Zweiter Startschuss für den Abstimmungskampf: Justizministerin Karin Keller-Sutter hat am Montag die wegen der Corona-Pandemie verschobene Kampagne gegen die Begrenzungsinitiative der SVP neu lanciert. Mit dabei waren dieses Mal auch die Sozialpartner.
Bereits am 11. Februar war Keller-Sutter vor die Medien getreten, um die Argumente des Bundesrats gegen die Begrenzungsinitiative darzulegen. Ein paar Wochen später wurde der Politbetrieb wegen der Pandemie lahmgelegt. Der im Mai angesetzte Abstimmungstermin fiel ins Wasser. Der nächste Urnengang findet nun am 27. September statt.
Die wohl gewichtigste der fünf Vorlagen ist die Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)» der SVP. Keller-Sutter hat Verstärkung geholt. Diesmal stand ihr nicht der oberste Kantonsvertreter zur Seite, dafür waren die vier Spitzen der Sozialpartner anwesend.
An der Begründung der ablehnenden Haltung zur Initiative hat sich nichts geändert. Bundesrat, Gewerkschaftsbund, Gewerbeverband, Arbeitgeberverband und Travail Suisse fürchten sich insbesondere vor dem Ende der bilateralen Beziehungen mit der EU, falls die Begrenzungsinitiative von Volk und Ständen angenommen würde.
Das Volksbegehren stellt den bilateralen Weg infrage. Es verlangt, dass das Freizügigkeitsabkommen mit der EU innerhalb eines Jahres neu verhandelt wird. Einen Erfolg halten sowohl Keller-Sutter als auch alle anderen Gegner der Initiative für unrealistisch.
Bei einem Scheitern der Verhandlungen müsste die Schweiz das Abkommen kündigen. Wegen der Guillotine-Klausel träten alle weiteren Verträge der Bilateralen I ebenfalls ausser Kraft. Die Schweiz würde gemäss einer Studie hunderte Milliarden Franken an Wirtschaftsleistung einbüssen. Auch die Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen stünden auf dem Spiel, mit entsprechenden Folgen für die Sicherheit, das Asylwesen oder den Grenzverkehr.
«Eine Annahme hätte schwerwiegende Folgen für die Arbeitsplätze und den Wohlstand in der Schweiz», sagte Keller-Sutter vor den Bundeshausmedien – dies zu einem Zeitpunkt, in dem die Wirtschaft Stabilität und Perspektiven brauche. Bei einem Ja zur Initiative hätte die Schweiz innerhalb eines Jahres einen vertragslosen Zustand. Die Verhandlungen mit der EU müssten wieder von vorne beginnen.
Gerade in der aktuellen Corona-Krise sei «keine Zeit für politische Experimente», sagte Keller-Sutter. Die Wirtschaft solle sich jetzt so rasch wie möglich erholen können und so konkurrenzfähig werden wie vor der Krise. «Es geht darum, unsere Arbeitsplätze und damit unseren Wohlstand zu sichern.»
Die SVP stellt indes die Nachteile der Personenfreizügigkeit ins Zentrum ihrer Argumentation für die Initiative. Sie fürchtet sich davor, dass die Löhne unter Druck geraten oder Arbeitskräfte verdrängt werden könnten.
Die Initiativgegner verweisen auf die Massnahmen zur Förderung des inländischen Arbeitskräftepotenzials. Dazu gehören die Stellenmeldepflicht in Berufen mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit, Weiterbildungsangebote und Jobcoaching oder die geplanten Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose.
Letztere hat das Parlament in der vergangenen Woche verabschiedet. Mit der Überbrückungsrente soll verhindert werden, dass Ausgesteuerte ab 60 Jahren in die Sozialhilfe abrutschen. Die SVP sprach sich als einzige Fraktion geschlossen gegen die Überbrückungshilfe aus und droht mit dem Referendum.
Die Schweizer Unternehmen seien auch in Zukunft auf Fachkräfte aus der EU angewiesen, lautet der Tenor der Sozialpartner. Ohne ausländische Arbeitskräfte könnten die Betriebe ihre Aufträge schlicht nicht mehr abarbeiten. Investitionen in das lokale Gewerbe und Arbeitsplätze wären gefährdet.
Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, wies darauf hin, dass sich gerade in der Corona-Krise die Systemrelevanz der KMU gezeigt habe. Es sei deshalb unverantwortlich den KMU den Zugang zu einem wichtigen Fachkräftepool zu verbauen.
Auch der Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, unterstrich die Bedeutung der Bilateralen: «Seit deren Einführung der Bilateralen Verträge haben in der Schweiz nicht nur die Reallöhne signifikant zugenommen, sondern es wurden auch deutlich mehr Arbeitsplätze für Einheimische geschaffen.»
Seitens der Gewerkschaften betonte der Waadtländer SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), dass die Begrenzungsinitiative den Druck auf die Löhne erhöhe. Laut Adrian Wüthrich, Präsident von Travail Suisse, würden mit der Aufhebung der Personenfreizügigkeit auch die flankierenden Massnahmen aufs Spiel gesetzt.
Am 27. September geht es nicht nur um den Erhalt der Bilateralen. Die Abstimmung gilt auch als Test für das institutionelle Abkommen. Ein solches verlangt die EU ultimativ, um die Rechtsentwicklung, die Überwachung, die Auslegung und die Streitbeilegung bei vorerst fünf Marktzugangsabkommen zu regeln. In der Schweiz ist ein Entwurf auf breiten Widerstand gestossen.
Bisher hat die EU Nachverhandlungen verweigert und sich allenfalls zu «Präzisierungen» bereiterklärt. Innenpolitisch besonders umstritten sind geplante Einschränkungen beim Lohnschutz, Schranken für staatliche Beihilfen und die unklare Situation bei der Unionsbürgerrichtline. Das geplante Schiedsgericht dürfte ebenfalls weiter zu reden geben.
Auch wenn die Differenzen beim Rahmenabkommen noch gross sind: Für die Begrenzungsinitiative kämpft die SVP alleine. Das war auch bei der angenommenen Masseneinwanderungsinitiative der Fall. Damals hatte die Allianz der Sozialpartner nicht funktioniert. Das soll dieses Mal anders sein. (sda)
Man muss als erstes mal aufhören, "Billiglohnkräfte" mit Fachkräfte-Mangel zu rechtfertigen. Wir haben in den wenigsten Fällen einen wirklichen Fachkräftemangel, aber ihr Potential wird nicht ausgenützt und sind dann zu teuer. Ist halt auch schwieriger, Menschen zu führen die selber Denken können (lernt man in einem EMBA-Praktikum in den USA sicher nicht).
Zudem hat sich die SVP in der Arena verplappert - letztendlich wollen sie einfach Chinesen und Inder statt Europäer...