Undine Lang ist Direktorin der Klinik für Erwachsene und Privatklinik der Basler UPK und Ordinaria für Psychiatrie an der Uni Basel. Sie beschäftigt sich aus einem wissenschaftlichen Standpunkt mit dem Thema Einsamkeit. Im Herbst wird ihr neues Buch erscheinen, darin geht es um die Widerstandsfähigkeit gegen psychische Krisen. Das soziale Netzwerk spiele eine entscheidende Rolle für die persönliche Gesundheit, sagt sie – körperlich wie geistig.
Frau Lang, warum sind Freunde wichtig?
Undine Lang: Menschen, die Freundschaften pflegen, sind psychisch gesünder. Man spricht in diesem Zusammenhang von Resilienz, der Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischen Krisen. Freundschaften können darüber hinaus einen Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Es zählt dabei nicht die Zahl der Freunde auf Facebook oder anderen sozialen Netzwerken. Wichtig ist vielmehr die Zahl persönlicher Treffen und die Tiefe der Vertrautheit.
Sie schreiben derzeit ein Buch zur Resilienz. Darin gehen Sie auf die Auswirkungen von Einsamkeit auf die Gesundheit ein. Unter anderem steht darin, Einsamkeit liesse sich mit dem Konsum von 15 Zigaretten vergleichen. Wie ist das zu verstehen?
Genau, es gibt gute Übersichtsarbeiten in diesem Bereich, mit Fallstudien von bis zu 300'000 Personen. Wobei man vorausschicken muss: Diese Korrelationsstudien haben ihre Macken. Oft ist es schwer, Faktoren voneinander abzugrenzen. Allerdings ist belegt: Einsamkeit hat einen Einfluss auf die Sterblichkeit. Viel stärker noch als Rauchen, starker Alkoholkonsum oder Übergewicht.
Womit hängt das zusammen? An Einsamkeit stirbt man ja per se noch nicht.
Nein, es handelt sich hier um Risikofaktoren, welche die Gesundheit negativ beeinflussen. Das kann auch korrelieren mit oben genannten Verhaltensweisen: Leute, die Freunde haben, stehen unter stärkerer sozialer Kontrolle und neigen deshalb zu gesünderem Lebensverhalten. In der Sterblichkeit ist schwierig zu sagen, welcher Faktor zu was geführt hat. Doch die Forschung in grossen Datenmengen zeigt, dass der Faktor Einsamkeit höher zu gewichten ist als andere.
Was macht Einsamkeit mit einem Menschen?
Einsamkeit führt zu mehr Leerlauf, mehr Angst. Ohne soziale Netzwerke fallen positive Verstärker weg, die Auswirkung auf das Empfinden des eigenen Lebenssinns haben. Ohne Kontakte fehlen Grundlagen: dass man autonom ist, dass man sich Kompetenzen erarbeiten kann. Es verhält sich hier ähnlich einer Arbeit, der man nachgeht. Und oft sind Personen von Einsamkeit betroffen, die eben nicht arbeiten und dort auf ein erstes soziales Netzwerk stossen.
Sie forschen zur Widerstandsfähigkeit. Was lässt sich daraus für soziale Kontakte ableiten?
Ein soziales Netzwerk bedeutet Rückhalt. Das kann sich ganz konkret auswirken: Beispielsweise, dass jemand beim Umzug hilft oder sich um das Kind kümmert. Es geht aber darüber hinaus, um Verständnis und Anteilnahme für die eigenen Probleme. Grundsätzlich lässt sich sagen: Einsamkeit potenziert Probleme, die im Alltag auftauchen.
Haben Sie eine Empfehlung, wie viele Freunde man haben sollte?
Da gibt es wohl keine Referenzzahl. Es handelt sich zudem um eine Mischung aus Anzahl und Tiefe des gegenseitigen Vertrauensverhältnisses. Aus dem Bauch heraus: Drei gute Freunde sind besser als zehn mittlere Bekanntschaften. Wobei sich das schwer quantifizieren lässt. Ein wichtiger Faktor ist Zeit. Virtuelle Freunde sind eher irrelevant.
Einsamkeit ist eine Volkskrankheit mit zunehmender Tendenz. Dabei ermöglichen es die technischen Hilfsmittel heute doch, sehr leicht mit Menschen in Kontakt zu treten. Wie geht das zusammen?
Ich denke, soziale Medien erstellen ein Pseudo-Netzwerk, das aber Freundschaften nicht ersetzen kann. Face-to-face-Kommunikation kann dadurch genauso wenig ersetzt werden wie gemeinsame Erlebnisse. Diese sind es, welche die Vertrautheit einer Freundschaft konstituieren. Es gibt eine Studie dazu, dass Whatsapp-Nachrichten nicht als gleich befriedigend empfunden werden wie ein Gespräch.
Sie gehen in Ihrem Buch auch auf die Wichtigkeit von Partnerschaften ein. Auch diese befinden sich in einem Wandel.
Es gibt verschiedene Untersuchungen in diesem Bereich, viele haben aber eines gemeinsam: Verheiratete sind gesünder als Nichtverheiratete, sowohl körperlich als auch geistig, zumindest statistisch betrachtet. Nun stellt sich hier wieder die Frage: Sind es die Gesunden, welche häufiger heiraten, oder ist man eher gesund, wenn man heiratet? Zumindest für Männer lässt sich sagen: Beziehungen halten gesund. Das kann auch mit einer stärkeren Fürsorge und sozialen Kontrolle zusammenhängen.
Was würden Sie einer einsamen Person raten?
Man sollte seine Interessen überdenken. Die Palette reicht hier von Spiritualität bis Sport. An diese Interessen sollte man in der Gruppe anknüpfen. Oft lassen sich Gemeinsamkeiten auch dort finden, was sich vermeintlich alleine ausüben lässt. Ein gutes Beispiel sind Hundehalter: Über den Hund entstehen neue soziale Kontakte mit einem gemeinsamen Interesse als Basis. Es hängt natürlich ein bisschen vom Hund ab...
Ein Problem der Einsamkeit ist, dass sie für Aussenstehende nicht sichtbar ist. Wie lässt sich dem entgegenwirken?
Was sicher wichtig ist, ist eine Wertschätzung für das Umfeld. Sich jenen anzubieten, die es brauchen.