Die Schweiz wählt, heisst es in acht Tagen - wobei korrekter wäre: Ein Teil der Schweizerinnen und Schweizer wählt. Denn bei vielen landen die Wahlzettel im Altpapier statt in der Urne. Bei den nationalen Wahlen vor vier Jahren fiel die Beteiligung überraschend tief aus: Sie sank auf nur 45.1 Prozent, trotz Klimademos und Frauenstreik.
Ist die Lust zum Wählen diesmal grösser? Ein Indiz liefern die brieflichen Stimmen, die derzeit bei den Gemeinden eintrudeln. Anfragen bei verschiedenen Verwaltungen ergeben jedoch keinen klaren Trend: In der Stadt Bern beispielsweise haben bisher nur 19.8 Prozent gewählt, deutlich weniger als zum gleichen Zeitpunkt 2019 (21.5 Prozent). In Basel-Stadt haben hingegen bereits 25.2 Prozent gewählt, fast gleich viele wie vor vier Jahren. Auch in Zürich hat bereits jeder Vierte gewählt - tendenziell leicht mehr als 2019.
Eine höhere Beteiligung melden Lausanne, Biel und Aarau sowie Genf. Auf der anderen Seite verzeichnen St. Gallen, Thun und der Kanton Neuenburg bislang eine tiefere Beteiligung; Luzern und Winterthur eine etwa gleich hohe. Ein uneinheitliches Bild, ohne klare Tendenz.
Laut dem jüngsten SRG-Wahlbarometer wird die Bedeutung der Wahlen derzeit tiefer eingeschätzt als vor vier Jahren. Das sei ein Indiz dafür, dass die Wahlbeteiligung eher sinken könnte, heisst es im Bericht. Ob tatsächlich weniger den Wahlzettel einwerfen, lasse sich aber nicht vorhersehen, sagt Michael Hermann, Leiter des Forschungsinstituts Sotomo: «Es ist ein Indiz, mehr nicht.»
Wie hoch die Wahlbeteiligung ausfallen werde, wisse niemand. Eine Prognose wagt Hermann: Grosse Sprünge dürfte es nicht geben. «Die Erfahrung lehrt, dass sie sehr ähnlich sein wird wie vier Jahre zuvor.»
Die Wahlbeteiligung war über Jahrzehnte kontinuierlich gesunken - bis Mitte der 1990er-Jahre. «Dann brachte der Aufstieg der SVP Zunder ins Spiel und die Beteiligung stieg», sagt Hermann. Sie sei dann stabil bei etwas über 48 Prozent gelegen und 2019 eher überraschend leicht gefallen. Die 45.1 Prozent waren der dritttiefste Wert.
Dass es nun wieder einen Sprung nach oben gebe, glaubt Politikwissenschafter Georg Lutz nicht. Er geht davon aus, dass die Wahlbeteiligung ähnlich oder leicht tiefer ausfallen wird. «Es würde mich überraschen, wenn es einen Zuwachs gäbe», sagt der Direktor des Forschungszentrums FORS in Lausanne. Er sehe keine Anzeichen für eine überdurchschnittliche Mobilisation.
Mit der Abwahl von Ruth Metzler (CVP) 2003 und Christoph Blocher (SVP) 2007 aus dem Bundesrat sei die Wahlbeteiligung vorübergehend gestiegen. «Wenn es um die Zusammensetzung der Regierung geht, mobilisiert das offensichtlich», sagt Lutz. Doch diesmal sei eine Änderung der Zusammensetzung des Bundesrats unwahrscheinlich.
Im internationalen Vergleich ist die Wahlbeteiligung in der Schweiz tief. Das hat erstens damit zu tun, dass das Stimmvolk dank Abstimmungen regelmässig mitentscheiden kann, wie Lutz sagt. «Zweitens haben die Parlamentswahlen - anders als in anderen Ländern - kaum je Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Regierung.»
Daneben gebe es individuelle Gründe für die Wahlbeteiligung. Lutz hat nach den nationalen Wahlen 2019 zusammen mit seinem Team untersucht, wer aus welchen Gründen wählte - oder dies nicht tat. Dabei zeigten sich dieselben Muster wie bei früheren Wahlen: Ältere wählen häufiger als Jüngere, Männer häufiger als Frauen. Auch gut ausgebildete Personen und Besserverdienende gehen überdurchschnittlich oft an die Urne. (bzbasel.ch)