Die Sprache der Diplomatie ist verklausuliert und darauf angelegt, harte Kritik in weiche Formulierungen zu verpacken. Wenn in offiziellen Statements von einer «offenen» Diskussion die Rede ist, bedeutet dies, dass man heftig gestritten hat und sich überhaupt nicht einig war. Ein Beispiel für einen solchen Sprachgebrauch konnte man letzte Woche in Brüssel erleben.
Die EU-Kommission habe einen «Mangel an Fortschritt» beim institutionellen Rahmenabkommen mit der Schweiz festgestellt, sagte ihr Vizepräsident Maros Sefcovic vor den Medien. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sowie Erweiterungskommissar Johannes Hahn hätten alles getan, um ein Resultat zu erreichen: «Wir haben unser Bestes gegeben.»
Wie man in Brüssel wirklich über die Schweiz denkt, zeigt ein internes Schreiben von Hahn an Juncker. Er habe allein 2018 ein Dutzend politische Kontakte mit seinem Schweizer Gegenüber, Bundesrat Ignazio Cassis, gehabt, hält der Österreicher fest. Ende November habe man sich auf einen «endgültigen Textentwurf» für das Rahmenabkommen geeinigt.
Die Schweiz gehöre zu den «grössten Profiteuren» des EU-Binnenmarktes, hält Johannes Hahn in dem Brief fest, den die Tamedia-Redaktion publik machte. Dann schreibt er Klartext:
Trotz einer «ziemlich konstruktiven» internen Konsultation im Frühjahr verlange der Bundesrat weitere «Klarstellungen», schreibt Hahn weiter. Diese seien nicht «harmlos», sondern würden auf eine erneute Öffnung des Abkommens in zentralen Punkten (staatliche Beihilfen, freier Personenverkehr, «diskriminierende» flankierende Massnahmen) hinauslaufen.
Weiter wirft Hahn der Schweizer Regierung vor, sich trotz Junckers Bereitschaft zu raschen und schriftlichen Klarstellungen nicht ernsthaft zu engagieren:
Der Österreicher unterstreicht, dass man von der Schweiz eine Unterzeichnung des Abkommens vor Ablauf des Mandats der Juncker-Kommission Ende Oktober erwartet. Die Schritte der Schweiz in diese Richtung in den letzten Monaten seien «eindeutig ungenügend»:
Der Brief von Johannes Hahn an Jean-Claude Juncker ist echt. Dies bestätigt ein Vertreter der EU-Kommission, der mit dem Schweiz-Dossier vertraut ist, in einer E-Mail, die watson vorliegt. Er unterstreicht darin noch einmal die Enttäuschung in Brüssel über die Haltung der Schweiz:
Man warte seit November letzten Jahres auf «eine klare und uneingeschränkte Unterstützungserklärung» des Schweizer Bundesrates. Der Text des Institutionellen Rahmenabkommens sei «ausverhandelt» und könne «nicht wieder geöffnet werden», schreibt der EU-Vertreter. Präsident Juncker habe sich aber bereit erklärt, Erklärungen abzugeben, um allfällige Bedenken aus dem Weg zu schaffen und einen positiven Abschluss dieses Dossiers bis Ende Oktober zu erleichtern.
Damit dürfte der EU-Vertreter auf die Reise des Schweizer Chefunterhändlers Roberto Balzaretti am 12. Juni nach Brüssel anspielen, als dieser erhofften Zusagen nur die Bitte um noch mehr Zeit vortrug. Gleichzeitig betont er, dass die Bereitschaft zu einer Einigung weiterhin vorhanden sei:
Auf den Goodwill der Schweiz allein will sich die EU aber nicht verlassen. Sie hat am Sonntag die befristete Anerkennung der Schweizer Börsenregulierung auslaufen lassen. Johannes Hahn hält im Brief an Jean-Claude Juncker fest, wie diese Massnahme an die Adresse der Schweiz zu beurteilen ist:
Damit ist klar, dass es nicht um eine Bestrafung der Schweiz geht, sondern um eine Warnung: Wir können auch anders. Zumal sich der Schaden für beide Seiten in Grenzen halten dürfte. Das Verbot des Handels mit Schweizer Aktien in der EU, das die Schweiz als Gegenmassnahme beschlossen hat, trifft laut SRF vor allem London und damit jenes Land, das die EU verlassen will.
Die «entscheidende Phase» des Brexit ist ohnehin ein wesentliches Motiv für die harte Haltung der EU gegenüber der Schweiz, wie Johannes Hahn schreibt:
Dies lässt es zumindest zweifelhaft erscheinen, ob die Schweiz bei einem Scheitern des vorliegenden Entwurfs wirklich ein besseres Abkommen herausholen kann, wie gewisse Politiker und Kommentatoren meinen. Denn die EU hat durchaus Pfeile im Köcher, die der Schweiz wirklich weh tun können. Die nächsten Monate werden in jedem Fall sehr interessant.
Kronrod
Scaros_2
Ist das der EU klar?
fabsli