Sie machen eine aufwendige Weiterbildung an der Universität St.Gallen. Seilen Sie sich ab als Präsidentin?
Petra Gössi: Nein, überhaupt nicht. Ich mache einen berufsbegleitenden Master of Business Administration. Es ist mir sehr wichtig, dass ich mich beruflich weiterbilden kann. Die FDP steht im Parteiprogramm für lebenslanges Lernen. Das gilt für alle, auch für mich.
Sie stellen sich 2022 also zur Wiederwahl als FDP-Präsidentin?
Ja klar! Ich bleibe Präsidentin und will die Wahlen gewinnen.
Ein MBA ist intensiv – mit 16 Schulwochen auf 18 Monate. Ist das vereinbar mit dem Präsidium?
Ja. In meinem Entscheidungsprozess stellte ich mir Fragen zum Arbeitsaufwand und Zeitmanagement. Es ist klar vereinbar, sonst würde ich es nicht tun. Unsere moderne Gesellschaft muss sich an solche Fragestellungen gewöhnen. Die FDP hat zwei Vizepräsidenten und eine gute Fraktionsleitung, die das abfedern. Für mich ist klar: In unserem Milizparlament muss eine solche Fortbildung möglich sein. Sonst reden wir bald über ein Berufsparlament.
Als Präsidentin sind Sie gefordert. Seit 2019 verlor die FDP 20 Sitze in den Kantonen. «Selten ritt eine grosse Partei gelassener in den Sonnenuntergang als die FDP», schrieb Publizist Felix E. Müller.
Leider ist eine Pandemie nicht die Zeit der Freiheit. Unsere Grundrechte sind zum Teil immer noch stark eingeschränkt. Wir wollen und müssen betroffenen Arbeitnehmenden und Unternehmern mit staatlicher Unterstützung die Existenz sichern. Das führt leider zu neuen Abhängigkeiten. Als FDP stehen wir aber wie keine andere Partei für Freiheit und Eigenverantwortung. Deshalb ist die Situation für uns auch herausfordernd und belastend. Es ist mir aber sehr wichtig, noch etwas anderes festzuhalten.
Was?
Es war absolut richtig, dass wir uns der Umweltpolitik zugewandt haben. Zwei Mitgliederbefragungen verdeutlichen dies in hohem Mass. Der Richtungswechsel kam einfach Jahre zu spät. Schon Elisabeth Kopp hatte versucht, die Umweltpolitik zum Thema der FDP zu machen. Das war damals und ist auch heute kein opportunistischer Schritt. Sonst würden wir nicht an vorderster Front für das CO2-Gesetz kämpfen.
Die Freiheit verloren und die Umwelt zu spät entdeckt: Sind das Ihre Erklärungen für die Situation der FDP?
Diese Verkürzung ist nicht nur falsch, sondern irreführend: Wir kämpfen um Freiheiten und haben die Umweltpolitik nun auf den Tisch gebracht.
Inzwischen sagen Freisinnige hinter vorgehaltener Hand aber auch, es fehle an strategischer Führung. Eine Kritik an Sie.
In meiner Zeit haben wir uns stark auf unsere basisdemokratischen Strukturen zurückbesonnen. Die Basisumfragen zur Umwelt- und Klimapolitik und zur Enkelstrategie bewegen die Mitglieder sehr stark. Dieser strategische Wechsel passt aber nicht allen. Er ruft auch Kritik hervor, bei denen, die diese Kultur der Demokratie nicht schätzen. Letztlich ist inhaltlich damit aber fast immer die Umweltpolitik gemeint.
Sie ist das Pièce de resistance?
Ja, und sie ist gut abgesichert. An der elektronischen Delegiertenversammlung stimmte eine Dreiviertel-Mehrheit dem CO2-Gesetz zu. Auch unsere neue Enkelstrategie entsteht basisdemokratisch. Der Freisinn erwacht wieder. Mit der starken Einbindung der Mitglieder ist eine neue Bewegung entstanden, die mich ausserordentlich freut.
Was tut die FDP intern, um zu wissen, was nicht funktioniert?
Wir analysieren jede Wahl. Was klar ist: Wir müssen besser werden bei der Nachfolgeplanung. Die Wahlen zeigen, dass wir überall dort einen Schritt nach vorne schaffen, wo wir neue und vor allem junge Kräfte und Frauen in den Wahlkampf bringen, die den neuen Zeitgeist und die liberal progressive FDP verkörpern. Aber es bleibt anspruchsvoll: Alle etablierten Bundesratsparteien haben seit 2019 in den kantonalen Wahlen verloren – die Mitte im Wallis gar sieben Sitze. Wir gewannen dort immerhin einen Sitz.
Das war aber der einzige Erfolg.
Wir haben auch die Gemeindewahlen in Freiburg gewonnen. Die FDP ist noch immer die stärkste Partei, über Gemeinden, Kantone und Bund betrachtet. Wir wollen und müssen die Interessen der verschiedensten Regionen bündeln. Das ist anspruchsvoll. Zudem wollen viele Wählerinnen und Wähler Parteien mit Bewegungscharakter.
In dieser Session bekam man den Eindruck, die FDP renne wieder der SVP hinterher.
Es ist genau umgekehrt. Wir sind liberal und der Freiheit verpflichtet. Wir denken nicht nur in Schwarz-Weiss, suchen Lösungen mit verschiedenen Parteien. Beim Freihandel, bei der Europa- und der Aussenpolitik ist die SVP nur auf Abschottung bedacht. Wir hingegen wollen offene Märkte. Uns liegen unsere Arbeitsplätze, unsere Bildungsinstitute und unser Wohlstand am Herzen.
Die FDP schien aber den Bundesrat in der Coronakrise entmachten zu wollen – wie die SVP.
Der Bundesrat verpasste es, Perspektiven für längerfristige Öffnungsschritte aufzuzeigen. Mit unserem 100-Tage-Aktionsplan – «schützen, entschädigen, impfen» – zeigten wir im Gegensatz zu anderen Parteien Lösungen auf. Genauso mit dem Ampelsystem. Die Bevölkerung braucht klare Informationen und nachvollziehbare also Planungsschritte. Ihr Eindruck ist falsch.
Die FDP wollte ein Öffnungsdatum ins Gesetz schreiben.
Dies war ein Mittel, um Druck auf den Bundesrat aufzubauen. Deshalb hielten wir uns viele Varianten offen. Das war die Taktik in der ersten Diskussion in der Wirtschaftskommission WAK. Wir wussten, dass die Debatte drei Wochen dauern würde. Die Medien machten aber aus dieser Kommissionsdebatte eine Art Endresultat.
Hat es die FDP nicht übertrieben?
Das Parlament ist die Aufsichtsbehörde über den Bundesrat. WAK und Gesundheitskommission schrieben etliche Briefe an die Regierung. Sie blieben aber ohne Wirkung. Diese Mehrheit, die Öffnung ins Gesetz zu schreiben, kam zustande bis in die Mitte hinein, denn die Schliessungen haben massivste gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen.
Die FDP wollte sogar die wissenschaftliche Taskforce zum Schweigen bringen.
Das ist falsch. Wir forderten, dass die Taskforce ihr bereits festgeschriebenes Mandat einhält. Darin steht: Es kommuniziert nur der Präsident. Die einzelnen Mitglieder dürfen sich aber als Wissenschaftler äussern. Im Mandat steht auch, dass die Taskforce im Vorfeld Massnahmen der Regierung nicht kritisieren darf. Das ist wichtig, damit bei umstrittenen Fragen eine Einigung im Gremium erfolgen kann und nicht Meinungsunterschiede über die Öffentlichkeit ausgetragen werden – das bringt keine Lösungen.
In der ersten Version eines Antrags in der WAK forderte FDP-Nationalrätin Daniela Schneeberger aber, die Taskforce dürfe überhaupt nicht kommunizieren – selbst der Präsident nicht.
Sie realisierte, dass ihr Antrag missverstanden wurde und änderte ihn ab. Was zählt, ist das, was am Schluss dabei herausgekommen ist.
Die FDP hat den Bundesstaat und die ETH gegründet. Wie kann es sein, dass diese Partei der Taskforce einen Maulkorb umhängen will – in Anwesenheit der Parteipräsidentin und des Fraktionschefs?
Bildung und Forschung sind für uns und die Schweiz enorm wichtige Pfeiler, und es ging nicht darum, die Wissenschaft zu unterbinden. Wir haben in verschiedenen Kommissionen auf die schwierige Situation betreffend Kommunikation in der Krise aufmerksam gemacht. Auch wenn es sonst nicht unser Stil ist, es braucht aber auch mal einen Schuss vor den Bug. Ich unterstützte den Antrag von Daniela Schneeberger, weil ich die Probleme in der Kommunikation sah und wusste, was sie meint. Zu Ihrem Vorwurf muss ich jetzt aber noch etwas ergänzen.
Bitte.
Wir berieten das Covid-Gesetz zum dritten Mal in acht Monaten, immer in kürzester Frist. Der Bundesrat hat uns die Botschaft erst wenige Tage vor der Beratung überwiesen. Kaum war ein Rat zu Ende, musste das Kommissionssekretariat die nächste vorberatende Sitzung vorbereiten. Der Einsatz war hervorragend. Alle involvierten Akteure leisteten Nachtarbeit. An jenem Donnerstagabend erhielten wir kurz vor der ersten WAK-Sitzung über 80 Anträge. Wenn Sie nun versuchen, mich auf einzelne Worte zu behaften, muss ich Ihnen sagen: Ich kann es nicht mehr hören, dass man null Verständnis dafür hat, wie diese Gesetzesrevision abgelaufen ist. Dass dabei auch Fehler passieren, ist menschlich und wurde zügig korrigiert.
FDP-Vizepräsident Andrea Caroni stellte nach Leaks in der Gerichtskommission gar den Quellenschutz der Medien zur Diskussion. Was sind das für Töne der FDP?
Der Quellenschutz führt sich ad absurdum, wenn er dazu dient, dass man das Kommissionsgeheimnis verletzen kann. Andrea Caroni will es schützen. Das wollte er damit sagen.
Sind Sie dafür, den Quellenschutz aufzuweichen?
Es geht nicht darum, ihn aufzuweichen. Es geht darum, das Kommissionsgeheimnis zu wahren. Diese Verletzungen sind katastrophal. Das beginnt beim Bundesrat. Jeden Dienstagabend kann man lesen, was das oberste Gremium des Landes am Mittwoch entscheidet. Mit diesen Amtsgeheimnis-Verletzungen werden freie Diskussionen in den Gremien unterbunden. Das ist toxisch in einer direkten Demokratie und besorgt mich zutiefst.
Was muss geschehen?
Das muss aufhören und dafür müssen wir sorgen. Wir können nicht so weitermachen.
Nach den Wahlen 2023 droht der FDP die Abwahl eines Bundesrats. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Nur weil unsere Mitstreiter dieses Thema aktiv bewirtschaften, heisst das noch lange nicht, dass ein FDP-Sitz wackelt. Wir müssen die Wahlen gewinnen. Die SP befindet sich in derselben Situation wie wir, sie ist nur um ein Mü stärker. Unsere Kompetenz bei der Schaffung von guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und bei der Garantie von persönlichen Freiheiten wird bald wieder gefragt sein. Wir müssen aufzeigen, wie wir mittel- bis langfristig aus dieser Krisensituation herauskommen: Wie können wir die Arbeitsplätze sichern? Wie Entlassungs- und Konkurswellen verhindern?
Arbeiten Sie an Konzepten?
Ja. Das ist unsere Aufgabe. Wir werden dafür kämpfen, dass wir möglichst schnell in das freiheitliche Wirtschaftssystem zurückkehren. Es gibt auch politische Kräfte, die dies nicht wollen.
Hat der Bundesrat das Grundrecht der Wirtschaftsfreiheit gegenüber dem Grundrecht auf Gesundheit vernachlässigt?
Die Gesundheit der Bevölkerung hat Priorität. Denn nur gesunde Menschen können ihrer Arbeit nachgehen und sich entfalten. Es ging bei der ersten Welle vor allem darum, einen Kollaps der Spitäler zu verhindern und damit Menschenleben zu retten. In der aktuellen Situation stehen wir an einem völlig anderen Punkt. Es braucht ein Abwägen und einen Ausstieg aus der Krise. Ich bin überzeugt, dass heute mit einem gross angelegten Testing und dem raschen Impfen konsequentere Öffnungsschritte möglich sind, damit alle Menschen wieder ihren Tätigkeiten nachgehen können in einer neuen Normalität.
Dafür gratis Öko SUVs für Parteimitglieder.
Und Greta wird, zum nächsten Parteitag eingeladen. Zum Glück versteht niemand Schwedisch.
Wenn eine Partei zwei Mitgliederbefragungen braucht, um festzustellen, dass die Umwelt wichtig ist, stimmt in dieser Partei grundsätzlich etwas nicht. Und nein, dass es die SVP noch schlechter macht, ist kein Massstab.