Abgeschlagen auf Platz 63. Dort liegt Katar, jedenfalls im Ranking der wichtigsten Schweizer Handelspartner. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern betrug im vergangenen Jahr nur gerade etwas über 700 Millionen Franken, vor Corona war es ungefähr doppelt so hoch. Das Muster hingegen ist unverändert: Die Warenströme fliessen vor allem in eine Richtung: von der Schweiz nach Katar – und zwar vor allem in Form von Schmuck und Uhren, Edelmetallen sowie pharmazeutischen Produkten.
Die Importe aus dem Wüstenstaat sind hingegen vernachlässigbar, auch weil die Schweiz keine Abnehmerin vom katarischen Hauptexportartikel ist: vom Gas. Jedenfalls bis jetzt nicht.
Doch Katar will ohnehin mehr sein als nur eine Gasquelle. Wie all die anderen Golfstaaten hat das Land vor ein paar Jahren realisiert, dass dieses einzig auf fossile Energieträger basierende Geschäftsmodell nicht nachhaltig ist. Diversifikation, heisst seitdem dem die Losung. Und da kommt die Endrunde der Fussballweltmeisterschaft, die am Sonntag, 20. November, angepfiffen wird, gerade recht. Insgesamt soll Katar im Hinblick auf das Fussballfest gut 200 Milliarden Dollar investiert haben – was wiederum Firmen aus der ganzen Welt lukrative Aufträge beschert hat.
Wobei nicht alle Länder gleich stark profitiert haben. Der Erfolg der Schweizer Unternehmen jedenfalls fiel eher bescheiden aus. Die grosse Ausnahme ist das Thurgauer Unternehmen Nüssli. Der Tribünenbauer errichtete in weniger als 250 Tagen beim Education City Stadium in der Stadt ar-Rayyan, das nun für 40'000 Zuschauer Platz bietet und Austragsort mehrerer Gruppenspiele ist, ein gekühltes, abbaubares Tribünensystem mit 16'500 Sitzplätzen. Dieses wird nach der WM wieder abgebaut, sodass das Stadion dann für kleinere, lokale Sportveranstaltungen benützt werden kann.
Zuvor hatte Nüssli zuhanden der WM-Organisatoren Konzepte zum modularen Bau respektive zur modularen Erweiterung bestehender Stadien erstellt. Das alles sollte zur Nachhaltigkeit der WM beitragen. Doch trotz des Vorzeigecharakters des Baus will Nüssli heute nicht mehr öffentlich über das Projekt reden. Das Education-City-Stadion sei vor drei Jahren fertiggestellt worden und ausreichend auf der Website dokumentiert.
Dort ist zu lesen, dass die Hitze eine besondere Herausforderung bei den Bauarbeiten darstellte. Gewisse Arbeiten mussten in Nachtschichten erledigt werden. Wie gross das Auftragsvolumen des Projekts war, will Nüssli nicht sagen. Die Kosten des gesamten Stadions werden auf 700 Millionen Dollar geschätzt.
Auch bei Implenia will man von Katar nichts mehr wissen. Noch 2013 hatte sich der Schweizer Konzern gemeinsam mit einem internationalen Konsortium um den Bau einer neuen Metrolinie beworben, ging aber leer aus. Heute scheint man über die damalige Niederlage fast froh zu sein. Das besagte Metroangebot für Katar sei «noch unter dem alten Management» von Implenia abgegeben worden, hält Sprecherin Eva Heimrich fest. Das entspreche nicht mehr der aktuellen, seit 2019 umgesetzten Strategie.
Und um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Implenia habe «keine Projekte oder andere Aktivitäten in Katar, weder im Bereich Immobilien- noch Infrastrukturbau».
Die mittlerweile im Zusammenhang mit den WM-Baustellen bekannt gewordenen Menschenrechtsverletzungen und Todesfälle sorgen für eine gewisse Katar-Scham – auch in der Schweizer Unternehmensszene. Und für noch mehr Zurückhaltung gegenüber dem Wüstenstaat.
Rund 30 Firmen aus der Schweiz haben sich gemäss Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) in Katar niedergelassen. Sie beschäftigten knapp 1000 Mitarbeitende. Die meisten von ihnen sind schon lange vor Ort, haben hier Fuss gefasst, bevor sich Katar den WM-Zuschlag sicherte. Zu den Schweizer Unternehmen mit Büros vor Ort gehören etwa Nestlé, ABB, Holcim, Sika oder Endress + Hauser.
Die meisten sind Zulieferer im Infrastruktur- und Energiebereich – so wie der Messgerätespezialist Endress + Hauser, der sich 2009 in Katar niedergelassen hat und dort aktuell 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt. Zur Kundschaft gehörten etwa die Öl- und Gasbranche, die petrochemische Industrie sowie die Wasser- und Abwasserwirtschaft, erklärt Sprecher Martin Raab. «Die Fussballweltmeisterschaft war und ist aber kein Treiber unseres Geschäfts in Katar.»
Auch die Präsenz von Holcim hat nichts mit Fussball zu tun. Der Zementriese ist seit «mehr als 20 Jahren in Katar tätig und vor Ort mit Gesellschaften präsent, die sich im gemeinsamen Besitz mit lokalen Partnern befinden», wie Holcim-Sprecher Yves Böni betont.
Noch länger in Katar ist ABB. Der Industriekonzern – respektive seine beiden Vorgängerunternehmen Asea und BBC – ist gar seit 1960 dort vertreten und verfügt heute über zwei Standorte, in Doha und Ras Laffan, mit insgesamt rund 100 Mitarbeitenden. «Die heutigen Geschäftsaktivitäten von ABB in Katar sind sehr begrenzt und machen rund 0.5 Prozent des Jahresumsatzes der ABB-Gruppe aus», sagt ABB-Sprecher Lukas Matt.
Alle angefragten Schweizer Unternehmen betonen ungefragt, dass sie sich zur Wahrung der international anerkannten Menschenrechte verpflichtet hätten und sich an strenge Standards in den Bereichen Nachhaltigkeit, Umwelt, Gesundheit und Sicherheit halten würden.
Viel mehr Schweizer Unternehmen dürften nicht nach Katar ziehen. Das Interesse jedenfalls ist bescheiden, weiss auch Suhail El Obeid, verantwortlich bei der Schweizer Exportförderorganisation Switzerland Global Enterprise (S-GE) für die Region des Mittleren Ostens. Wollen Schweizer Firmen Geschäfte in dieser Region machen, dann vor allem mit Saudi-Arabien oder allenfalls mit den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Ursprünglich wollten El Obeid und sein S-GE-Team Schweizer Unternehmen in den «Club Suisse Doha 2022» einladen, einem Begegnungsort auf dem WM-Gelände, der von der Schweizer Botschaft organisiert wird und über ein Restaurant verfügt, das traditionelle Schweizer Gerichte servieren wird. Doch das war nicht möglich, kann doch in dieser WM-Zeit nur einreisen, wer auch ein WM-Ticket hat.
Die Hürden fürs Geschäften sind also hoch, die Attraktivität des Marktes eher bescheiden. Katar sei ein kleines Land mit einer Bevölkerung von nur 2.5 Millionen, sagt El Obeid. Zudem: Nur gerade zehn Prozent seien Katari – und haben das nötige Geld, um Schweizer Produkte zu erwerben. «Es ist also für Schweizer Unternehmen ein wirklich sehr kleiner Markt.»
Trotz geringem Potenzial, die Schweiz hat mit einem Bündel von Abkommen – Investitionsschutz, Doppelbesteuerung, Freihandel und Luftverkehr – die notwendigen Rahmenbedingungen für mehr wirtschaftlichen Austausch mit Katar geschaffen.
Zudem fungieren Regierungsmitglieder immer wieder als Türöffner. So ist Finanzminister Ueli Maurer in den vergangenen eineinhalb Jahren zweimal mit einem Begleittross aus dem Finanzsektor nach Doha gereist, einmal hat er den katarischen Finanzminister Ali bin Ahmed Al Kuwari in der Schweiz zu Gesprächen empfangen.
Nach dem pandemiebedingten Einbruch 2021 geht es mit dem Handel zwischen der Schweiz und Katar wieder aufwärts – aufs alte Niveau. Das Handelsvolumen für die ersten neun Monate des laufenden Jahres beträgt bereits rund 2 Milliarden Franken, wie Seco-Sprecher Fabian Maienfisch festhält. Auch beim Bauen geht es weiter: So will Katar etwa eine neue Museumslandschaft errichten – und das mit Hilfe des Basler Architektenbüros Herzog & de Meuron. Der Coronataucher scheint überwunden zu sein. Mit oder ohne Fussball. (aargauerzeitung.ch)