Der Nationalrat will es Wehrpflichtigen erschweren, ihren Dienst statt bei der Armee im Zivildienst zu leisten. Er hat sich hinter umstrittene Vorschläge des Bundesrates gestellt, die der Armee zu mehr Personal verhelfen sollen. Ein Referendum steht bereits im Raum.
Der Nationalrat hiess am Mittwoch das geänderte Zivildienstgesetz mit 119 zu 73 Stimmen bei einer Enthaltung gut. Die Ja-Stimmen kamen von SVP, FDP und Mitte-Partei, die Nein-Stimmen von SP, Grünen, GLP und EVP.
Zwischen Armee und Zivildienst gebe es keine Wahlfreiheit, argumentierte die Mehrheit. Der Zivildienst solle wieder zur verfassungsmässigen Sonderlösung für Dienstpflichtige mit Gewissenskonflikt werden.
Nur ein echter Gewissenskonflikt, aber nicht persönliche Neigungen solle über den Zugang zum Zivildienst entscheiden, sagte Martin Candinas (Mitte/GR). Heinz Theiler (FDP/SZ) warnte, dass die Armee nicht rechtzeitig für neue Herausforderungen bereit sein könnte. «Die Sicherheitslage in Europa hat sich dramatisch verändert.»
«Schlicht skandalös» nannte Stefanie Heimgartner (SVP/AG) die Zahl der Zulassungen zum Zivildienst. Die Wehrpflicht solle nicht mehr über den Zivildienst auf bequeme Art umgangen werden können. Sie plädierte für die Wiedereinführung der Gewissensprüfung. «Ein Formular oder ein Tatbeweis reichen nicht aus.»
Die Minderheit nannte die Vorlage unnötig. Der Zivildienst sei eine sinnvolle Alternative zum Militärdienst, sagte Gerhard Andrey (Grüne/FR). Linda de Ventura (SP/SH) sprach von einem «Frontalangriff» auf den Zivildienst.
«Massnahmen mit Strafcharakter» würden der Armee nicht helfen, ergänzte Priska Seiler Graf (SP/ZH). Die Zulassungen zum Zivildienst gefährdeten die Armee nicht. Katja Christ (GLP/BS) gab zu bedenken, dass die Neuerungen junge Männer vermehrt dazu bringen könnte, sich aus dem Dienstpflichtsystem zu verabschieden.
Die Minderheit versuchte ohne Erfolg, die Vorlage abzuschwächen. Sie lehnte zum Beispiel eine Zivildienstpflicht von mindestens 150 Tagen ab. Die Bestimmung verstosse das verfassungsmässige Rechtsgleichheitsgebot. Ein Zivildienst könne bis zu 150 Mal länger sein als der Rest-Dienst in der Armee, sagte Fabian Molina (SP/ZH).
Im Fokus der Vorlage stehen Personen, die erst nach einen erheblichen Teil des Militärdiensts zum Zivildienst wollen. Nicht nur soll der Zivildienst mindestens 150 Tage dauern, sondern der Faktor «1,5 Zivildiensttage pro Militärdiensttag» soll neu auch für Offiziere und Unteroffiziere gelten.
Im Zivildienst soll neu eine jährliche Einsatzpflicht gelten. Das ist eine Angleichung des Dienstleistungsrhythmus von Militär- und Zivildienst. Wird ein Gesuch während der Rekrutenschule bewilligt, müssen Zivildienstler ihren langen Einsatz spätestens bis zum Ende des Jahres nach der Zulassung leisten, früher als heute.
«Für Arbeitgeber und Dienstpflichtige ist das maximal ungünstig», kritisierte Linda de Ventura (SP/SH). Der Rat wollte aber nichts davon wissen, diese Bestimmung zu streichen oder die Frist bis zum zweiten Jahr nach der Zulassung zu verlängern.
Zivildienst-Einsätze, die ein Human-, Zahn- oder Tiermedizinstudium erfordern, will der Nationalrat nicht mehr. Den Antrag von Beat Flach (GLP/AG), diesen Passus zu streichen, lehnte der Rat ab. Und wer seine Ausbildung in der Armee beendet hat, kann nicht mehr zum Zivildienst wechseln.
Eine ähnliche Vorlage versenkte der Nationalrat im Sommer 2020. Seither nahmen beide Räte eine SVP-Motion an, die zur Neuauflage führte. Widerstand regt sich: Der Schweizerische Zivildienstverband Civiva will ein Referendum ergreifen, sollte der Ständerat dem Nationalrat folgen.
Auslöser der Vorlage ist die hohe Zahl der Zulassungen zum zivilen Ersatzdienst. 2023 leisteten 6754 Wehrpflichtige Zivildienst, 2019 waren es 6088. Als Ziel gesetzt hat der Bundesrat 4000 Zivildienstleistende pro Jahr.
Der seit 2009 geltende Tatbeweis für den Wechsel von der Armee zum Zivildienst soll gemäss der Vorlage zwar bleiben. Doch die Gewissensprüfung ist wieder auf dem Tapet: Der Nationalrat lässt vom Bundesrat eine Wiedereinführung prüfen. Gegen den Willen von SP, Grünen, GLP und EVP nahm er dazu am Mittwoch ein Postulat an. (leo/sda)
Dann wurde die Gewissensprüfung abgeschaft weil, so dachte ich, auch die zuständigen Behörden gemerkt haben dass man so etwas wie ein Gewissen gar nicht staatlich prüfen kann.