Ich besitze eine vergoldete Armbanduhr. Klebt Blut daran?
Mark Pieth: Das lässt sich nicht so einfach sagen. Die Auffassungen gehen auseinander. Die offizielle Schweiz und die hier ansässigen Raffinerien sagen, man könne nicht ausschliessen, dass es dreckiges Gold gibt, aber der Anteil sei gering. So steht es im Bericht des Bundesrats zum Goldhandel. Der Inhaber der Raffinerie Argor-Heraeus hingegen hat einmal in einem Interview gesagt: «Es gibt keine Möglichkeit in dieser Branche, sauberes Gold zu raffinieren.» Er ist ein Insider, er muss es eigentlich wissen.
Hat Sie das motiviert, ein Buch zum Thema Gold zu schreiben?
Meine «Klassiker» sind Korruptionsabwehr und Geldwäscherei, ich bin seit mehr als 25 Jahren in diesem Bereich tätig. Das Thema Rohstoffe hat mich auch interessiert, aber damit waren andere Leute beschäftigt. Sie haben gute Arbeit geleistet. Dann aber wurde mir bewusst, dass die Schweiz im Goldbereich stark exponiert ist, verbunden mit einem enormen Risiko.
Was heisst das konkret?
Die Schweiz führt rund 70 Prozent des neu geschürften Goldes ein und den grössten Teil wieder aus. Nicht alles wird umgeschmolzen, aber wenn die Schweiz nur schon 50 Prozent des Goldes verarbeitet, sind wir eine Weltmacht. Das mag finanzielle Vorteile bringen, ist aber auch mit Risiken verbunden, denn Gold hat oft einen schwierigen Ursprung. Das bestreitet niemand.
Die teilweise prekären Verhältnisse bei der Goldförderung sind bekannt.
Der Bundesrat hat dies in seinem Bericht bestätigt. Die Herkunft des Goldes sei heikel, deshalb müsse es Regeln geben. Bis zu diesem Punkt bin ich mit ihm absolut einverstanden. Ich habe auch nichts gegen die Selbstregulierung der Industrie. Es ist gut, dass sie Verantwortung übernehmen will. Nur schafft sie das nicht. Ich weiss das durch meine eigenen Recherchen und Berichte von Nichtregierungsorganisationen. Auch die OECD, die ich durch meine langjährige Tätigkeit sehr gut kenne, bestätigt, dass die Selbstregulierung beim Gold nicht funktioniert.
Was sind die Gründe dafür?
Man geht nicht bis zu den Minen zurück, sondern nur bis zum letzten Zwischenhändler. Wenn dort alles in Ordnung ist, begnügt man sich damit, auch wenn sich dahinter jede Menge Dreck befindet. Also geht man zu einem Importeur mit gutem Ruf und kümmert sich nicht darum, dass das gelieferte Gold aus Kinder- oder Sklavenarbeit stammen könnte, verbunden mit Umweltzerstörung und organisiertem Verbrechen.
Keine schöne Ausgangslage, wenn man eine Uhr oder ein Schmuckstück aus Gold anschaffen will.
Wer sich einen Ehering machen lässt, will sicher nicht, dass das verwendete Gold von Kindern geschürft wurde. Gerade in diesem Bereich aber ist das Problem dramatisch, es handelt sich um eine der schlimmsten Formen von Kinderarbeit. Zehnjährige Kinder werden in enge Schächte gesteckt. Sie müssen mit Quecksilber hantieren oder schwere Lasten schleppen. Häufig arbeiten sie auch als Sklaven, zum Beispiel in Burkina Faso. Sie werden von ihren Familien verkauft.
Kann man nichts dagegen unternehmen?
Das Gold aus Burkina Faso wird häufig in Nachbarländer geschmuggelt. Zum Beispiel nach Togo. Dort gibt es kein Gold. Die Schweizer Handelsstatistik aber hat sehr viel Gold aus Togo ausgewiesen. Da fragt man sich, wo es herkommt.
Sie erwähnen im Buch das Beispiel Uganda. Dort gibt es ebenfalls kaum Gold. Man geht davon aus, dass das von dort exportierte Gold eigentlich aus dem Kongo kommt.
Woher sonst? Es gibt UNO-Berichte, die dies nachweisen. Man kennt Namen und Herkunft, die ganze Lieferkette wurde aufgezeigt. Die Bundesanwaltschaft hat in einem Verfahren gegen eine Raffinerie einen entsprechenden Bericht erstellt. Das Gold wurde erst nach Kampala geflogen, dann nach Jersey und von dort in die Schweiz. Der Bundesanwalt hat von Kriegsverbrechen gesprochen, trotzdem wurde das Verfahren gegen die Raffinerie eingestellt, weil man nicht nachweisen konnte, dass sie über die wahre Herkunft Bescheid wusste. Dabei ist allgemein bekannt, dass es in Uganda kein Gold gibt und es aus dem Nachbarstaat stammen musste.
Könnte Ihr Buch etwas bewirken?
Das geschieht möglicherweise bereits. Nach ersten Medienberichten hat die in Neuchâtel ansässige Raffinerie Metalor die Flucht nach vorne ergriffen und angekündigt, kein Gold aus artisanalen Minen mehr anzunehmen. Das aber ist eine heikle Sache. 80 Prozent des Goldes kommt aus Industrieminen und 20 Prozent aus kleinen, so genannt artisanalen Minen. Dahinter stehen häufig verarmte Gemeinschaften, die das Gold unter prekären Bedingungen aus dem Boden holen. Rund 100 Millionen Menschen weltweit sichern sich damit ihren Lebensunterhalt. Für sie ist es ein Problem, wenn das Gold nur noch von Industrielieferanten bezogen wird. Diese sind oft nicht besser. Ich schildere in meinem Buch ein Beispiel aus Ghana. Professionell heisst nicht sauber.
Was bedeutet das konkret?
Die grossen Minen verwenden kein Quecksilber, um das Gold aus dem Gestein zu extrahieren, sondern Cyanid. Dieser Stoff ist hochgiftig. Von einem Teelöffel mit zweiprozentigem Cyanid stirbt man sofort. In den Minen gibt es eigentliche Cyanidseen, die nicht immer dicht sind. In Rumänien hat ein solcher See nach einem Dammbruch die gesamte Donau bis zur Mündung ins Schwarze Meer verseucht.
Aus Ihrer Sicht ist der «Kurswechsel» von Metalor fragwürdig?
Er hat sozial negative Konsequenzen und geht ökonomisch nicht auf. Die Raffinerien kämpfen alle um Gold. Jährlich werden rund 3200 Tonnen gefördert. Nimmt man das Recycling-Gold hinzu, kommt man vielleicht auf 4500 Tonnen. Die weltweite Kapazität der Raffinerien aber beträgt rund 20'000 Tonnen. Ein anderer Raffineur in der Schweiz hat mir gesagt, er könne auf die 400 Tonnen aus artisanalen Minen nicht verzichten. Zwei der fünf Schweizer Raffinerien verzichten nun auf derartiges Gold. Aber diese Strategie geht nicht auf und entspricht nicht den Vorschlägen der OECD. Sie fordert die Raffinerien auf, sich Mühe zu geben. Ausserdem gibt es die so genannte Better Gold Initiative, die vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) unterstützt wird und der sich alle Raffinerien angeschlossen haben. Sie ist darauf ausgerichtet, den kleinen Minen zu helfen, auf einen grünen Zweig zu kommen.
Was ist von Zertifikaten wie Fairmined und Fairtrade zu halten?
Sie machen an sich Sinn. In Minen, die sich an die Vorgaben der Better Gold Initiative halten, wird das Gold in der Regel ohne Einsatz von Quecksilber gewonnen. Aber dafür gibt es keine Garantie. Ich wollte in Peru eine «Better Gold»-Mine besuchen. Der Empfang war nicht besonders freundlich. Als wir uns mit den Leuten unterhielten, gaben sie zu, Quecksilber zu verwenden. Fairmined und Fairtrade anerkennen, dass Quecksilber im Moment ein notwendiges Übel ist. Aber man muss Schutzmassnahmen für Mensch und Umwelt ergreifen. Als ich das in besagter Mine kontrollieren wollte, wurde uns das verweigert. Das deutet nicht darauf hin, dass besonders seriös gearbeitet wird.
Was kann man dagegen tun?
Man sollte eben nicht auf Gold aus artisanalen Minen verzichten. Sonst gehen die nach Dubai mit ihrem Gold, und das wäre auch nicht sinnvoll. Es wäre besser, die Einhaltung der Zertifikate zu kontrollieren. Ein grosser Teil des Goldes wird in China, Indien und im Mittleren Osten verbraucht. Aber in den USA und Europa könnten wir uns zumindest Mühe geben und gewisse Lieferketten etablieren, damit man weiss, woher das Gold kommt. Hier wären Fairmined und Faitrade gefordert.
Ist die Branche überhaupt an Transparenz interessiert?
Darüber reden tun alle. Aber wenn man die Raffinerie Valcambi im Tessin besucht, stellt man fest, dass nur eine von zehn Fabrikationsstrassen so genanntes «Green Gold» verarbeitet. Und man erfährt nicht, woher das Gold stammt. Es gibt Versprechungen und ein gewisses Bewusstsein, aber oft heisst es, als einzelnes Unternehmen könne man wenig bewirken. Aber in der London Bullion Market Association sind 70 Raffinerien vereinigt, die besten der Welt. Zusammen könnten sie es schaffen und die Minen kontrollieren. Was ich allein gemacht habe, könnten die erst recht.
Sie haben in Peru die Minenstadt La Rinconada in der Nähe des Titicacasees besucht, die sie als «dreckigsten Ort der Welt» bezeichnen.
Er liegt auf über 5000 Meter. Auf dem Weg dorthin fährt man während fünf Kilometern an Abfällen mit Geiern vorbei. Im Ort selber gibt es keine Kanalisation, das Abwasser fliesst auf der Strasse. Und das ist nicht einmal das Schlimmste. An den Häusern sieht man kleine Kamine. Sie haben nichts mit Heizungen zu tun. Man dampft das Amalgamat aus Gold und Quecksilber ab. Das bedeutet, dass Quecksilber auf diesem Weg in die Luft geleitet wird. Es setzt sich auf dem nahe gelegenen Gletscher ab, aus dem das Trinkwasser bezogen wird. Man trinkt in La Rinconada ständig verseuchtes Wasser. Die Lebenserwartung ist gering, sie beträgt etwa 50 Jahre.
Ein anderer berüchtigter Ort ist Madre de Dios im Amazonasgebiet.
Dort ist es noch schlimmer. In La Rinconada herrscht Informalität. Es geht zu wie in einem Casino. Findet man Gold, hat man Glück gehabt, sonst eben nicht. Alle Menschen sind bewaffnet, es gibt keine Polizei. Es ist gefährlich, aber es gibt kein organisiertes Verbrechen. Das ist in Madre de Dios anders. Dort gibt es organisiertes Verbrechen, systematisches Abholzen des Nationalparks und Frauen, die entführt und in die Zwangsprostitution gezwungen werden. Selbst der peruanische Ministerpräsident, mit dem ich reden konnte, bezeichnet die dortigen Zustände als illegal.
Trotzdem scheint der Wille gering zu sein, etwas zu unternehmen. Sie schreiben selber, dass auch das dreckigste Gold einen Abnehmer findet.
In China oder Indien ist Better Gold kein grosses Thema. Die Schweiz vergleicht sich mit solchen Ländern, aber nicht mit der EU. Diese will die OECD-Regeln bis 2021 gesetzlich verpflichtend machen. Das Seco stellt sich auf den Standpunkt, die EU werde das nicht schaffen, doch damit ist das Anliegen ja nicht falsch. Die Richtlinie der OECD wird allgemein akzeptiert. Und die Schweiz ist eine Grossmacht, sie importiert gegen 70 Prozent des geschürften Goldes. Wir müssen uns anders verhalten. Wenn die EU etwas machen kann, können wir das auch.
Die Schweiz scheint auf Zeit zu spielen. Was ist der Grund dafür?
Mich erinnert das ein wenig an frühere Geschichten wie Geldwäscherei und Steuerhinterziehung. Das Thema ist sehr riskant, auch für den Fall, dass die Konzernverantwortungsinitiative zur Abstimmung kommen sollte. Am meisten darunter leiden wird Economiesuisse. Für sie ist das Thema äusserst unangenehm. Man verdient nicht so viel mit dem Gold. Die Gewinnmarge der Raffinerien ist klein, und es handelt sich um KMU. Gleichzeitig beschädigt es den Ruf der Schweizer Wirtschaft massiv.
Umso mehr fragt man sich, warum die Schweiz sich daran klammert.
Es gab einen Grund, warum die Schweiz gross ins Goldgeschäft eingestiegen ist, und der ist nicht besonders schön. Es begann mit dem Nazi-Gold und setzte sich fort mit dem Apartheid-Gold. Damals baute man die Raffinerien in der Schweiz. Man hat das Gold aus Südafrika systematisch umgeschmolzen und faktisch gewaschen. Darum heisst das Buch auch «Goldwäsche». Man konnte damit die UNO-Sanktionen gegen Südafrika umgehen. Heute sind die Raffinerien fast alle in ausländischer Hand. Man müsste sich aus Sicht von Economiesuisse fragen, ob dieser relativ kleine und gleichzeitig sehr angreifbare Wirtschaftssektor nicht schädlich ist für die Schweiz.
Sie haben die Konzernverantwortungsinitiative angesprochen. Könnte sie etwas ausrichten?
Man könnte auf gesetzlichem Weg relativ einfach etwas machen. Es gibt ein Edelmetallgesetz und eine zugehörige Verordnung. Darin heisst es, man dürfe kein illegales Gold annehmen. Das bezieht sich aber nur auf gestohlenes Gold. Man könnte den Artikel ausdehnen auf die Herkunft. Man könnte auch das Geldwäschegesetz ändern. Ihm ist praktisch nur raffiniertes Gold unterstellt, und nicht das Doré genannte Rohprodukt. Man könnte mit den existierenden Gesetzen sehr viel machen. Die Konzernverantwortungsinitiative braucht es nicht für das Gold. Sie ist möglicherweise nicht einmal anwendbar. Ich persönlich könnte auch mit einem Gegenvorschlag leben.
Die grossen Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse wollen davon nichts wissen, aber ausgerechnet der Rohstoffhandel befürwortet einen Gegenvorschlag.
Das Risiko ist relativ gross, dass die Initiative angenommen wird. Wenn man weiss, dass unser Reichtum mit Kinderarbeit verbunden ist und sich dies mit Fotos belegen lässt, sagen viele Leute, dass sie das nicht mitmachen. Nicht nur Linke sind für die Initiative, sondern auch die Landeskirchen. Grosse Teile der CVP sind für einen Gegenvorschlag. Aber für die Regulierung des Goldhandels braucht es die Konzernverantwortungsinitiative nicht.
Der Wille zu einer besseren Regulierung scheint aber nicht vorhanden zu sein.
Der Bundesrat hat versagt mit seinem Bericht zum Goldhandel. Er will einfach abwarten, bis die anderen etwas machen. Und eigentlich soll die Branche die Sache selber regeln.
Beim Bericht zum Rohstoffhandel war es nicht anders. Er zeigt die damit verbundenen Probleme klar auf und setzt am Ende doch auf Selbstregulierung.
Der Rohstoffbericht liest sich in der ersten Hälfte wie ein Papier der Erklärung von Bern (lacht). Das Problem ist, dass er von verschiedenen Ämtern geschrieben wurde. Die erste Hälfte stammt von der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit, und die zweite Hälfte vom Seco ...
... und dieses will keine Massnahmen, die der Branche schaden könnten.
Das ist ungeschickt. Die Schweiz hat nichts zu verlieren. Wir sind stark und könnten ein positives Bild abgeben.
Sie erwähnen im Buch die Blockchain. Wäre sie ein Ansatz, um die Lieferkette des Goldes fälschungssicher verfolgen zu können?
Es gibt erste Versuche. Das Problem beim Gold aber ist der Weg von der Mine zur Raffinerie. Bei grossen Unternehmen kann es mit der Blockchain funktionieren, aber nicht im kleinen Sektor. La Rinconada? No way!