Das Essen ist vorbereitet, das Personal gebrieft, die Tische sind gedeckt. Nur die Gäste fehlen. Die Unsitte, einen Tisch zu reservieren und dann ohne Abmeldung doch nicht zu erscheinen, ist für Restaurants ein grosses Ärgernis. Eines, das ins Geld geht und sich laut dem Verband Gastrosuisse verschärft hat: «Die sogenannten No-Shows sind für die Branche ein relevantes Problem.»
Laut einer Mitgliederbefragung aus dem Jahr 2021 beobachtete fast die Hälfte der Betriebe, dass No-Shows zugenommen haben. Bei kurzfristigen Stornierungen, die letztlich nur wenig besser sind, stellten gar 85 Prozent eine Zunahme fest.
Die schlechten Werte lassen sich nicht mit der Pandemie und kurzfristigen Absagen aufgrund von positiven Coronatests erklären, wie der Verband zuerst hoffte. Denn eine neuere Erhebung zeigt, dass die Fälle von Nichterscheinen seither sogar noch zugenommen haben.
So will das Schweizer Reservationssystem Lunchgate in einer Umfrage Anfang 2023 herausgefunden haben, dass sich die Rate der No-Shows seit der Wiedereröffnung nach Corona verfünffacht hat. Demnach erscheinen Gäste vor allem abends und am Wochenende nicht - also genau dann, wenn es die Wirte und Wirtinnen besonders schmerzt. Die Rate ist freilich noch immer auf einem tiefen Niveau und nur von 0.1 auf 0.5 Prozent gestiegen. Schreibt jedenfalls Lunchgate.
Der Grund für die relativ gesehen dennoch starke Zunahme ist in der neuen Unverbindlichkeit zu suchen, die sich im Zuge der Digitalisierung schon länger angedeutet hat, seit der Pandemie aber nochmals deutlicher spürbar ist. Eine Tischreservation ist in wenigen Klicks erledigt. Und so buchen manche Leute womöglich überstürzt - oder gleich mehrere Tische in verschiedenen Lokalen, um spontan auswählen zu können. Eine Dreistigkeit, die den Wirten, bei denen der Tisch dann leer bleibt, ein Loch in die Kasse reisst.
Belegen kann dieses Verhalten Marco Kastner, der die Gastronomie im Unternehmen «Sinnvoll Gastro» leitet, das zwölf Restaurants in der Zentralschweiz betreibt. «Umsatzverlust, Mitarbeiteraufwand und unnötiger Warenaufwand können die Konsequenzen sein», sagt er gegenüber CH Media. Gleiches erlebt der Zürcher Gastrokönig Michel Péclard, der rund um das Seebecken 15 Betriebe führt. Gruppen würden in mehreren seiner Betriebe gleichzeitig reservieren, sagte er einst gegenüber dem «Beobachter». «Hauptsache, easy, spontan und flexibel bleiben.»
Am ärgsten von den Folgen dieser Unsitte betroffen sind jene Lokale, die wenig Laufkundschaft haben und Tische nicht ohne weiteres wieder besetzen können. Dabei gilt die Faustregel: Je gehobener das Restaurant, desto schlimmer das Problem. Laut der Erhebung von Lunchgate haben Graubünden, Zürich, Luzern sowie St. Moritz am meisten mit No-Shows zu kämpfen.
Angesichts dieser Situation überrascht es nicht, dass Gastronomen vermehrt Gegensteuer geben. Einige Restaurants nehmen neu gar keine Reservationen mehr an. Ein Trend, der besonders bei hippen Lokalen in urbanen Zentren verbreitet ist. Beispiele dafür sind die Pizzeria Derby und das japanische Ramen-Restaurant Miki in Zürich.
Verbreiterter aber ist, Gebühren im Voraus zu verlangen. Was bei Flügen, Hotel-Buchungen oder Ticketkäufen längst üblich ist, setzt sich allmählich auch in der Gastronomie durch. Aus Angst, die Kundschaft abzuschrecken, sehen die allermeisten Betriebe zwar noch davon ab. Verlangt wird statt einer Kreditkarte oft nur eine Telefonnummer, um immerhin eine gewisse Verbindlichkeit herzustellen. Doch der Wind dreht. Laut der Gastrosuisse-Umfrage verlangten 2021 erst 4 Prozent der Betriebe eine Gebühr, mehr als 20 Prozent zogen jedoch eine Einführung in Betracht.
Ein Gerichtsurteil könnte die Betriebe in diesem Entschluss bestärken. Ein Gericht in San Sebastian in Spanien hat am Montag bestätigt, dass ein 2-Sterne-Restaurant das Recht hatte, drei nicht erschienenen Gästen insgesamt 510 Euro in Rechnung zu stellen. Einen solchen Präzedenzfall gibt es in der Schweiz bisher nicht, das Urteil aus Spanien wird aber von der Branche mit Interesse wahrgenommen.
Zu den Betrieben, die über Buchungssysteme wie Lunchgate oder Aleno bereits eine No-Show-Gebühr verlangen, gehören etwa jene von Michel Péclard in Zürich, die «Truube» in Gais im Appenzellerland oder das 2-Sterne-Restaurant Sens im Vitznauerhof am Vierwaldstättersee. Die Konditionen: Péclard zieht bei Nichterscheinen je nach Betrieb 50 bis 100 Franken pro Person ein. Bei der «Truube» sind es 100 Franken, beim Restaurant «Sens» wird eine Gebühr in Höhe des günstigsten Menüs erhoben, laut Website sind dies 245 Franken (exklusive Getränke). 24 Stunden im Voraus kann kostenlos storniert werden.
Müsste die Frist kürzer sein? Schliesslich kann ja durchaus mal etwas dazwischenkommen, eine Krankheit, ein Notfall. Je nach Situation geben sich die Betriebe nach eigenen Aussagen kulant. Péclard beispielsweise habe die Gebühr erst selten, bei grösseren Gruppen, eingezogen. Sie diene eher als Disziplinierungsmassnahme. Auch Vitznauerhof-Direktor Raphael Herzog macht gute Erfahrungen: «Die Gebühr schreckt die Gäste nicht ab», sagt er. Seit deren Einführung habe sich die Lage stark verbessert, No-Shows kämen nur noch ein- bis zweimal im Monat vor.
Mehr Disziplin könnte in dieser Hinsicht nicht schaden. Wie die Unsitte des Nichtabmeldens zu einer Tragödie werden konnte, zeigt das Skitouren-Unglück auf der Haute Route zwischen Chamonix und Zermatt vom 29. April 2018, bei dem sieben von zehn Menschen ums Leben kamen und das vor kurzem in einem SRF-Dok verfilmt wurde. Sie starben gerade 550 Meter von der rettenden Hütte, der Cabane des Vignettes, entfernt. Zwei der zehn Menschen hatten sich dort angemeldet. Der Hüttenwart, der laut Dokfilm so viele unangekündigte Absagen hat, dass er nicht jedes Mal die Rettungskräfte rufen könne, suchte die Leute nicht. (aargauerzeitung.ch)
Ääh, 245.- ohne Getränke das billigste Menü?!? Nicht ganz meine Preisklasse...