Ein Streit wegen eines Schalters. Das ist der Anfang dieser Geschichte. Zumindest für mich. Bei einem Treffen frage ich eine befreundete Architektin, wie es mit dem Ausbau der Wohnung ihrer Eltern läuft. Sie seien sich zum ersten Mal uneinig, sagt sie, wegen der Lichtschalter.
In der Schweiz gebe es eigentlich zwei Lichtschalter, erklärt sie, beide würden von der Firma Feller in Horgen hergestellt: den Standard und den Edizio. Architektinnen und Architekten hielten den Standard für schöner, auch sie, die befreundete Architektin, deren Eltern das eindeutig anders sehen.
Seit sie mir das erzählt hat, sehe ich überall Schalter und Steckdosen der Firma Feller (es gibt auch andere Anbieter, aber die sieht man verglichen mit dem Marktführer Feller kaum). Im Büro erkenne ich den Edizio mit seinen spitzen Ecken und seiner rauen Oberfläche. In meiner Wohnung erfreue ich mich am Standard, an seinen abgerundeten Ecken, an seiner glatt-glänzenden Oberfläche.
Was ich einmal gesehen habe, kann ich nie mehr nicht sehen. Lichtschalter überall – und die Ahnung, dass sie etwas über unser Land aussagen und die Leute, die sich entweder für den einen oder den anderen entscheiden.
Nur was?
Ich bitte die befreundete Architektin, Rabea Kalbermatten, mir den Streit mit ihren Eltern nochmals zu schildern.
Sie sitzt in der Küche ihres Ateliers in Zürich – alter Schüttstein, moderne Kaffeemaschine, klobiger Kopierer – und öffnet Ordner auf ihrem Laptop. Einer trägt den Namen «Elektroabdeckungen». Für ihre Eltern hat sie eine Gegenüberstellung gemacht, beide Schalter in allen Ausführungen: Storen, Licht, Thermostat. Sie sagt: «Der Standard ist immer schöner.»
In der Ferienwohnung und im Elternhaus hätten sie den Standard gehabt. Sie sagt: «Vor allem für meinen Vater war klar: Jetzt gibt es eine neue Wohnung, ergo einen neuen Schalter. Für ihn war der Standard altmodisch und der Edizio ‹modern› – das war das Wort, das er benutzte.» Dabei sei der Standard doch zeitloser, sagt sie, der Edizio sei wegen seines Designs deutlich den Neunzigerjahren zuzuordnen.
Um ihren Vater zu überzeugen, schaute sie, welchen Schalter Peter Zumthor oder Peter Märkli – zwei Architekten, die ihre Eltern schätzten – verbauten. Beide benutzten Standard.
Das andere Argument war die Farbe. Weil die Wände hellgrau waren, sollten es schwarze Schalter und Steckdosen werden. Darin waren sie sich einig. Sie sagt: «Die Schalter sind aus anderem Material. Das wirkt sich auf die Farbe aus. Das Schwarz des Standards wirkt dank des glänzenden Duroplasts satter.»
Ich frage sie, welchen Schalter sie habe. Sie sagt: «Hier im Büro habe ich den Standard und daheim, leider, den Edizio. Als ich die Wohnung angeschaut habe, sah ich den Schalter sofort. Aber was will ich machen, es ist eine Mietwohnung, die in den Neunzigern saniert wurde.»
Der Standard steht für Kennerschaft. Heisst das im Umkehrschluss, dass alle, die den Edizio einbauen, keine Ahnung haben? Unter anderem auch ihre Eltern? Sie sagt: «Manchmal hat man als Architektin vielleicht andere Aspekte, die man durchsetzen mag. Dann ist es kein Drama, wenn es mal der Edizio wird. Aber, ja, ich bin eher enttäuscht, wenn ich den Edizio sehe – gerade in Gebäuden, die neu geplant wurden. Dann denke ich: Okay, warum wohl?»
Ich treffe mich mit Elisabeth Joris. Ihr geht es wie mir: Was sie einmal gesehen hat, kann sie nie mehr nicht sehen. Sie sagt: «Mein Mann sagt, ich hätte eine Ecke ab. Egal, wo wir sind, ich sehe Schalter und Steckdosen. Sogar im Zug!»
Joris ist Historikerin, wohnt in Zürich und hat zwei Bücher über die Firma Feller geschrieben. Eigentlich macht sie Frauengeschichte statt Firmengeschichte, aber im Fall der Feller AG finden diese zwei Dinge zusammen.
1909 kauft Adolf Feller die Firma. Es ist das Zeitalter des Drehschalters. Während des Ersten Weltkriegs kann er kaum mehr Ware importieren, also baut er die Eigenproduktion aus. Als er 1931 plötzlich stirbt, übernimmt seine Tochter Elisabeth Feller. Ein Jahr später kommt der Kippschalter.
Das erste Buch von Joris trägt den Titel «Eine Frau prägt eine Firma», könnte aber auch «Eine Frau prägt ein Land» heissen. Denn Feller schrieb Schweizer Designgeschichte.
Feller entdeckt 1940 den Landi-Stuhl, der vom Schweizer Designer Hans Coray für die Schweizerische Landesausstellung («Landi») von 1939 entworfen wurde. Ab da wurde in der Firma Feller alles durchdesignt – jeder Schalter, jedes Plakat, jedes Werbegeschenk.
Bis zu ihrem frühen Tod 1973 arbeitete Feller mit der Schule für Gestaltung in Zürich zusammen und sicherte sich so die Mitarbeit des Architekten Hans Fischli oder der Designer und Grafiker Carlo Vivarelli, Richard Paul Lohse, Josef Müller-Brockmann. Sie stehen für die funktionale und formstarke Ästhetik, die das Design der Feller-Produkte bis heute prägt. Joris sagt: «Sie schufen damit etwas, wofür es damals noch gar kein Wort gab: Corporate Identity.»
1946 kommt der Wippenschalter und ersetzt den Kippschalter. Der Schweizer Architekt Max Bill bezeichnete ihn als «die endgültige Form eines elektrischen Lichtschalters überhaupt» und adelte ihn an der Schweizer Werkbundschau mit «der guten Form». Ein Exemplar befindet sich im Museum für Gestaltung in Zürich.
Wir alle wissen, wie sich der Wippenschalter anfühlt – und wie er sich anhört. Tick-tick. Er ist wiedererkennbar. Joris sagt: «In der Fabrik von Feller nahm ein italienischer Arbeiter einen Schalter aus der Schublade und sagte zu mir: ‹Hören Sie! Der Wippenschalter macht tick-tick. Wegen des Silberkontaktsystems. So schön! Der Druckschalter dagegen macht – nichts.›»
Wenn ich vom Standard spreche, dann denke ich an den Druckschalter. Er kam 1969 auf den Markt und wurde zum Schweizer Spezifikum. Ein Journalist schreibt im «Das Magazin»: «In Wahrheit sind es die Druckschalter – und nicht die Berge, das Bündnerfleisch oder die SBB –, welche die Schweiz lebenswert machen.»
Warum er das sagt? Weil er, zum einen, den Druckknopf liebt und die Schweiz «eines der wenigen Länder der Welt ist, wo man das Licht heute standardmässig nicht an- und auskippt, sondern per Knopf ein- und ausdrückt».
Und zum anderen, weil der Druckschalter nicht, «wie die übrigen Schalter der Welt, aus geschmolzenem Kunststoffgranulat geformt wird, sondern aus schwerem und starkem Duroplast in Form gepresst wird». Er schliesst: «Der Schweizer Standard-Druckschalter ist der ideale Knopf.»
Joris sagt: «Im Ausland sind die Schalter ‹gwagglig›, in der Schweiz sind sie todsicher. Ich habe ein halbes Jahr in den USA gelebt: Die Qualität dort war eine Katastrophe! Aber auch in Europa! Irgendwann hängt dort das Zeug aus der Wand.»
Ich erzähle, dass bei meinem Freund in Deutschland die Steckdose tatsächlich aus der Wand hänge. Joris nickt, als wollte sie sagen: Sehen Sie, sag ich doch!
Die Schweizer Steckdose gilt als die sicherste in Europa.
Der Schweizer Schalter steht nicht nur für Sicherheit, sondern auch für Dauerhaftigkeit – einerseits, weil er ewig hält, andererseits, weil er immer da war, in unseren Heimen, neben unseren Türen. Er vermittelt Vertrautheit.
Joris sagt: «Ich bin 1946 geboren und kann Stationen meines Lebens am Sortiment von Feller festmachen. Ich habe als Kind in drei Häusern gewohnt. Im ersten gab es den Kippschalter, im zweiten den Wippenschalter und im dritten dann den Druckschalter. Der zog sich dann durch. Der Standard ist das sanftere Modell. Darum haben wir den heute daheim.»
1991 kam der Edizio, damals noch mit abgerundetem Rand, erst in der zweiten Edition (Edizio due) erhielt er seine spitzen Ecken. Die raue Oberfläche hatte er immer schon. Der Edizio sollte der Schalter für alles – oder wie Joris sagt, «für jeden Seich» – werden. Damals kam er in vielen verschiedenen Farben und heute mit allen elektrischen Funktionen.
Doch das taugt nicht allen. Joris sagt: «Der ‹hüere› Edizio-Schalter! Was habe ich geflucht, als ich versucht habe, in einer fremden Ferienwohnung, dessen Display auszumachen. Das Ding leuchtete die ganze Nacht durch! Mit dieser Elektronik entfernt man einfach jede Selbstverständlichkeit. Die Puristinnen und Puristen am Bau haben halt lieber den Standard, weil der wirklich nur Schalter und Steckdose ist, ohne Schnickschnack.»
Ich erzähle, dass im Gang der soeben sanierten Wohnung meiner Mutter der Drücker des Edizio in der Dunkelheit blau leuchte – wohl damit man wisse, wo die Schalter seien. Ich fände das absurd. Schliesslich habe man die Schalter früher ja auch gefunden, als Kind sogar mit geschlossenen Augen, weil sie wegen der Elektroschemen immer 20 cm rechts von der Tür lägen.
Als ich meine Mutter fragte, warum sie den Edizio denn ausgerechnet in dieser Ausführung habe einbauen lassen, sagte sie, das habe der Elektriker entschieden. Sie scherzte, immerhin würde das blaue Licht ihr den Weg zum WC leuchten – wie die Notbeleuchtung in einem Flugzeug.
Eigentlich sollte der Edizio den Standard ersetzen. Das erfahre ich von der Designverantwortlichen der Firma Feller. Cornelia Högger gibt mir Stahlkappenschuhe und führt mich durch die Fabrik in den Keller. Hier hat es ein Archiv und eine Ausstellung. Über uns tönt die Stanzmaschine wie eine Waschmaschine, in der gerade schwere Schuhe gewaschen werden.
Ich verstehe sie trotzdem, wenn sie sagt: «Die Verkaufszahlen des Edizio stiegen, während die des Standards sanken. Feller wollte den Standard daraufhin auslaufen lassen. Doch die Architektinnen und Architekten waren dagegen. Einer sprach sogar bei der Geschäftsleitung vor.»
Ich rufe ihn an. Am Telefon sagt Quintus Miller: «Feller-Standard ist in der Schweiz ein Standard, der auch nach über 50 Jahren noch seine Gültigkeit hat. Das macht ihn zum Klassiker. Der Edizio hat sowohl wegen seiner Form als auch wegen seines Materials nicht dieselbe Wertigkeit wie der Standard. Er möchte zwar edel sein, wirkt aber extrem billig. Darum habe ich der Geschäftsleitung der Firma Feller damals gesagt: Der Edizio ist keine Alternative, den verwende ich als Architekt einfach nicht!»
Auf den Druck der Architektinnen und Architekten hin entwickelte die Firma Feller den Standard due, der dann, wie der Edizio due, alles konnte. Seine Umsätze verdreifachten sich.
Zurück in den Keller. Cornelia Högger blättert durch das Buch, in dem Architektinnen und Architekten den Standard due bei seiner Einführung 2016 bewerteten. Da stehen Sätze wie:
Högger sagt: «Standard ist nicht Standard. Wir produzieren zu 80 Prozent den Edizio und zu 20 Prozent den Standard. Das liegt unter anderem an den Elektrikerinnen und Elektrikern. Viele von ihnen würden wohl am liebsten nur den Edizio verbauen. Zum Standard due sagten sie damals: ‹Wieso das Alte aufleben lassen? Der Edizio reicht uns!› Der Edizio ist einfacher und effizienter zu installieren, darum mögen sie ihn.»
Es scheint in der Schweiz zwei Lager zu geben: das puristische und das praktische (was auch heissen kann, dass es einem egal ist und man, wie meine Mutter, einfach den Elektriker machen lässt).
Ich frage Högger, auf welcher Seite sie steht. Sie sagt: «Ich habe in meiner Mietwohnung einen Mix: Standard, Standard due, Edizio, Edizio due. Das Durcheinander ist typisch für Mietwohnungen, in denen etwas ersetzt werden muss und dann einfach das neuste Ding eingebaut wird, statt einheitlich zu denken. Jemand, der heute durchgehend Standard verbaut, denkt die Details mit. Sehe ich irgendwo einen Standard-Schalter, dann weiss ich, jemand hat sich das genau und gut überlegt. Zufällig kommt der da nämlich nicht hin, denn die Elektrikerinnen und Elektriker montieren eher den Edizio.»
Doch stimmt das? Ich frage meinen Elektriker. Er stutzt bei mir daheim ein Kabelrohr an der Decke, während ich daneben an diesem Text tippe.
«Im Altbau würde ich den Standard und im Neubau den Edizio einbauen. Für mich liegen sie gleichauf. Ausser ich montiere sie mit dreckigen Händen, dann lässt sich der Edizio wegen seiner rauen Oberfläche danach schlechter säubern. Man kriegt den Dreck kaum aus den Poren», sagt er.
«Und der Standard ist wie ein glattes Gesicht?», frage ich.
«Genau. Da streicht man einfach einmal drüber und fertig», sagt er. Dann holt er das Handy raus, um mir die Unterschiede der Schalter zu zeigen. Aber ich winke ab. Das weiss ich jetzt alles.
Und ich weiss jetzt auch, was die Lichtschalter über unser Land sagen. Zumindest der Standard-Schalter steht für alles, wofür auch die Schweiz gerne steht: durchdesignt, dauerhaft, sicher, funktional, klassisch, schlicht, pur, vernünftig, vertrauenswürdig, wertig, wiedererkennbar, zeitlos, ohne Schnickschnack.
Ah, und die Eltern von Rabea Kalbermatten entscheiden sich schlussendlich für den Standard. Sie sagt: «Es ist eindeutig eleganter!» Ihr Vater sieht das auch so.
2.) habe ich bei jedem Gebäude nur den Edizio verbauen lassen
3.) ist der Standard unnötig abgerundet (und „gewellt“)
4.) sieht man beim Standard die Schrauben (= hässlich)
5.) gibts an Feller nichts auszusetzen
Werde ab sofort genauer hinschauen!