Sie sind weniger als ein Jahr in der Schweiz und beziehen bereits Arbeitslosengelder: Im letzten Jahr traf dies für knapp 1900 Zuwanderer aus EU/Efta-Staaten zu, wie aus dem aktuellen Bericht des Bundes zu den Auswirkungen der Personenfreizügigkeit hervorgeht. Die Schnellarbeitslosen erhielten 2019 Taggelder im Umfang von 31.4 Millionen Franken, rund 5.5 Millionen mehr als im Vorjahr. Die Zunahme um 20 Prozent überrascht umso mehr, als die Zahl der Schnellarbeitslosen leicht rückläufig ist.
Die gestiegenen Ausgaben entbehren nicht einer gewissen Brisanz. Am 27. September stimmt das Volk über die Begrenzungsinitiative ab, mit der die SVP auf die Personenfreizügigkeit zielt. Für die wählerstärkste Partei öffnet dieses Abkommen Tür und Tor zum gut ausgebauten Schweizer Sozialstaat. Boris Zürcher hingegen, Leiter der Direktion Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sagt: «Die Zuwanderer kommen explizit zum Arbeiten in die Schweiz.» Die Erwerbsquote bei EU/Efta-Bürgern beträgt 87.7 Prozent und liegt damit gut 3 Prozent höher als jene der Schweizer. Auch bei den geleisteten Wochenarbeitsstunden schwingen die Zuwanderer obenauf. Besonders die Frauen aus dem EU/Efta-Raum arbeiten länger als Schweizerinnen.
Weshalb sind die Ausgaben für Schnellarbeitslose gestiegen, während die Zahl derselben sinkt? Die Gründe für dieses Phänomen hat das Seco nicht analysiert. Eine mögliche Erklärung lautet, dass mehr Personen mit höheren Löhnen rasch ihren Job verloren und Betroffene generell länger Taggelder bezogen.
Aus welchen Branchen die Zuwanderer besonders schnell in der Arbeitslosenversicherung landen, ist unbekannt. Am häufigsten handelt es sich um Zuwanderer, die über eine Aufenthaltsbewilligung verfügen. Diesen sogenannten «B»-Ausweis erhalten EU/Efta-Bürger, wenn sie eine unbefristete oder auf mindestens 365 Tage befristete Anstellung vorweisen können. In der Praxis verliert eine Minderheit vor Ablauf des ersten Jahres die Anstellung. Es ist nicht auszuschliessen, dass sich solche Fälle wegen der Coronakrise häufen.
Grundsätzlich müssen erwerbstätige Personen innerhalb der letzten zwei Jahre ein Jahr lang Beiträge in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben, damit sie Anrecht auf eine Entschädigung haben. EU/Efta-Bürger würden eigentlich an dieser Hürde scheitern, wenn sie kurz nach Stellenantritt schon wieder ohne Erwerb dastehen. Doch in diesen Fällen kommt das Prinzip der sogenannten Totalisierung zum Tragen.
Das bedeutet: Die EU/Efta-Bürger können sich die Beiträge an die Arbeitslosenversicherung anrechnen lassen, die sie in einem anderen EU/Efta-Land entrichtet haben. 2019 traf dies auf 4.7 Prozent aller EU/Efta-Leistungsbezüger zu. Theoretisch haben die Zuwanderer schon Anrecht auf Arbeitslosengelder, wenn sie einen einzigen Tag in der Schweiz angestellt waren, sofern sie vorher 364 Tage lang in einem anderen Land Beiträge leisteten.
Unter dem Schlagwort «Stopp der Plünderung der Sozialwerke durch EU-Bürger» forderte deshalb der Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer schon vor mehr als 10 Jahren abgestufte Arbeitslosengelder: Je kürzer die Beitragszeit in der Schweiz, desto tiefer die Entschädigung. Er kenne konkrete Beispiele, in denen bekannte deutsche Kebabverkäufer türkischer Abstammung in die Schweiz geholt und ihnen nach wenigen Monaten bereits wieder gekündigt worden sei, sagte er damals der «Zentralschweiz am Sonntag». Der Bundesrat lehnte seinen Vorstoss mit Verweis auf das im Freizügigkeitsabkommen enthaltene Diskriminierungsverbot ab. Auch Parlament fand Heer keine Mehrheit.
Ganz geheuer war dem Bund die Angelegenheit aber nicht. Er hielt die Kantone seit Anfang 2010 an, Fälle, in denen Personen weniger als einen Monat nach ihrer Einreise in die Schweiz die Stelle verlieren, zu melden. Falls nämlich ein Arbeitsvertrag nur abgeschlossen wurde, um Arbeitslosengelder zu erschleichen, läge ein Rechtsmissbrauch vor. Derartige Befürchtungen bestätigten sich aber in der Folge nicht.
Generell ist die Arbeitslosenquote bei EU/Efta-Bürgern höher als bei Schweizern. Sie beziehen auch mehr Geld aus der Arbeitslosenkasse, als sie einzahlen. In die AHV und IV hingegen profitiert die Schweiz deutlich von den Zuwanderern.
Bei der Arbeitslosenversicherung plant die EU derweil eine Änderung, welche der Schweiz Mehrkosten aufbürden würde. Konkret soll bei Grenzgängern künftig jener Staat die Arbeitslosengelder übernehmen, in denen die Grenzgänger zuletzt arbeiteten. Momentan kommt der Wohnsitzstaat für die Arbeitslosenentschädigung auf. Er lässt sich vom Staat der letzten Beschäftigung aber drei oder fünf Monate Arbeitslosengeld zurückerstatten. Einigt sich die EU auf die neuen Regeln, dürfte sie von der Schweiz deren Übernahme fordern. Dazu ist sie allerdings nicht verpflichtet, wie das Seco festhält.