Er ist vermutlich der beliebteste Zürcher im Land, den alle in ihrer Nähe haben wollen: der Zürichsee. Seine magische Anziehungskraft ist bekannt: Gerade an heissen Sommertagen lockt er Menschenmassen aus allen umliegenden Kantonen an.
Wer zu diesen Zeiten einen Platz am See für sich alleine finden möchte, der sucht vermutlich lange. Im Gegensatz zu den Menschen, die direkt am Zürichsee wohnen. Sie leben ihren Traum für sich alleine: mit eigenem Seezugang.
Doch ihr Traum droht bald zu platzen, wenn das Zürcher Stimmvolk kommendes Jahr die Ufer-Initiative annimmt. Diese sieht vor, auf Zürcher Boden am Zürichsee einen durchgehenden Uferweg zu erstellen. Dafür müssten aber Grundstücksbesitzer mit privatem Seeanstoss enteignet werden. watson hat mit vier von ihnen gesprochen.
«Geht es um soziale Gerechtigkeit oder um Neid?» Diese Frage geht mir durch den Kopf, während ich dem Zürichsee entlangfahre. Unterwegs in einer anderen Welt. Zu Menschen, die so viel Geld haben, dass sie direkt am See wohnen können. Auf tausenden Quadratmetern. Normalerweise ist das eine geschlossene Gesellschaft. Doch weil ihnen die Enteignung droht, öffnen sie für einmal ihre Türen.
Einen Einblick in sein Zuhause gewährt ein vermögender Grundstücksbesitzer aus Oberrieden, der seinen Namen nicht in den Medien lesen möchte. Er besitzt ein Mehrfamilienhaus mit eigenem Seezugang und Bootshaus, das er zum Büro umfunktioniert hat. Gleich daneben hat es einen öffentlichen Seezugang mit einem Bootssteg. «Es stimmt nicht, dass nur Reiche am See wohnen», sagt er und fügt dann gleich an: «Okay, mir gehört dieses Anwesen, aber ein Teil ist vermietet.»
Er sei das Thema über den Uferweg leid. Der Grundstücksbesitzer verweist darauf, dass es bereits einmal eine Initiative gegeben habe, die nach einem Gegenvorschlag des Regierungsrats wieder zurückgezogen worden sei. «Der Kanton investiert seither jedes Jahr sechs Millionen Franken in öffentliche Uferwege. Das sollte genügen», sagt er.
Viele Weglücken wurden trotz dieses Gegenvorschlags jedoch nicht geschlossen, womit die sechs Millionen oft nicht ganz ausgenutzt wurden oder sogar ungenutzt verfallen sind. Das lässt der Eigentümer aus Oberrieden ausser Acht. Deswegen fordert die neue Initiative einen durchgehenden Uferweg bis zum Jahr 2050. Denn aktuell ist die Situation wie folgt: Der Zürichsee umfasst eine Uferlänge von 87,6 Kilometern, davon sind rund 59,8 Kilometer im Kanton Zürich. Laut dem Regierungsrat besteht auf etwa der Hälfte davon einen Uferweg.
Für den vermögenden Eigentümer in Oberrieden wäre die Annahme der Initiative eine «grosse Enttäuschung». Er betont: «Die Frage ist, ob das Eigentum geschützt ist, oder nicht?» Er sei überzeugt, dass eine Enteignung vom Seeufer erst der Anfang einer Entwicklung sei, die in Zukunft Menschen für allerlei Volksbegehren enteignen würde. Das würden die Grundstücksbesitzer nicht auf sich sitzen lassen. Er sagt:
Der Uferweg ist nicht nur an der Pfnüselküste ein Thema, auch auf der anderen Seeseite, an der Goldküste, kochen die Emotionen hoch.
Sehr aufgewühlt zeigt sich eine Grundstücksbesitzerin aus Zollikon am Telefon. Ihr Grundstück wäre vom Uferweg betroffen, auch ihr Bootshaus müsste sie abreissen. Sie sagt zunächst einem Treffen zu, wenn der Reporter sein Smartphone auf Flugmodus stellen würde. Doch dann sagt sie wieder ab. Sie erklärt:
Das Leben an der Seestrasse sei ohnehin «nicht mehr lustig». Die Grundstücksbesitzerin ärgert sich über das starke Verkehrsaufkommen, das sie als «lebensgefährlich» bezeichnet, die vielen Passanten, die sie «Handysüchtige» nennt, und das Littering, das für sie die «Verrohung der Sitten» darstelle. Ein durchgehender Uferweg würde dieses Problem «drastisch verschlimmern», ist sie überzeugt. Speziell die Tiere und die Umwelt würde unter dem höheren Personenaufkommen leiden. «Wenn es in Zukunft so wird, möchte ich das nicht mehr erleben», sagt sie und beendet das Telefonat.
Die Tour-de-Zürichsee führt weiter nach Rüschlikon, wo wir den nächsten Grundstücksbesitzer antreffen. Hier hat er sich ein Paradies errichtet, das er mit niemandem teilen muss – Swarovski-Kronleuchter im Wohnzimmer, Bootshaus, Badesteg und Sitzplatz inklusive.
«Die Ufer-Initiative nehme ich nicht ernst», sagt er gelassen. Er glaube nicht daran, dass das Zürcher Stimmvolk die Grundstücksbesitzer enteignen würde. «Enteignungen sind gerechtfertigt bei grossen Infrastruktur-Projekten wie der SBB, aber nicht bei einem Fussweg.» Sollte der Uferweg trotzdem realisiert werden, rechnet er mit viel höheren Kosten als die 500 Millionen Franken, wie es der Kantonsrat schätzt. Er sagt:
Der vermögende Eigentümer findet, dass es bereits genügend öffentliche Anlangen am See gebe. «Die Gemeinde Rüschlikon hat erst kürzlich wieder Liegenschaften geerbt. Über 400 Meter der Gemeinde-Uferlänge sind öffentlich zugänglich, das sollte reichen.»
watson wollte es genauer wissen, wie die Situation mit den Seezugängen am Zürichsee ist. Eine Umfrage bei allen Zürcher Gemeinden am Zürichsee bringt nun Licht ins Dunkle. So sind etwa in Rüschlikon 771 Meter am Ufer öffentlich zugänglich. Wie viel Prozent der gesamten Uferlänge öffentlich zugänglich sind, weiss die Gemeinde jedoch nicht. Anders ist das in Thalwil oder Richterswil, wo mehr als die Hälfte der Uferlänge öffentlich zugänglich sind. Doch in vielen Gemeinden sind knapp ein Viertel der gesamten Uferlänge öffentlich zugänglich, wie in Meilen oder Stäfa.
Den letzten Halt am Zürichsee machen wir in Meilen, dem Zentrum der Goldküste. Dieses Anwesen hat es in sich: Eine Privatstrasse führt zum Eingangstor, danach geht der Weg weiter bis zu einem Springbrunnen vor dem Haus. Grundstücksbesitzerin Tanja Niemann-Spleiss öffnet ihre weisse Haustüre und lächelt freundlich. Auch ihre zwei Hunde wedeln zufrieden mit dem Schwanz zur Begrüssung.
Niemann-Spleiss führt den Reporter von der Eingangshalle aus rotem Marmor durch ihr weisses Wohnzimmer zur Gartenanlage mit eigenem Seeanstoss, Hafen, Strand und Pavillon. Das 5000 Quadratmeter grosse Anwesen teilt Spleiss einzig mit ihren zwei Hunden und fünf Katzen.
Eingezogen sei sie vor über 42 Jahren zusammen mit ihrem Mann, der mittlerweile schon 28 Jahre verstorben sei. Damals sei der Zürichsee als Wohngegend noch unbeliebt gewesen und habe als Rheuma- und Krankheitsgegend gegolten, erklärt sie. Zudem sei ihr Anwesen eher eine Ruine gewesen, weshalb das Ehepaar die ersten drei Jahre mit dem Umbau beschäftigt war.
Niemann-Spleiss gewährt einen tiefen Einblick in ihr Privatleben und erzählt, dass ihr Zuhause das Lebensprojekt von ihrem Mann und ihr sei. Das ganze Anwesen hätten sie zusammen geplant – jedes Detail erinnere an ihn. Deswegen habe sie auch seit 28 Jahren nichts mehr am Interieur oder Exterieur verändert. Und ihr Mann ist der Grund, weshalb sie sich als einzige angefragte Grundstücksbesitzerin bereit erklärt hat, mit Namen und Foto in der Zeitung hinzustehen. «Um sein Andenken zu bewahren», wie Niemann-Spleiss sagt. Ein öffentlicher Uferweg auf ihrem Grundstück würde diese sehr privaten Erinnerungen zerstören. «Das erlebt man kein zweites Mal im Leben.»
Die Grundstücksbesitzerin hat eine klare Haltung: «Wissen Sie, wenn man so ein Grundstück besitzt, ist das so, weil das jemand verdient hat. Hier wurde alles versteuert.» Ihr Mann habe viel gearbeitet und dank seiner Baufirma, die heutige Spleiss AG, das Anwesen kaufen können. Im Nachhinein in das rechtmässig erworbene Eigentum einzugreifen, sei etwas, das sie von der Schweiz nicht erwarten würde. Niemann-Spleiss, die früher als Fotografin arbeitete, bereiten vor allem zwei Dinge Sorgen.
Der eine Punkt sei das Verhalten der Menschen. «Viele sagen, der Uferweg ist ein Neid-Weg. Ich kann das nachvollziehen. Als mein Mann verstarb, ankerten Boote vor meinem Anwesen, um zu sehen, wie die junge Witwe lebt. Das war sehr verletzend. Diese Sorte Mensch würde sicher wiederkommen und könnte mir dann beim Frühstücken auf meiner Terrasse zusehen», sagt sie.
Der andere Punkt, der ihr viel mehr am Herzen liege, sei die Natur. «Auf meinem Grundstück brüten Schwäne, Enten und Vögel. Wir haben regelmässig Füchse, Dachse oder Steinmarder zu Besuch. Und auch zu den Bienen und allen anderen Tieren schaue ich, dass sie hier einen ruhigen Lebensraum haben», sagt Niemann-Spleiss. Einem Uferweg müsste Gebüsch und Schilf weichen, was diese Tiere vertreiben oder stören würde.
Ein Uferweg hätte noch weitere Folgen für Niemann-Spleiss: Ihr Hafen und der Strand seien aufgeschüttetes Konzessionsland, das durch die Ufer-Initiative zurück an die Öffentlichkeit gehen würde. Die Vorstellung, dass bis 2050 «fremde Menschen und Kinder mit Gummitieren» durch ihren Garten laufen, gefällt Spleiss nicht. Sie werde das aufgrund ihres Alters «zum Glück nicht mehr erleben».
Tanja Niemann-Spleiss versteht jedoch die Anliegen der Befürworter:
Zweiter Lacher: Menschen, die hier wohnen, haben es sich verdient.
Das verstörendenste: Die meint wohl beides wirklich ernst.
Die Begründungen der Anwohner:innen überzeugen mich da wenig. Der mit dem Wertverlust hat sicher einen Punkt, ebenso sie mit dem Naturschutz (bzw den Vögeln im Garten). Aber "Dass man sich ein solches Grundstück verdient hat" ist das alte Märchen der Chancengleichheit.