Erwin Sperisen hat bei der Genfer Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen mehrere Richter des Genfer Berufungsgerichts wegen Amtsmissbrauchs und Ehrverletzung eingereicht. Sein Anwalt fordert die Ernennung eines ausserordentlichen ausserkantonalen Staatsanwalts aufgrund der «offensichtlichen Befangenheit» der Genfer Staatsanwaltschaft.
In seiner Strafanzeige wirft der ehemalige guatemaltekische Polizeichef den Richtern vor, die Unschuldsvermutung unter Missachtung des Strafgesetzbuches bewusst verletzt, die Anweisungen der höchsten richterlichen Instanz ignoriert und eine längst verstorbene Nebenklägerin im Prozess belassen zu haben, teilte sein Anwalt Dominic Nellen am Samstag mit.
«Das Bundesgericht hat der Genfer Justiz klare Anweisungen erteilt. Diese wurden ignoriert. Es handelt sich nicht um Fahrlässigkeit, sondern um vorsätzliche Absicht. Deshalb klagt Herr Sperisen nun», teilte der Rechtsanwalt weiter mit.
Zudem wurde der Schweiz-Guatemalteke 2024 dazu verurteilt, einer seit 2020 verstorbenen Frau eine Entschädigung von 20'000 Franken zu zahlen. Nellen bezeichnet es als «grotesk», dass diese Person im Verfahren als aktive Nebenklägerin betrachtet worden sei, obwohl sie ihre eigene Anwältin nicht gekannt habe und nie eine Klage gegen Sperisen einreichen habe wollen.
Aufgrund der «offensichtlichen Befangenheit der Genfer Staatsanwaltschaft» fordert der Anwalt die Ernennung eines unabhängigen ausserkantonalen ausserordentlichen Staatsanwalts in allen Verfahren gegen Vertreter der Genfer Justiz: «Es besteht die konkrete Befürchtung, dass ein faires, unabhängiges und objektives Verfahren nicht gewährleistet ist», teilte er weiter mit.
Laut Nellen sind derzeit insgesamt «fünf Strafanzeigen gegen Mitglieder der Genfer Justiz und den Staatsanwalt Yves Bertossa» hängig. Weitere Kläger sind der ehemalige guatemaltekische Innenminister Carlos Vielmann, der ehemalige Direktor der Strafvollzugsanstalt Alejandro Giammattei (heute ehemaliger Präsident Guatemalas) und der ehemalige stellvertretende Polizeidirektor Javier Figueroa.
Alle drei wurden in ihren Heimatländern oder von europäischen Gerichten rechtskräftig freigesprochen. Ihre Strafanzeigen wurden im August 2024 und im Januar 2025 eingereicht.
Im Dezember des vergangenen Jahres sprach die Genfer Berufungs- und Revisionsstrafkammer Sperisen der Beihilfe zum Mord an sieben Häftlingen in Guatemala schuldig. Er wurde zu 14 Jahren Haft verurteilt. Ein Urteil, das «nach Ansicht der Verteidigung eindeutig einen Amtsmissbrauch darstellt». Sperisen legte Berufung gegen das Urteil ein. Das Verfahren ist noch hängig.
Zuvor war der Fall Sperisen mehrfach von nationalen und internationalen Gerichten behandelt worden. 2023 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz wegen Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren.
Der bald 55-jährige Sperisen ist Doppelbürger der Schweiz und Guatemalas. 2007 flüchtete er mit seiner Familie in die Schweiz. 2012 wurde er in Genf verhaftet. Seitdem wurde er viermal von der Genfer Justiz angeklagt, die ihn jedes Mal verurteilte. (sda)