Diese Woche erschien im Berner «Bund» eine Seite zum Schicksal von Saisonnierkindern in der Schweiz. Der Zeitpunkt war kein Zufall. Die Gewerkschaften setzen derzeit alle Hebel in Bewegung, um die negativen Seiten des Saisonnierstatuts in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Grund dafür ist die Umsetzung der Masseinwanderungsinitiative. Am Freitag kommt es zum Showdown: Der Bundesrat wird das Konzept zur Umsetzung des Volksbegehrens diskutieren und – falls er sich einig ist – verabschieden.
Da der neue Verfassungsartikel Kontingente mit Höchstzahlen sowie den Inländervorrang vorschreibt, hat der Bundesrat bei der Umsetzung wenig Spielraum. Dieser besteht vor allem bei der Frage, wie Kurzaufenthalter im künftigen Regime behandelt werden sollen. Darum dreht sich denn auch in erster Linie der öffentlich ausgetragene Disput zwischen Politik und Wirtschaft: Der Bundesrat und die meisten Parteien propagieren eine «konsequente», die Wirtschaft eine «pragmatische» Umsetzung der SVP-Initiative.
Pragmatisch würde heissen, dass die Kurzaufenthalter (die Inhaber einer L-Bewilligung für einen Aufenthalt von maximal einem Jahr) von einer Kontingentierung ausgenommen würden. Entsprechende Vorschläge haben der Arbeitgeberverband sowie der Gewerbeverband gemacht. Die Logik dahinter: Ausländer mit einem befristeten Aufenthaltsrecht werden nicht sesshaft, sie kehren der Schweiz wieder den Rücken und sind deshalb keine «Zuwanderer» im Sinne der Initiative. Ein Gutachten des Bundesamtes für Justiz stützt diese Argumentation, wie die «Nordwestschweiz» von zwei unabhängigen Quellen weiss. Gemäss den Juristen des Bundes könnten Ausländer mit Aufenthaltsrecht von bis zu einem Jahr von Kontingenten ausgenommen werden – juristisch gesehen lässt die SVP-Initiative diese Interpretation also zu.
Indes: Wie eine Auswertung des Bundesamtes für Migration für die «Nordwestschweiz» zeigt, irren die Wirtschaftsverbände in ihrer Grundannahme. Rund die Hälfte der Kurzaufenthalter verlässt die Schweiz nicht mehr und zumindest nicht sofort. So wurden im letzten Jahr über 58'000 L-Bewilligungen an Ausländer erteilt, die neu in die Schweiz kamen. Gleichzeitig haben 2013 19'766 ausländische Arbeitskräfte eine Verlängerung ihrer L-Bewilligung erhalten und sind daher seit mehr als einem Jahr hier ansässig. 12'808 Ausländer mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung bekamen schliesslich neu eine B-Bewilligung für fünf Jahre.
Konsequenterweise fordern die Wirtschaftsverbände deshalb, dass die L-Bewilligungen im neuen Regime nicht mehr erneuert werden dürfen. Nur: Martin Flügel, Präsident der Gewerkschaft Travail Suisse, bezweifelt, dass die Ausländer nach Ablauf ihrer Bewilligung in ihre Heimat zurückkehren respektive, dass sie nicht immer wieder kommen – wie einst die Saisonniers.
Für ihn kommt eine grosszügige Lösung für die Kurzaufenthalter einer Rückkehr zum Saisonnierstatut zumindest sehr nahe. Und damit auch eine Rückkehr zu alten Problemen: Kurzaufenthalter sind oft schlecht ausgebildet und man unternimmt auch nichts, um sie zu qualifizieren: «L-Bewilligungen sind das Eintrittsbillett in die Arbeitslosenversicherung», sagt Flügel. Zudem seien Kurzaufenthalter stark den Arbeitgebern ausgeliefert und die Schwarzarbeit nehme wohl zu. In letzterem Punkt habe in der Begleitgruppe des Bundesrates zur Umsetzung der Initiative Einigkeit geherrscht: Flankierende Massnahmen gegen die Schwarzarbeit seien notwendig.
Auch beim Umsetzungskonzept der SVP spielen die L-Bewilligungen eine Schlüsselrolle. Hier decken sich die Interessen der Wirtschaftsverbände und der Initianten. Die SVP fordert Kontingente für L-Bewilligungen, wenn auch «grosszügige».