1900 Einwohnerinnen und Einwohner, eine Post-Filiale, ein Restaurant und kein Hotel: St-Aubin hat wenig, um national für Aufsehen zu sorgen. Seit die Migros-Tochter Micarna in diesem Freiburger Ort den grössten Geflügel-Schlachthof der Schweiz bauen will, ist das anders.
Über 30 Millionen Hühner sollen dereinst in der Anlage pro Jahr geschlachtet werden, dies frühestens ab 2028. Micarna will den in die Jahre gekommenen Schlachthof ähnlicher Grösse im 15 Kilometer benachbarten Courtepin ersetzen. Von hier aus werden Migros-Filialen in der ganzen Schweiz beliefert.
Aus der ganzen Schweiz kommt auch der Widerstand gegen den geplanten Schlachthof auf dem Gelände des Innovationsparks Agrico in St-Aubin: Während sich Nachbarn vor Mehrverkehr und üblen Gerüchen fürchten, argumentieren Umweltschützerinnen mit dem Tierwohl und der Reduktion des Fleischkonsums.
Die Gemeinde musste temporär zwei Personen einstellen, um die Flut an Einsprachen zu bewältigen: Total waren es deren 1817, wie die Gemeinde am Dienstag mitteilte. Sie verteilen sich auf sieben Einzelprojekte beim Innovationspark Agrico. Umweltschutzorganisationen hatten dazu aufgerufen, aus Protest gegen Micarna mit Ausnahme der Bushaltestelle alle Projekte mit Einsprachen einzudecken.
Rund 600 Personen und Institutionen folgten dem Aufruf. Doch nur gerade 10 Prozent der Einsprecherinnen und Einsprecher stammen aus St-Aubin. Mehr als die Hälfte lebt ausserhalb des Kantons. Entscheiden über die Einsprachen wird die Präfektur des Broye-Bezirks.
Dass Menschen aus Ostermundigen BE, Rapperswil SG oder Nebikon LU Einsprache einreichen, sei nicht Teil der Strategie gewesen, sagt Athénaïs Python. Sie ist Mitglied der Schweizer Liga gegen Tierversuche und für die Rechte des Tieres. Die direktbetroffenen Dörfer seien jedoch ferienbedingt ausgestorben gewesen, erklärt die Freiburgerin.
«Um auf die Kehrseiten des Projekts hinzuweisen, haben wir die Leute am nahe gelegenen Ufer des Neuenburger- und Murtensees aufgesucht.» Dort hielten sich auch viele Touristen aus der Deutschschweiz auf - und füllten die unterschriftsreifen Einsprachen aus. Python findet: «Jeder kann sich gegen ein Projekt wehren, das für die Tiere und den Planeten schrecklich ist.»
Dem widerspricht Gemeindepräsident Michael Willimann: «Viele Menschen haben die Einsprache wie eine Petition unterschrieben. Um sich als Einzelperson gegen ein Bauprojekt wehren zu können, muss man jedoch direkt betroffen sein, etwa wegen Lärm. Die Meinung zu vertreten, wir müssen weniger Fleisch essen, genügt nicht.» Willimann ist der Ansicht, dass die Region hinter dem neuen Schlachthof steht. Den externen Personen hätten dagegen die Fakten zum «emotionalen» Projekt gefehlt.
Dass die Emotionen hochkochen, ist kein Zufall: Die Fleisch-Lobby und Umweltschützer kämpfen um die Deutungshoheit über das Poulet, das in der Schweiz so beliebt ist wie nie. Letztes Jahr lag der Pro-Kopf-Verbrauch laut der Branchenorganisation Proviande bei 14,7 Kilogramm. Das sind 55 Prozent mehr als vor zwanzig Jahren (9,5 Kilogramm). Dagegen sank der Verbrauch von Schweinefleisch von 25,2 auf 19 Kilogramm. Jener von Rindfleisch verharrt um die 10 Kilogramm. Die Zahlen beziehen sich auf die Menge an verkaufsfertigem Fleisch, die pro Person zur Verfügung steht.
Mehrere Faktoren erklären den Boom: Geflügelfleisch kostet wenig, wird von Menschen aller Religionen gegessen und ist fettarm sowie proteinreich. Gerade für sportfixierte Jugendliche ist dies ein Pluspunkt. «Die Gen-Z kurbelt den Absatz enorm an», bestätigt Proviande-Direktor Heinrich Bucher. Aber auch ältere Menschen wendeten sich vermehrt aus gesundheitlichen Gründen vom Schweinefleisch ab. «Es ist ein Kulturwandel im Gang. Früher gab es an Festen Cervelat mit Brot, heute Chicken-Nuggets mit Pommes.»
Das positive Image von Pouletfleisch sorgt bei Umweltschutzorganisationen für Kopfzerbrechen. Umso mehr, als dessen Klimabilanz im Vergleich zu anderem Fleisch besser ist. Je nach Studie ist der Ausstoss von Treibhausgasen bei Poulet zwei oder drei Mal tiefer als bei rotem Fleisch.
Trotzdem sieht Greenpeace, die den Schlachthof in St-Aubin bekämpft, die Verlagerung von rotem Fleisch zu Poulet kritisch. «Es ist wichtig, den Fleischkonsum insgesamt zu reduzieren, da die Umwelt- und Klimabilanz von pflanzlichen Produkten deutlich besser ist», sagt Konsumexpertin Barbara Wegmann. Man müsse darüber informieren, dass die Produktion von Hühnerfleisch nicht standortangepasst, sondern stark von importiertem Kraftfutter und damit intensiver Landwirtschaft abhängig sei.
Ob sich dieses Framing gegen das aktuell positive Poulet-Image durchsetzt, ist offen. Bei Proviande bleibt man gelassen. Fleisch werde auch weiterhin gerne gegessen, ist sich Direktor Bucher sicher. «Die gesellschaftspolitischen Diskussionen werden dies nur sehr bedingt beeinflussen.»
Ein Migros-Sprecher versichert seinerseits, dass in Courtepin noch solange Poulets produziert werden können, bis die neue Anlage stehe. «Je schneller wir in St-Aubin bauen können, desto besser ist dies jedoch aus Sicht des Tierwohls, der Arbeitsbedingungen und der Nachhaltigkeit.» (aargauerzeitung.ch)
Na immerhin haben die noch eine Post.
Bei uns werden Post-Fillialen in Dörfern mit 5000 Einwohnern wegrationalisiert.
Ja ich weiss, off topic... hat mich aber erstaunt ;-)
Die Schweiz, eine kulinarische Hochkultur seit eh und je.