Durchstarten: Dies wollte der bundeseigene Rüstungsbetrieb Ruag ab 2009 an seinem Standort im bayerischen Oberpfaffenhofen (D) – und zwar mit einer Flugzeugproduktion.
Gefertigt werden sollte eine völlig überarbeitete Version des vor Jahrzehnten erfolgreichen Modells Dornier 228. Dieses war dort bereits von 1981 bis 1998 hergestellt worden. Dann war der vorherige Hersteller, Fairchild Dornier, insolvent. Und so übernahm 2003 die Ruag den Betrieb, zu dem auch die Wartung von Militärhubschraubern und Flugzeugen gehört.
Zum Fliegen gekommen ist das Projekt allerdings nie. Diesen April hat die Ruag ihre bayerische Tochterfirma an General Atomics Europe verkauft. Nun zeigt sich: Das Abenteuer in Bayern kam die Ruag, die letztlich dem Schweizer Steuerzahler gehört, teuer zu stehen. Die Schadensbilanz: um die 200 Millionen Franken.
Ein Problem: Gefragt war das Flugzeug nicht mehr. Seit 2009 wurden lediglich 14 Stück des Modells «Do228 New Generation» verkauft. In den letzten Jahren war praktisch keine Maschine mehr an den Mann zu bringen, hinzu kamen Fertigungsprobleme: 2018 und 2019 wurde je ein Flugzeug ausgeliefert, 2017 und 2020 jeweils kein einziges.
Zuletzt hätten zwar zwei Flugzeuge einen Käufer gefunden. Doch wegen «Verzögerungen aufgrund von Qualitätsproblemen bei einem Zulieferer» konnte trotzdem keine Maschine ausgeliefert werden.
Nur einmal gab es Hoffnung: Venezuela bestellte 2014 zehn Maschinen. Doch das Geschäft wurde zu einem Desaster, nur wenige Flugzeuge wurden ausgeliefert: Da warf Venezuela der Ruag vor, den Vertrag nicht einzuhalten. Da stoppte die Ruag die Auslieferung, weil Venezuela nicht gezahlt habe. Heute will sich der Bundeskonzern nicht mehr dazu äussern.
Auch zu den genauen Verkaufsmodalitäten ihrer Tochterfirma hält sich die Ruag International Holding bedeckt. Doch der «Verkauf» schlug sich in den Geschäftsbüchern nieder: Im vergangenen Jahr musste die Ruag in Zusammenhang mit Oberpfaffenhofen 50 Millionen Franken abschreiben. Bereits 2019 waren es 58 Millionen Franken gewesen. Rentabel war der Standort auch in den Jahren zuvor kaum: Laut dem deutschen «Bundesanzeiger», dem offiziellen Pendant zum «Schweizerischen Handelsamtsblatt», häuften sich zwischen 2008 und 2018 gegen 85 Millionen Euro Minus an.
Und damit nicht genug: Die Eidgenössische Finanzkontrolle geht in einem Bericht, den die SRF-Rundschau öffentlich gemacht hat, davon aus, dass die Ruag dem Verteidigungsdepartement Kosten verrechnete, die für Quersubventionierungen in anderen Geschäftsfeldern benötigt wurden. Rund 9 Millionen Franken davon könnten auf die Dornier 228 entfallen sein.
Das finanzielle Desaster sahen andere kommen: Oscar J. Schwenk, der langjährige Patron des Zentralschweizer Flugzeugherstellers Pilatus, hatte schon früh in Schweizer Medien gesagt:
Auf die Frage, wie die Ruag International das verlustreiche Unterfangen in Oberpfaffenhofen im Nachhinein beurteilt, hält der Bundeskonzern lediglich fest, man habe mit dem Verkauf nun «eine gute Lösung gefunden, die auch den rund 420 Mitarbeitenden vor Ort eine Perspektive bietet.»
Die Flugzeugwerke sind nicht das einzige Problem der bundeseigenen Ruag International: Der Konzern wurde von den Problemen der Luftfahrtindustrie während der Pandemie stark getroffen. 2020 schrieb er, anders als der Schweizer Ruag-Ableger, in fast allen Bereichen rote Zahlen. Die Ruag International verbuchte einen Verlust über 219 Millionen Franken - nach 50 Mio. Franken Minus im Vorjahr. Dies hatte gravierende Konsequenzen: Die Mutterholding BGRB, über die der Bund die Beteiligung an den verschiedenen Ruag-Teilbetrieben hält, musste Kreditgarantien sprechen, damit die Ruag International den Betrieb problemlos weiterführen konnte.
Aufgrund der Pandemie hätten sich «die Konditionen auf dem Kreditmarkt zu Ungunsten von Ruag International» entwickelt, bestätigt die BGRB AG Informationen der «Schweiz am Wochenende». Und weiter:
Wie hoch die Garantien ausfielen, wollen die beiden Bundesbetriebe nicht mitteilen. Dem Vernehmen nach geht es um mehrere hundert Millionen Franken. Beim Verteidigungsdepartement hält man fest, dass «als Sicherheiten die Vermögenswerte der BGRB-Gruppe», dienten. Und weiter: «Ein Rückgriff auf Steuergelder ist ausgeschlossen.»
Gerade wegen Risiken bei Auslandinvestitionen sei der Entscheid gefallen, die Ruag International von der Schweizer Ruag abzuspalten. Denn das Eingehen von Risiken im Ausland sei in der Schweiz schwer zu begründen.
Die Ruag International soll in den nächsten Jahren nun privatisiert werden – und einzelne Teile sollen verkauft werden, um die Garantien abzulösen und um «die Fortführungsfähigkeit» der Firma sicherzustellen. Doch hier gibt es Fragezeichen: Einerseits litten die Flugzeugbereiche unter der Pandemie, eine Erholung wird nicht vor 2025 erwartet.
Und dann gibt es noch ein weiteres Problem. Als Perle, die der Ruag Holding auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit mitgegeben wurde, gilt der Munitionshersteller Ruag Ammotec, der auch im Coronajahr 2020 profitabel war. Doch bisher ist nicht klar, ob die Ruag den Firmenteil je verkaufen darf. Der Nationalrat sprach sich kürzlich dagegen aus, im Herbst wird der Ständerat entscheiden. Solange der Entscheid nicht durch ist, will der Bundesrat einen Verkauf verhindern.
Für die Zukunft hat Ruag nun neue Pläne, um profitabel zu werden. Wieder soll der Betrieb abheben, allerdings nicht mehr mit Flugzeugen. Der Konzern will seine Rüstungsgeschäfte loswerden und zu einem Luft- und Raumfahrttechnologiekonzern werden. Sein neues Motto: «Beyond gravity» – jenseits der Schwerkraft.
(aargauerzeitung.ch)