Die Seuchenliste umfasst mittlerweile mehr als 40 Staaten, darunter viele aus dem Balkan. Wer aus einem solchen Land mit erhöhtem Ansteckungsrisiko in die Schweiz zurückkehrt, muss sich seit dem 6. Juli bei den Behörden melden und zehn Tage lang in Quarantäne begeben. Bis jetzt haben sich hierzulande fast 8000 Rückkehrer freiwillig abgeschottet. Wie viele Personen sich um die Quarantänepflicht foutieren, können die Kantone kaum einschätzen. Einige Sünder haben sie mit punktuellen Kontrollen bereits erwischt. Fehlbaren drohen Bussen bis zu 10 000 Franken.
In einem Kanton gehen die Wogen derzeit besonders hoch. Grossrat Fabrizio Sirica, Co-Präsident der SP, wirft der Regierung vor, sich Methoden totalitärer Staaten zu bedienen. Stein des Anstosses ist eine Medienmitteilung der Gesundheitsdirektion von letzter Woche. Darin heisst es unter anderem, Privatpersonen sollen mögliche Verstösse der Quarantänepflicht der Polizei melden.
Angegeben sind eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer. Für Sirica handelt es sich um einen Aufruf zum Denunziantentum mit dem Potenzial, das soziale Klima zu vergiften und Misstrauen unter Nachbarn zu säen. Der Kanton funktioniere seine Bürger damit quasi zu Polizisten um. Der SP-Politiker befürchtet, dass einige Bürger ihre Mitmenschen vielmehr wegen persönlichen Animositäten anstatt um Sorge wegen des Gemeinwohls anschwärzen könnten.
In einem Vorstoss will Sirica von der Tessiner Regierung wissen, wie sie diesen Aufruf werte, ob sie diese Praxis weiterführe und wie viele Meldungen durch Bürger bereits eingegangen seien. Unterstützung erhält Sirica von Nenad Stojanovic. Der Politologe und ehemalige Tessiner SP-Grossrat warnte via Facebook davor, eine gefährliche Büchse der Pandora zu öffnen.
«Solche Praktiken kennen wir von totalitären und autoritären Staaten», ergänzte er gegenüber dem Portal «Ticinoonline». In der DDR zum Beispiel hätten die Nachbarn einander ausspioniert. Er wünsche sich, dass der Aufruf annulliert werde. Und er hoffe, dass es sich um ein Versehen eines Departementmitarbeiters handle.
Regierungspräsident Norman Gobbi weist den Vorwurf zurück, der Kanton rufe zum Denunziantentum auf. «Es gilt, aufmerksam zu bleiben. Es geht nicht um eine Hexenjagd», sagte er gegenüber dem Radio der italienischsprachigen Schweiz. Das Ziel laute keinesfalls, dass die Bevölkerung falsche Anschuldigungen mache und ihre Nachbarn damit in Schwierigkeiten bringe.
Wer einen möglichen Verstoss meldet, muss den auch Name und Adresse hinterlassen. Anonyme Anschuldigungen toleriert das Tessin keine. Auf Nachfrage unserer Zeitung ergänzt Gobbi: «Die Möglichkeit, das Missachten der Quarantänepflicht zu melden, ist kein Aufruf zur Denunziation. Vielmehr erlaubt es diese Massnahme den Bürgern, sich zu schützen, wenn Regeln ignoriert oder willentlich gebrochen werden.»
Schon bevor der Kanton die Nummer bezüglich der Quarantänepflicht kommunizierte, meldeten zahlreiche Bürger potenzielle Sünder - jedoch an viele unterschiedliche Stellen. «Wir wollen diese Anrufe auf eine einzige Stelle kanalisieren, damit nicht Notfallnummern verstopft und überlastet werden», sagt Gobbi. Der Regierungspräsident weist zudem darauf hin, dass die Kantone Ferienrückkehrer aus Risikoländern nur beschränkt identifizieren könnten.
In der Tat liegt der Ball beim Bund, der für die Grenzkontrolle zuständig ist. Wer mit dem Auto in die Schweiz einreist, kann die Quarantänepflicht jedoch einfach umgehen. Im Tessin akzentuiert sich das Problem, da viele Ferienrückkehrer im Flughafen Malpensa landen und dann ins Tessin fahren. Im Südkanton befinden sich derzeit 200 Rückkehrer aus Risikoländer in Quarantäne.
zu unserer eigenen Sicherheit versteht sich.
Wenn ich schon meinen Nachbarn oder Mitarbeiter verpfeifen will, kann ich ihm sein Fehlverhalten auch gleich selber Kund tun.