Die SBB haben während vier Jahren 3.2 Millionen Franken verloren und nichts davon gemerkt. Es war eine externe Firma, die den Fall aufdeckte. Sie hatte ein Thurgauer Bauunternehmen übernommen und bei der Prüfung der Buchhaltung gemerkt, dass etwas nicht stimmen konnte. Die Firma reagierte mit einer Selbstanzeige und liess so das Betrugssystem auffliegen.
Die Bundesanwaltschaft benötigte zehn Jahre, um den Fall zur Anklage bringen. Am 28. Juni stehen die vier Haupttäter vor dem Bundesstrafgericht.
Der Organisator des Betrugssystems war der Bauführer und vorübergehende Geschäftsführer des Thurgauer Bauunternehmens. Er war damals bekannt als SVP-Politiker. Nachdem die Bundesanwaltschaft sein Haus durchsuchen, seine zwei Autos beschlagnahmen und ihn zehn Tage in Untersuchungshaft stecken liess, trat er unter einem Vorwand aus der Politik zurück. Er schob zeitliche Gründe und angebliche Interessenskonflikte vor. Inzwischen ist er 52 Jahre alt und arbeitet wieder als Bauführer in der Privatwirtschaft.
Zu seinen Komplizen machte er drei langjährige Geschäftspartner, die in der Division Infrastruktur der SBB als Baustellenverantwortliche arbeiteten und ihre Büros im Bahnhofsgebäude von St.Gallen hatten. Sie sind 47, 57 und 60 Jahre alt, gebürtige Ostschweizer ohne Migrationshintergrund.
Das Strafverfahren richtete sich zwischenzeitlich gegen 16 Beschuldigte. Neun Ostschweizer Unternehmer wurden bereits per Strafbefehl verurteilt. Gegen drei wurde das Verfahren eingestellt, weil die Vorwürfe nicht bewiesen werden konnten oder wegen der langen Ermittlungsdauer bereits verjährt sind.
Die Anklageschrift, die neun Strafbefehle und drei Einstellungsverfügungen liegen CH Media vor. Sie zeigen, wie das Betrugssystem funktionierte. Der Geschäftsführer und seine SBB-Komplizen arbeiteten schon jahrelang zusammen. Sie wussten, was der SBB-Finanzabteilung auffällt und was nicht.
Das Thurgauer Bauunternehmen stellte den SBB das Personal für ganze Baugruppen zur Verfügung. Die Arbeiten wurden im Stundenlohn aufgrund von Tagesrapporten verrechnet. Diese Rechnungen schickte der Geschäftsführer an die SBB, wo sie von seinen Komplizen freigegeben wurden. Einige waren echt, andere waren zu hoch und wieder andere waren frei erfunden.
Teilweise basierten sie auch auf gefälschten Rechnungen von Drittfirmen. Deren Geschäftsführer machten mit, um ihren Kumpels einen Gefallen zu tun und sich Aufträge zu sichern. Sie wussten aber nicht, dass sie Teil eines kriminellen Netzwerks waren.
Der Geschäftsführer gründete mit der Zeit auf Drängen eines SBB-Kumpels noch eine eigene Firma, um einige der Rechnungen über diese laufen zu lassen. So sollten die Millionenbeträge in der Buchhaltung unauffälliger platziert werden können.
Als der Fall aufflog, gingen in der Ostschweiz einige Beziehungen in die Brüche. Ehen wurden geschieden. Familien zerstritten sich. Freundschaften gingen kaputt. Lebensträume platzten. Depressionen wurden diagnostiziert.
Die Einkaufsliste der Betrüger gibt einen Einblick in ihr Psychogramm. Sie verwirklichten sich Männerträume in der Midlife-Crisis: Sie liessen sich ihre Einfamilienhäuser verschönern, bauten einen Pool und einen Koiteich, schenkten einer Ehefrau einen Umbau ihres Kleidergeschäfts und einer Schwester eine Doppelgarage. Für sich selber beschafften sie starke Autos und Motorräder. Die Bähnler definierten sich nicht über die Bahn, sondern über PS.
Die Bundesanwaltschaft schreibt in ihrer Anklage, dass die SBB-Finanzabteilung keinen Anlass und «keine zumutbare Möglichkeit» hatte, die gefälschten Rechnungen zu überprüfen. Mit anderen Worten: Das Betrugssystem war perfekt. Hätte der neue Besitzer des Thurgauer Bauunternehmens mitgemacht, wären weitere Millionen verschwunden.
Ist eine Finanzabteilung aber wirklich nicht in der Lage, einen derartigen Betrug zu erkennen?
Monika Roth ist Compliance-Expertin und Strafrichterin. Sie sieht eine Lücke in der Kontrolle der SBB. Diese hätten die Rechnungen der Drittfirmen verlangen sollen. «Das ist nicht nur zumutbar, sondern erforderlich», sagt Roth. Ein derart dreistes Vorgehen sei im Bausektor nicht neu: «Das heisst, das Betrugsrisiko ist hier immer gross.» Sie fragt:
Die SBB sagen dazu nichts – mit Verweis auf das laufende Verfahren.
Eine weitere Frage lautet:
Auch dazu sagen die SBB nichts – ausser allgemeinen Phrasen wie dieser: «Die Sensibilisierung aller Mitarbeitenden auf die strikte Einhaltung der Compliance-Vorgaben gehört bei der SBB zur Daueraufgabe.»
Die Bundesanwaltschaft klagt das Quartett im abgekürzten Verfahren wegen gewerbsmässigen Betrugs und die Bähnler zusätzlich wegen ungetreuer Amtsführung an. Das bedeutet, dass sie mit den Beschuldigten und den SBB einen Deal ausgehandelt hat. Sie einigten sich auf die Strafen und Schadensersatzzahlungen.
Die Beschuldigten sind also geständig. Sie akzeptieren bedingte Freiheitsstrafen von anderthalb bis zwei Jahren. Sie müssen also nur ins Gefängnis, falls sie innert kurzer Zeit rückfällig werden würden. Roth stuft die Deliktsumme als «hoch», die kriminelle Energie als «sehr hoch» ein und die Strafen als «mild, aber gerade noch vertretbar» ein.
Die Täter anerkennen Zivilforderungen der SBB von insgesamt 650'000 Franken.
Mit dem abgekürzten Verfahren werden alle Parteien ein Risiko los: Die Beschuldigten müssen nicht ins Gefängnis, die SBB erhalten einen Teil des Geldes zurück und die Bundesanwaltschaft kann ihr ausuferndes Verfahren endlich abschliessen.