Herr Flassbeck, Schweizer Unternehmen haben seit dem 15. Januar, als der Mindestkurs fiel, bereits rund 1000 Stellen gestrichen oder angekündigt, dass sie diese ins Ausland verlagern werden. Haben Sie das erwartet?
Heiner Flassbeck: Ja natürlich. Wer das nicht hat kommen sehen, ist naiv. Wenn für die Unternehmen die Kosten plötzlich um 15 bis 20 Prozent steigen, hat das grosse Auswirkungen. Für einen solchen Fall kann man nicht vorsorgen. Das glaubt höchstens der Präsident der Schweizerischen Nationalbank, aber er versteht offenbar nicht viel von der realen Wirtschaft.
Alle wussten, dass der Mindestkurs einmal fallen wird, weshalb hat man trotzdem nicht besser vorgesorgt?
In einem halbwegs normalen Wettbewerb können Unternehmen nicht einfach ein Polster von 20 Prozent und mehr anlegen. Das wäre einzig in monopolartigen Zuständen möglich. Unter Wettbewerbsbedingungen sind vernünftige Dispositionen unter einem Damoklesschwert unmöglich. Die Unternehmer können ihren Kunden nicht sagen: «Es kann sein, dass wir irgendwann die Preise erhöhen müssen, wir wissen aber nicht, wann.»
SNB-Präsident Thomas Jordan verstehe nicht viel von der realen Wirtschaft, sagen Sie. Was hätte er anders machen müssen?
Er hat den Entscheid zum Mindestkurs verkauft, als ob es um die Unabhängigkeit der Schweiz ginge. Das ist Unsinn. Die Unabhängigkeit der Schweiz ist eine Illusion geworden. Die Konsumenten strömen über die Grenze und decken sich im Ausland mit billigen Waren ein. Auf den Finanzmärkten ist die Schweiz unkontrollierbaren Kräften ausgeliefert und muss nun jeden Tag zittern, ob der Franken nicht noch stärker wird und so noch mehr Arbeitsplätze im Inland vernichtet werden. Und die Notenbank wird doch wieder intervenieren müssen.
Sind Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen die richtigen Massnahmen in der Krise?
Nein. Wenn man jetzt in der Schweiz die Löhne kürzt, schlägt man das einzige Standbein noch weg, nämlich die Binnennachfrage. Lohnkürzungen würgen den inländischen Konsum ab.
Was ist eine sinnvolle Alternative?
Es braucht ein Konjunkturprogramm des Bundes. Der Staat kann nicht so tun, als ginge ihn die Frankenaufwertung nichts an. Er muss Geld vom Kapitalmarkt nehmen und es im Inland ausgeben. Damit würde auch eine Umorientierung der Schweizer Wirtschaft eingeleitet: Weg von der Exportwirtschaft hin zur Binnenwirtschaft.
Das wird vorerst nicht passieren.
Nein, es ist ein Tabu. Aber ein dummes. Die Schweiz und Deutschland glauben, man könne selbst sparen, das Schuldenmachen, das zum Sparen ja dazugehört, aber immer ins Ausland verschieben und selbst Schuldenbremsen einführen. Das ist dumm und naiv zugleich.
Sie bezeichnen die Exportüberschüsse der Schweiz als «Falle». Was ist schlimm daran?
Die Schweiz versucht stets, ihr Probleme mit noch höheren Exportüberschüssen zu lösen. Diese Rechnung kann langfristig nicht aufgehen. Es gibt keine Defizitländer mehr, denn die verlieren bei dem Spiel permanent. Dagegen beginnen sie sich zu Recht immer heftiger zu wehren. Der Versuch, Arbeitslosigkeit zu exportieren, ist in der Schweiz jetzt endgültig gescheitert.
Was erwarten Sie von den Gewerkschaften?
Sie müssen höhere Löhne fordern. Die Löhne müssen sogar stärker steigen als in der Vergangenheit. Nur so wird der Binnenmarkt angekurbelt und verhindert, dass die Schweiz auf Kosten ihrer Handelspartner die Arbeitslosigkeit tief hält.
Wie schlimm wird die Jobkrise in der Schweiz?
Ich fürchte, die Schweiz wird durch eine schwere Rezession gehen müssen. Wie viele Jobs dabei verloren gehen, kann ich nicht abschätzen. Das hängt auch davon ab, wie sich der Kurs des Frankens entwickeln wird. Ein Kurs von unter einem Franken wäre für die Arbeitsplätze eine Katastrophe. Ich würde der SNB raten, den Kurs mindestens bei 1.10 wieder zu fixieren. Ich bin aber auch überzeugt, dass die SNB bereits wieder auf den Märkten interveniert, dies aber nicht öffentlich macht.