Marco Odermatt erinnert in seinem türkisgrünen Wollpullover ein wenig an den Filmhelden Hulk. Hauteng umspannt das Kleidungsstück seinen gestählten Oberkörper. Hat der Schweizer Skistar noch einmal an Muskelmasse zugelegt? «Nein, beim Waschen des Pullovers das falsche Programm gewählt», antwortet der Nidwaldner lachend. Er habe erst unterwegs in Richtung Titlis realisiert, dass der Pullover ein gehöriges Stück eingegangen sei.
Hier oben, auf einer der höchsten Bergspitzen der Zentralschweiz, steht der Gipfelstürmer noch einmal vor seinen wohl verdienten Ferien Red und Antwort. Zwar sind seit Odermatts letztem Weltcuprennen des Winters 30 Tage vergangen, doch seine Arbeitstage bleiben mit Skitests, Sponsorenterminen und vielen anderen Pflichten prall gefüllt. Der Skirennfahrer liebt es, hinter diese Art von Verpflichtungen das Häkchen «erledigt» zu setzen.
Marco Odermatt, wir stellen einige Behauptungen zu Ihrer Person auf. Erste These: Nichts nervt Sie so sehr wie Ineffizienz!
Marco Odermatt (lacht): Ja, das kann ich so bestätigen. Das hat viel mit meiner Ungeduld zu tun.
Woher kommt Ihre Ungeduld?
Es ist wohl eine Begleiterscheinung des stets sehr vollen Terminprogramms. Ich bin nicht irgendwo angestellt, wo ich Dinge, die ich heute nicht erledigen kann, dann halt morgen in Angriff nehme. Ich habe manchmal das Gefühl, ich würde parallel drei oder vier Jobs erledigen, die mich von morgen früh bis abends spät fordern. Ich möchte die wenige Freizeit wirklich freihalten, indem ich alles andere so effizient wie nur möglich gestalte.
Haben Sie manchmal das Gefühl, Sie müssten sich jede freie Minute erkämpfen?
Nicht nur das Gefühl, es ist schlicht so.
Was hat Sie früher geärgert und tut es heute nicht mehr?
Es hat in meinem Leben nie viele Dinge gegeben, die mich ärgerten – früher nicht und heute nicht. Ich war ein ziemlich zufriedener Bub.
Zweite These: Marco Odermatt wird Olympiasieger 2030 in der Schweiz!
Boah, ich weiss noch nicht, ob ich 2030 noch Ski fahre. Das ist viel zu weit weg.
Aber stellen wir uns vor, in zwei Jahren heisst es: Ja, die Schweiz darf die Olympischen Spiele 2030 austragen. Wäre dies ein Grund, um sicher bis dann zu fahren?
Schwierig zu sagen. Das ist mir im Moment wirklich noch zu weit weg. Wenn man weiss, wie lange so ein Olympia-Prozess geht und wie nahe dran die Schweiz in den letzten Jahren mit Bewerbungen schon x-Mal war, dann sind wir nun erst bei gefühlten 10 Prozent davon. Und im Vergleich dazu standen wir schon oft bei 80 oder 90 Prozent und sind trotzdem gescheitert. Ich bin da nicht einer, der zu weit vorausschaut - schon gar nicht sieben Jahre.
Adolf Ogi hat im Interview mit der «Schweiz am Wochenende» gesagt, um eine Volksabstimmung gewinnen zu können, brauche es grosse Persönlichkeiten als Zugpferde - zum Beispiel Marco Odermatt. Könnten Sie sich eine solche Rolle vorstellen?
Dass ich mich positiv zu Olympia äussern werde, wenn es dann soweit ist - das ist für mich klar. Aber eben, dieser Prozess, so glaube ich, dauert noch ewig. Ich habe die ganze Geschichte erst am Rande via Medien verfolgt und mich darum auch noch nicht wirklich mit dieser Frage beschäftigt.
Trotzdem: Dass die Winterspiele in Länder zurückkehren, wo der alpine Sport Tradition hat, ist sicher in Ihrem Sinn. Cortina 2026, Schweiz 2030 - das wären nach Sotschi, Pyeongchang und Peking Schritte in die richtige Richtung?
Absolut. Das wäre sicher sehr, sehr sinnvoll. Bei allem Ärger über Spiele weit weg: Man darf nicht vergessen, dass Olympia eine globale Geschichte ist. Dass die Spiele mal in Russland oder China stattfinden, ist berechtigt. Sie dürfen einfach nicht nur noch in solche Länder vergeben werden.
Dritte These: Ein Sieg in der Abfahrt am Lauberhorn hätte für Sie die grössere Bedeutung als eine WM-Goldmedaille!
Weiss ich nicht. Kann ich jetzt grad nicht beantworten. Adelboden vielleicht, ja. Aber jetzt im Nachhinein, wo ich diese WM-Medaillen gewonnen habe, merke ich: Das sind schon die wichtigsten Rennen.
Sie wurden Doppelweltmeister – wie schauen Sie mit ein bisschen Abstand auf diese Tage zurück?
Die Abfahrt war sehr emotional. Ein perfekter Tag von A bis Z. Mit dem Team auch das Fest danach. Im Riesenslalom wurde der Tag mit allen Verpflichtungen so lang, dass dann plötzlich gar keine Zeit und Energie mehr da war, um die Goldmedaille zu geniessen.
Das tönt nicht gerade toll, wenn Sie die zweite WM-Goldmedaille nicht einmal geniessen können…
Ja, das ist so. Aber ich konnte es nun mal nicht ändern.
Dann freuen Sie sich umso mehr auf den grossen Empfang in Stans, wo am Sonntag bis zu 20 000 Leute erwartet werden, um Ihnen die Ehre zu erweisen?
Hätten wirklich so viele Leute auf dem Dorfplatz von Stans Platz? (lacht) Aber es wird sicher eine tolle Sache für die Bevölkerung, für die Nidwaldner, welche die Gelegenheit haben, mich nochmals zu sehen. Für mich selbst wird es aber schwierig, die Nähe zu den Leuten zu geniessen. Der ganze Rummel hat Dimensionen angenommen, wo ich einfach auf die Bühne gehen kann und dann wieder in den Hintergrund treten muss. Anders geht es nicht.
Vierte These: Marco Odermatt ist diesen Sommer öfters am See als am Handy!
Schön wäre es, aber das schaffe ich wohl nicht ganz.
Auf was haben Sie in Ihrer freien Zeit am meisten Lust?
Weg sein von der Öffentlichkeit, diese Ruhe zu haben. Und ja, an oder auf den See gehen.
Was bedeuten Ihnen Freundschaften?
Sehr, sehr viel. Ich investiere enorm Zeit in meine Freundschaften. Auch wenn ich im Winter zwischen den Rennen nach Hause komme, ist es mir wichtig, meine Kollegen zu sehen. Freundschaften sind für mich auf einer ähnlichen Stufe wie Familie und Partnerin.
Auf welche Funktion Ihres Handys könnten Sie nicht verzichten?
Den Wecker… und die Agenda, und WhatsApp und noch vieles mehr. Mittlerweile läuft im Leben sehr viel über das Handy - Kommunikation, Trainingsplan und so weiter.
Auf welcher App würden Sie gerne etwas weniger Zeit verbringen?
Mir raubt diesbezüglich einzig Instagram etwas Zeit.
Für welches Programm schalten Sie den Fernseher an?
Hauptsächlich für Sportevents und falls ich einmal einen ruhigen Abend habe für einen Krimi.
Und Netflix konsumieren Sie auch?
Ja. Ich komme aber sehr selten dazu, dort reinzuschauen.
Was muss man gesehen haben?
Ich bin grosser Fan von Serien wie Games of Thrones oder Herr der Ringe.
Fünfte These: Marco Odermatt ist eine treue Seele!
Das stimmt zweifellos. Das erkennt man auch bei meinem Umfeld, im Team und bei Partnerschaften. Wenn bei mir etwas funktioniert, dann setze ich auf Kontinuität und Beständigkeit und wechsle Dinge nicht unnötig aus.
Was bedeutet Ihnen Treue?
Es ist ein wichtiger Wert, wenn man zu etwas oder jemanden Vertrauen hat. Ein Umfeld, in welchem man sich wohl fühlt, sich gegenseitig versteht und alles funktioniert, ist etwas vom wertvollsten.
Treue hat viel mit Vertrauen zu tun: Was muss passieren, dass Sie Ihr Vertrauen verlieren?
Wenn man nicht ehrlich miteinander ist oder wenn man Dinge vergeigt und es nicht offen ausspricht. Ich habe solches in meinem Umfeld noch nie erlebt.
Braucht es Überwindung, um Dinge anzusprechen, die nicht optimal funktionieren?
Nein, das macht mir keine Probleme. Als Spitzensportler lernt man das, letztlich werde ja ich für eine nicht genügende Leistung kritisiert. Also spreche ich kleine Probleme im Umfeld unmittelbar und direkt an.
Sechste These: Marco Odermatt bringt nichts mehr aus der Ruhe!
Das stimmt mehr oder weniger. Es kommt mir tatsächlich kein gutes Beispiel in den Sinn, wo ich die Ruhe verloren habe. Ich habe trotz noch nicht so langer Karriere jede erdenkliche Situation bereits erlebt und deshalb für jede Situation einen Plan.
Wann werden Sie ausserhalb des Wettkampfs nervös?
Wenn Dinge nicht funktionieren oder nicht nach Plan laufen. Ich bin nicht sehr geduldig.
Wann hatten Sie das letzte Mal Angst?
Respekt ist stets ein guter Begleiter, aber ein Angstgefühl hatte ich schon seit ewigen Zeiten nie mehr.
Bei welcher Gelegenheit haben Sie zuletzt so richtig herzhaft gelacht?
Das passiert sehr oft. Das letzte Mal am vergangenen Wochenende, als ich mit all meinen Kollegen das Saisonende gefeiert habe.
Was war in diesem Jahr Ihre bislang grösste Herausforderung?
In jedem Rennen meine Leistung derart konstant abzurufen.
Gibt es Tricks, wie Sie die enorme Erwartungshaltung zur Seite schieben können?
Da gibt es Hunderte von verschiedenen Tricks. Aber nicht ein Geheimrezept, das ich jetzt nennen könnte. Dazu gehören jahrelanges Mentaltraining, lange Vorbereitungen und viele Überlegungen, Rituale und Gespräche.
Können Sie ein, zwei Beispiele für solche Rituale nennen?
Da gibt es keine speziellen. Unter Ritual verstehe ich, den Tag hindurch stets den gleichen, bewährten Rhythmus zu haben. Diese Regelmässigkeit macht es aus.
Letzte These: Marco Odermatt träumt nachts von seinen Erfolgen!
Nein, das habe ich definitiv noch nie gemacht. Ich bin nicht so der Träumer, ich erinnere mich am Morgen praktisch nie bewusst an einen Traum. Und falls ich träume, sicher nicht von solchen Dingen.
Dann gibt es in Ihren Träumen keine Muster?
Wenn ich mit meiner Freundin vergleiche, erst recht nicht. Sie erzählt jeden Morgen von drei, vier verschiedenen Träumen. Und ich höchstens einmal pro Monat. Ich würde gerne mehr träumen.
Tatsächlich?
Ja, Träume sind doch spannend.
Meinungen von Sportlern sind immer häufiger auch zu Themen ausserhalb der eigenen Tätigkeit gefragt. Wie halten Sie es damit?
Das ist normal und natürlich. Damit habe ich mich abgefunden. Ich habe auch zu vielen Themen meine Meinung. Manchmal kann ich mich freier äussern, manchmal etwas weniger. Das ist sehr individuell. Ich entscheide jeweils spontan.
Wenn Umweltorganisationen fordern, dass Sie als Skifahrer sich dem Klimawandel doch bewusst sein müssten und darüber reden müssten, wie gehen Sie damit um?
Normal. Ich glaube, zu diesem Anliegen kann ich wegen meines Berufs nicht glaubwürdig stehen. Darum ist das Thema für mich schnell geklärt. Ich probiere meinen Beitrag dort zu leisten, wo es geht. Dass ich jedoch gezwungenermassen nicht den besten ökologischen Fussabdruck habe, ist bei meinem Leben und Beruf als Skirennfahrer logisch. Von mir gibt es aber auch keine Kritik zu hören an Umweltaktivisten, die ebenfalls einmal eine lange Flugreise unternehmen müssen für so eine Aktion. Es ist gut, gibt es diese Aktivisten.
Sportler sind populäre Botschafter für wohltätige Projekte. Auch Sie erhalten pro Woche mehrere Anfragen. Tut es weh, bei so vielen sinnvollen Dingen absagen zu müssen?
Ja sicher. Das ist sehr schwierig. Es gibt sehr viele spannende Organisationen. Auch sehr kleine, die dann von mir wünschen: «Nur schnell das.» Aber eben, das sind mittlerweile Hunderte. Darum habe ich mich bewusst für die Laureus- und die Wings-for-Life Stiftung entschieden. Diese beiden Partnerschaften pflege ich intensiv und mit deren Werte kann ich mich vollkommen identifizieren.
Sie rennen am 7. Mai in Zug auch selber am World Run von Wings for Life mit?
Ja, das mache ich sehr gerne. Die Forschung im Bereich Rückenmark ist ein sehr sinnvolles Anliegen. Gerade als Skirennfahrer ist mir bewusst, dass das Schicksal einer Querschnittlähmung theoretisch auch mich treffen könnte. Und beinahe jeder Mensch kennt eine Person im Umfeld, der ein solches Schicksal widerfahren ist. (aargauerzeitung.ch)
Ein Schweizer mit Identifikationspotenzial!
Auch kleine Verbesserungen sind erwünscht.
Aber sein tun ständig hinterfragen und auch anderen einen Denkanstoss zu geben kann man sehr wohl, auch als herumjetender Skistar.
Dieses Schwarz/Weiss Denken macht mich richtig hässig (auch bei anderen Themen)