen Ereignisse des letzten Jahres die Situation noch verkompliziert haben. Rivalitäten zwischen Grossmächten auf einem sich erwärmenden Planeten sind zur neuen Realität geworden. Und diese Rivalitäten verschärfen das Problem des warmen Planeten wiederum zusätzlich.

Ein Beispiel: Obwohl Ökokapitalismus von vielen Wirtschaftsführern in Davos öffentlich begrüsst wird, hat das rasche Ringen um schnell erschliessbare Energiequellen – um Öl und Gas aus Russland zu ersetzen – nicht unbedingt die erneuerbaren Energien begünstigt, die in der Regel teurer sind als fossile Energien.

Und so bezeichnet das Forum die Umstellung auf grüne Energie als «die grösste Herausforderung der Menschheit».

Auf dem Stausee Lac des Toules im Wallis werden 36 schwimmende Photovoltaik-Elemente zu einer Solarenergieanlage zusammengebaut. Diese Pilotanlage bedeckt eine Fläche von 2240 Quadratmetern und wird j ...
Erneuerbare Energie: Auf dem Stausee Lac des Toules im Wallis werden 36 schwimmende Fotovoltaik-Elemente zu einer Solarenergieanlage zusammengebaut.Bild: KEYSTONE

Greenwashing – oder: «Gas ist Teil der Lösung»

Über diese Umstellung auf grüne Energien diskutieren in Davos etliche Öl- und Gas-CEOs, was wiederum Klimaaktivisten anprangern und den happigen Vorwurf des «Greenwashing» in den Raum stellen. So zum Beispiel die ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate:

«Öl- und Gas-CEOs betreiben am Forum Greenwashing.»
Climate activist Vanessa Nakate, of Uganda, speaks on a panel with other youth at the COP27 U.N. Climate Summit, Wednesday, Nov. 9, 2022, in Sharm el-Sheikh, Egypt. (AP Photo/Nariman El-Mofty)
Klimaaktivistin Vanessa Nakate.Bild: keystone

Tatsache ist: Mit Investitionen in Öl und Gas lässt sich immer noch viel Geld verdienen. Die Öl- und Gas-CEOs am WEF verteidigen ihr Geschäft entsprechend.

Vicki Hollub
President and Chief Executive Officer, Occidental Petroleum Corporation
Vicki Hollub während der Session «Mastering New Energy Economics». Bild: Screenshot WEF 2023

In der Session «Mastering New Energy Economics» («Die neue Energiewirtschaft meistern») vom Dienstag sass Vicki Hollub, Präsidentin der Occidental Petroleum Corporation (Oxy).

Dabei gehört Oxy zu den Top 60 derjenigen Unternehmen, die laut Daten des Carbon Disclosure Project und des Climate Accountability Institute zwischen 1988 und 2015 am meisten Treibhausgase ausstiessen. Und auch heute ist der amerikanische Energie-Riese noch auf der Liste.

Als die Moderatorin der Session Hollub darauf anspricht, dass die Öl- und Gasindustrie «ein schreckliches Image» in Bezug auf Emissionen habe, antwortet die CEO:

«Es ist wichtig, dass wir verstehen, dass nicht die fossile Energiequelle per se ‹der Feind› ist, sondern unsere Emissionen. (...) Öl bringt am meisten Energie für den niedrigsten Preis.»

Und ans Publikum gewandt, fügt sie an:

«Die Öl- und Gasindustrie wird immer attackiert für ihre Emissionen. Aber die Realität ist, dass viele Produkte, die Sie alle verwenden, nur dank Öl und Gas existieren.»

Sie argumentiert darum, dass weder eine Abkehr von fossilen Ressourcen noch eine alleinige Hinwendung zu Wind- oder Solarenergien die «Antwort auf das Problem der Emissionen» sei. Ein Teil der Lösung sei vielmehr die Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund («carbon caputre») – und daran arbeite Oxy auch erfolgreich. Patricia K. Poppe, von der Pacific Gas and Electric Company, nickt bestätigend.

Lorenzo Simonelli
Chairman, President and Chief Executive Officer, Baker Hughes Energy Services LLC
Lorenzo Simonelli während der Session «Bending the Emissions Curve». Bild: Screenshot WEF 2023

In einer weiteren Session am Dienstag, «Bending the Emissions Curve» («Die Emissionskurve biegen»), sass unter anderem Lorenzo Simonelli, Vorsitzender der Baker Hughes Energy Services – eine der führenden Erdöl-Service-Gesellschaften der Welt. Er plädiert für technisches Aufrüsten von Erdgas-Anlagen:

«Um die Kurve zum 1,5-Grad-Ziel noch zu kriegen, muss die Gas- und Ölindustrie die Technologie anwenden, die bereits zur Verfügung steht.»
Ventile an der Gazprom-Pipeline.Bild: keystone

Im Anschluss nennt Simonelli als Beispiel Ventile, die nicht lecken, oder Upgrades in Kompressoren oder Turbinen. Mit solch simplen Anschaffungen könnten bis zu 40 Prozent der Pariser Klimaziele erreicht werden, so der Gas-CEO. Dann zeigt er mit dem Finger aber auf seine eigene Branche: «Wir setzen diese Mittel aber noch nicht genug ein.»

Der Moderator stellt daraufhin die Frage, warum es denn immer noch leckende Ventile gebe, wenn die Lösung so simpel sei. Simonelli meint, dass sichergestellt werden müsse, dass Investitionen auch in Regionen gelangten, die sich noch entwickeln, und nicht nur in Industrieländer. Wie das sichergestellt werden soll, sagt er nicht.

Zum Abschluss seiner Wortmeldung erinnert er daran, dass ein Grossteil der CO₂-Einsparungen in der Vergangenheit gemacht werden konnten, indem man von Kohle auf Gas umgestiegen sei. Gas bleibe darum ein wichtiger Energieträger als Brücke zu den erneuerbaren Energien. «Gas ist Teil der Lösung.»

Die Kontaktbörse

Das WEF könnte für Unternehmer aus Entwicklungsländern die Chance sein, Kontakte mit Investoren zu knüpfen. Denn über 100 Länder sind dieses Jahr in Davos vertreten. Am meisten Teilnehmende kommen aus den USA, nämlich 703, wie das Wirtschaftsportal Quartz schreibt.

Es ist üblich, dass sich Staatsoberhäupter und andere hochrangige Regierungsvertreter in Davos die Ehre geben. Insgesamt werden Regierungsvertreter von über 40 Ländern anwesend sein – auch aus solchen Ländern, die fossile Energien haben, aber nicht zu den westlichen Industriestaaten gehören.

Neben den Mächtigen aus der Politik sind auch Wirtschafts-Bosse und potenzielle Investoren anwesend – unter ihnen ist einer der reichsten Menschen überhaupt: Gautam Adani, Vorsitzender der indischen Adani-Gruppe. Laut Forbes ist er die drittreichste Person der Welt. Er ist dieses Jahr allerdings der einzige der Top-Ten-Reichsten in Davos.

Von den Staaten in Ostafrika, die derzeit mitunter am meisten vom Klimawandel betroffen sind, ist immerhin ein Minister am diesjährigen WEF: Gebremeskel Chala, äthiopischer Minister für Handel. Somalia, der Südsudan oder Madagaskar haben niemanden ans WEF geschickt.

Wie Nummern und Ideen am WEF ausgetauscht werden, beschreibt Bernd Montag, CEO des Medizinaltechnik-Unternehmens Siemens Healthineers, in einem Blog-Beitrag nach dem WEF 2022:

«So verliess ich Davos voller Optimismus – und mit einer langen Liste von Kontakten und Ideen, die ich weiterverfolgen möchte.»

Tatsächlich sind während des WEFs bereits Initiativen geschlossen worden, um Unternehmen aus dem öffentlichen und privaten Bereich in Partnerschaften zusammenzubringen – auch mit Blick auf den Klimawandel. So zum Beispiel die sogenannte Wasserinitiative, um Projekte für besseres Wassermanagement in Südafrika und Indien zu entwickeln.

Die Schweizer Klimasünder am WEF

Und auch Vertreter von Schweizer Schwergewichten wirbeln dieses Jahr durch den Davoser Schnee: ABB, Adecco, AstraZeneca, Novartis, Roche, MKS Pamp, Nestlé, SICPA oder Credit Suisse und UBS sowie der Rückversicherer SwissRe.

Die Schweizer Grossbanken werden seit geraumer Zeit als Klimasünder angeprangert. So besetzten Klimaaktivisten in der Vergangenheit bereits die Eingänge der Banken, um auf die klimaschädlichen Investments der Schweizer Traditionshäuser aufmerksam zu machen.

Die Credit Suisse hat zwischen 2016 und 2021 insgesamt 91 Milliarden US-Dollar in fossile Energien investiert und die UBS hat im gleichen Zeitraum 40 Milliarden US-Dollar in die fossile Industrie gesteckt, wie im «Fossil Fuel Finance Report 2022» des Rainforest Action Network steht.

Aktivisten von Climate Justice besetzen den Eingang einer Bank, 2019.Bild: KEYSTONE

«Die Dringlichkeit der Klimakrise wird von den meisten Finanzinstituten nur ungenügend erkannt», urteilt der Klimastreik jeweils. Gerade die ganz grossen Finanzinstitute würden ihre Verantwortung nicht wahrnehmen.

Die beiden Banken betonen ihr Bekenntnis zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die UBS habe sich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen über das gesamte Geschäft hinweg bis 2050 auf Netto-null zu senken. Bereits Ende 2018 seien rund 21 Prozent der Gelder in der Schweiz nachhaltig angelegt gewesen. «Gegenüber dem globalen Durchschnitt von 11 Prozent haben wir einen grossen Vorsprung», hielt die Bankiervereinigung gegenüber CH Media fest.

Aber auch Unternehmen wie Nestlé sind immer wieder im Visier von Klimaaktivisten. Der Lebensmittel-Gigant wirbt zwar damit, auf dem Weg zur «Grünen Null» zu sein, doch Nestlé gehört laut mehreren Reports von Menschenrechts- und Umweltorganisationen zu den grössten Klimasündern überhaupt. Doch auch Nestlé kontert, dass man bis spätestens 2050 Netto-null-Emissionen in der gesamten Wertschöpfungs­kette erzielen wolle.

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103 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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chrimark
19.01.2023 06:46registriert November 2016
Bei der gewaltigen Menge an heisser Luft die dort produziert wird, sollte das WEF immerhin die Heizung abstellen können.
Wenn diese Leute den Klimawandel bekämpfen wollten, hätten sies schon längst getan. Die interessiert einzig wie sie ihre Pfründe vor den negativen Auswirkungen schützen können.
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Rethinking
19.01.2023 06:26registriert Oktober 2018
Letztlich geht es den „Typen“ nur ums eigene Portemonnaie und um Macht…

Alles andere ist Marketing um ihr Ziel zu erreichen…
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sapnu puas
19.01.2023 06:43registriert Juli 2019
So lange sich mit den fossilen noch genügend Profit abschöpfen lässt, wird sich das Mindset der Manager nicht nachhaltig ändern.
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