An Sonntagen bleibt an der Zürcher Bahnhofstrasse selbst den Reichen nur das Träumen von der neuen Luxusuhr: Die Läden sind geschlossen. Das wollten Vertreter des Detailhandels, des Tourismus und einiger Kantone und Städte ändern. In den grössten Städten, so ihre Idee, sollen die Läden in Tourismuszonen künftig auch sonntags Personal beschäftigen dürfen. Dafür bräuchte es eine Änderung einer Verordnung zum Arbeitsrecht, die dieses Privileg bereits einigen Orten einräumt, allen voran in den Bergen. Doch nun steht die Reform vor dem Scheitern, zeigen Recherchen.
Dabei stiess die Idee, die von der Zürcher Regierungsrätin Carmen Walker Späh (FDP) im Jahr 2021 als Massnahme zur Tourismusförderung lanciert worden war, zunächst auf offene Ohren. Bundesrat Guy Parmelin (SVP) präsentierte im November 2023 seinen Vorschlag. Er wollte die Verordnung so anpassen, dass grössere Städte mit einem Anteil von Touristinnen und Touristen aus dem Ausland von mindestens 50 Prozent Tourismuszonen definieren könnten. Die Kriterien erfüllen würden Basel, Bern, Genf, Lausanne, Lugano, Luzern und Zürich.
In diesen Zonen sollten nur die Läden bewilligungsfrei jeden Sonntag Personal beschäftigen dürfen, die ein auf den Tourismus abgestimmtes Sortiment verkaufen. Gemäss geltender Praxis gehören dazu etwa Souvenirs, aber auch Verpflegung und Luxusartikel. Die Einschränkung soll verhindern, dass eine Art innerschweizerischer Einkaufstourismus an Sonntagen in die grossen Städte entsteht. Für die Läden in den Tourismusorten in den Bergen gilt bereits eine ähnliche Bestimmung. Dort sind Ausnahmen vorgesehen für «Betriebe, die der Befriedigung spezifischer Bedürfnisse der Touristen dienen». Allerdings wird diese Einschränkung meist locker gehandhabt.
Dass Gewerkschaften keine Freude haben würden, war klar. Doch auch die Befürworter einer Liberalisierung liefen Sturm. Sie halten nichts von Sortimentsbeschränkungen und der Einschränkung auf sieben Städte. An den runden Tischen, die Parmelin zu dieser Frage organisierte, sollen sie sich gegen Verbesserungen für Angestellte gewehrt haben, erzählen Beteiligte. Forderungen der Gewerkschaften nach einer deutlich höheren Entlöhnung an Sonntagen, einer GAV-Pflicht oder der besseren Planbarkeit der Einsätze erteilten sie eine Abfuhr. Mit dieser «Alles-oder-nichts»-Haltung dürften sie das Ende der Reform selbst besiegelt haben.
Ein Scheitern der Mini-Reform sieht auch der Detailhandelsverband Swiss Retail Federation als wahrscheinlich an. Ein Problem hat er damit nicht. Direktorin Dagmar Jenni sagt:
Der Fokus auf Sortimentsbeschränkungen sei «fehlgeleitet». Während die Gewerkschaften argumentieren, dass es wenig mit Tourismusförderung zu tun hat, wenn man sonntags eine Waschmaschine kaufen kann, greift Jenni auf einen Vergleich aus der Gastronomie zurück: «Es käme auch niemandem in den Sinn, zu regeln, dass am Sonntag nur Pizzerien offenhalten und Personal beschäftigen dürfen.» Die Gewerkschaften wollten letztlich einen GAV erzwingen. Mit ihrem ideologisch getriebenen Widerstand gegen jegliche Liberalisierungen schadeten sie der Branche und deren Beschäftigungsraten.
Zwar hat Parmelin noch keinen Entscheid gefällt. Ein solcher werde in den nächsten Wochen kommuniziert, teilt sein Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) mit. Denkbar wäre, dass er seinen eigenen Vorschlag umsetzt. Mindestens so wahrscheinlich ist aber, dass er das Geschäft abschreibt.
Einen willkommenen Vorwand haben ihm die Wirtschaftskommissionen des Stände- und Nationalrats geliefert: Sie haben einer Standesinitiative des Kantons Zürich zugestimmt, die Kantonen ermöglichen will, zwölf statt bisher vier bewilligungsfreie Sonntagsverkäufe zu erlauben, für die keine Sortiments- oder Zonenbeschränkungen gelten. Diese relativiere die Bedeutung der Vernehmlassung zu den Tourismuszonen, sagt WBF-Sprecher Markus Spörndli.
Mit dem Argument, dass das Parlament anderweitig eine Liberalisierung an Sonntagen vorsieht, könnte Parmelin die Tourismuszonen beerdigen. Von dieser Idee sei er sowieso nie wirklich überzeugt gewesen, heisst es aus seinem Umfeld.
Auch Dagmar Jenni geht davon aus, dass die Verordnungsänderung abgeschrieben wird, wenn die Standesinitiative im Parlament durchkommt. Die Zürcher Regierungsrätin Carmen Walker Späh scheint ein Scheitern der Reform ebenfalls einzukalkulieren. Sie schwenkt nun auf die Alternative um. «Mein Ziel ist es, dass mindestens eine Lösung – sei es in Form von mehr Sonntagsverkäufen oder durch die Einführung von Tourismuszonen – verbindlich umgesetzt wird», sagt sie.
Das Liberalisierungs-Lager muss aber damit rechnen, dass es am Schluss gar keine Verbesserung erhält. Denn während die Reform zu den Tourismuszonen von Guy Parmelin im Alleingang hätte beschlossen werden können, ohne dass Gewerkschaften dagegen hätten vorgehen können, wird die Ausdehnung auf zwölf Sonntagsverkäufe eine Gesetzesänderung benötigen.
Und gegen diese kann das Referendum ergriffen werden. In der Vergangenheit war das Stimmvolk den meisten Liberalisierungs-Vorschlägen gegenüber ungnädig gestimmt.
Die Rollläden dürften sonntags also auch an der Bahnhofstrasse noch länger unten bleiben – ausser, die Städte und Kantone werden kreativ. Die heutige Verordnung wurde mit der Absicht formuliert, Ausnahmen für die Sonntagsöffnung primär in Touristenorten in Bergen zu ermöglichen. Doch sie ist so schwammig formuliert, dass es für liberalisierungswillige Gemeinden und Kantone durchaus einen Versuch wert sein könnte, die Grenzen zu testen. (aargauerzeitung.ch)
Es ist noch nicht lange her haben wir Stimmbürger deutlich Nein zu mehr Sonntagsverkäufen gesagt, und dies war nicht das 1. mal.
Es scheint, dass gewisse politische Kreise das Volksmehr nicht akzeptieren wollen.
Ich finde dies einfach nur bedenklich!