Jens Weinreich, Sepp Blatter bleiben noch ein paar Monate, bis ein neuer FIFA-Präsident gewählt wird. Er hat letzte Massnahmen angekündigt ...
Das ist der grösste Unsinn der Sportgeschichte! Dass Blatter sich hinstellt und noch immer irgendwas von Reformen und Massnahmen orakelt, ist Quatsch. Womöglich will er noch einen Nachfolger in die Pipeline schicken, der ihm genehm ist. Das zeigt zwar, wie sehr er an seinem Amt klammert, wie wenig er die Macht seinen Feinden übergeben will – aber es ist kompletter Irrsinn. Wahrscheinlich ist er in ein paar Tagen verschwunden. Die Welle kann er nicht mehr aufhalten.
Letzte Woche sah es noch aus, als würden die Verhaftungen der FIFA-Funktionäre an «Teflon-Blatter» abperlen.
Was für ein historischer Moment! Und dann noch an so einem symbolträchtigen Ort wie dem dekadenten Baur Au Lac. Das hat bei den anderen Weltverbänden und dem IOC, die in der Schweiz domiziliert sind, Schockwellen ausgelöst. Sie sind in der Schweiz nicht mehr sicher. Bereits seit letztem Mittwoch dürften jetzt wohl überall Daten gelöscht und Akten vernichtet werden. In diesem Business grassiert die Angst vor dem Knast.
Trotzdem: Blatter hat sich erst wählen lassen und dann erst am Dienstag den Kopf eingezogen. Warum?
Am Sonntagabend stand er noch da wie ein nordkoreanischer Parteichef und behauptete, es gäbe keine flächendeckende Korruption. Dann, plötzlich: Eine 180-Grad-Drehung. Nach seinem jahrzehntelangen Kampf um die Macht auf diese Art den Bettel hinzuschmeissen, kann nur einen logischen Grund haben: Die US-Ermittlungen, von denen wir seit gestern Abend wissen.
Wird das FBI Blatter vor Gericht zerren?
Die Amerikaner sind knallhart. Unter Druck haben zum Beispiel auch die Warner-Söhne kooperiert. Was das FBI eventuell gegen Blatter in der Hand haben könnte, wird sich bald zeigen. Da ist kaum etwas zu verheimlichen. Im Grunde aber ist Blatter auf andere Weise korrupt, im strafrechtlichen Sinne wurde ihm bisher nichts nachgewiesen.
Wie meinen Sie das?
Korruption hat viele Facetten. Die Art der Korruption, die auf Blatter zutrifft, ist eher moralischer Natur: Er hat dieses System aufgebaut. Hat er sich in der FIFA eine goldene Nase verdient? Ja. Aber hat er Schmiergelder kassiert? Nein. Bis heute verrät er zwar nicht, wie viel Boni er verdient. Aber bis heute ist auch klar, dass er auf legalem Weg zu seinem Geld gekommen ist. Ob ihm also strafrechtlich etwas vorgeworfen werden kann, bleibt abzuwarten.
Das FBI ermittelt, Blatter tritt zurück. Das ist doch ein Schuldeingeständnis!
Nein. Das hat er aber auch nicht nötig. Seine moralische Schuld können nur hochbezahlte Propagandisten der FIFA leugnen. Die ist belegt.
Womit?
Einer, der sich von den korruptesten Fussball-Figuren auf diesem Planeten Stimmen beschaffen lässt, von Jack Warner, Mohamed Bin Hammam, Ricardo Teixeira und anderen, der weist nach, dass er ein entscheidender Teil des Korruptionssystems ist. Er trägt die Mitschuld. Und dass er von der Bestechung Havelanges durch die ISL wusste, wurde 2011 nachgewiesen.
Unter Havelange und ISL-Gründer Dassler begann der Aufstieg Blatters in der FIFA.
Horst Dassler, ehemaliger Adidas-Chef und Gründer der eigentlichen Bestechungsagentur ISL, war Architekt der modernen Sportpolitik. Er hat schon Ende der 60er-Jahre begriffen, dass Fussball zu einem globalen Geschäft werden und die Dominanz der Europäer enden wird. Blatter war Dasslers Freund und Schüler. Blatter hat dieses System pervertiert, vollkommen gemacht. Er hat Warner und Co. gewähren lassen und dafür Stimmen kassiert.
Jetzt ist er weg – wird die FIFA besser?
Das Problem der FIFA ist nicht allein Sepp Blatter. Es müssen quasi flächendeckend Führungskräfte rausgeschmissen werden. Ausserdem die FIFA hat nicht nur ein massives Personalproblem, sondern auch ein Systemproblem. Nur umfassende Regeländerungen können die FIFA reformieren.
Welche Regeländerungen?
Der Vereinsstatus darf nicht bleiben. Die FIFA muss eine Aktiengesellschaft werden und die entsprechende Rechenschaftspflicht wahrnehmen. Es muss ein riesiges Paket an Reformen geschnürt werden.
Worin unterscheidet sich die FIFA von anderen Sportverbänden?
Es gibt nur drei Milliardenkonzerne: Die UEFA, das IOC und die FIFA. Was die Verteilung der Einnahmen angeht, ist die UEFA ziemlich transparent. Dafür hat sie keine Ethikkommission – wobei, diejenige der FIFA ist ja sowieso ein Witz. Das IOC ist anders strukturiert, von dem her nicht unbedingt vergleichbar. Nur die Stimmendealer, die sind ähnlich schwer belastet wie bei der FIFA. Scheich al-Sabah beispielsweise, der jetzt pikanterweise noch als Nachfolger Blatters gehandelt wird.
Braucht's die FIFA überhaupt?
Welcher Fussballer, welcher Nachwuchssportler braucht die FIFA? Keiner. Die Förderung wird von Stadtverbänden und kantonalen Verbänden organisiert. Das Einzige, was die FIFA macht, ist die Vermarktung des Weltpokals. Das kann jeder andere auch. Und all' die Nachweise für den wirtschaftlichen Erfolg der FIFA? Schwachsinn! Wenn jemand anderes das machen würde, was die FIFA macht, wäre da vermutlich noch mehr zu holen.