Die Steinfliege gewinnt vor dem Bundesgericht gegen zwei Oberwalliser Gemeinden. Diese hatten für ein Kraftwerk Wasserrechte erteilt, die den Lebensraum dieses bedrohten Insekts gefährden.
Die Gemeinden Kippel und Ferden VS planen, das Wasser des Färdabachs und des Krummbachs in einer Höhe von etwa 1800 bis auf 1300 Meter über Meer zu nutzen. Zu diesem Zweck haben sie einer Gesellschaft eine Konzession erteilt, die sich in ihrem Besitz befindet. Das Kraftwerk soll durchschnittlich rund 7.1 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr produzieren.
DIE WWF-Sektion Oberwallis und eine Privatperson stellten sich gegen das Projekt. Sie sind der Ansicht, dass die saisonalen Restwassermengen von 19 und 50 Liter pro Sekunde den Lebensraum mehrerer Insekten gefährdeten – insbesondere der Steinfliege «Leuctra schmidi», die auf der Roten Liste der gefährdeten Arten in der Schweiz steht.
Nachdem die Walliser Justiz die Klage gegen die Konzession abgewiesen hatte, wandte sich die Privatperson ans Bundesgericht. In einem am Dienstag veröffentlichten Entscheid hat es die Entscheidungen der Gemeinden über die Wasserrechte aufgehoben und den Fall an den Kanton zurückgewiesen.
Die Walliser Behörden stützten sich nur auf das von der Wassergesellschaft erstellte Gutachten. Zu jenem der Gegner äusserten sie sich nicht. Nun müssen sie die Auswirkungen der Verringerung der Wassermengen auf die empfindliche Steinfliege weiter untersuchen.
Der Kanton muss dabei auf weite Sicht hinaus planen, da die Konzessionen für 80 Jahre erteilt werden. Die Behörde muss insbesondere die Klimaerwärmung mitberücksichtigen, aufgrund welcher die Flussläufe zu bestimmten Jahreszeiten austrocknen könnten, wenn grosse Wassermengen entnommen würden.
In seinen Erwägungen hat das Bundesgericht betont, dass die Produktion des Kraftwerks unter der für Infrastrukturen von nationaler Bedeutung festgelegten Grenze von 20 GWh liegen wird. Sie werde kaum zur Versorgungssicherheit des Landes beitragen. Zudem sei das wirtschaftliche Interesse der Gemeinden an der Realisierung des Projekts begrenzt, da die kostendeckende Vergütung die Baukosten kaum überstiegen werde.
Unter diesen Umständen könne die Anlage nur genehmigt werden, wenn eine Störung des Lebensraums des empfindlichen Insekts ausgeschlossen werden kann, schlussfolgern die Richter.
Urteil 1C_401/2020 vom 1.3.2022
(sda)