Hat die Finanzmarktaufsicht (Finma) im Fall der Credit Suisse früh genug interveniert? Die Aufsichtsbehörde verteidigt sich, sie mache jeweils viel mehr, als bekannt werde. Viele Interventionen würden diskret erfolgen.
Einen seltenen Einblick in einen Markteingriff der Finma gibt ein neues Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Es geht um die Eigenmittel der Postfinance, die seit 2015 als systemrelevante Bank gilt. Deshalb prüfte die Finma, ob die Eigenmittel gross genug sind, um die Risiken abzusichern.
Das Verdikt fiel negativ aus: Bei einem Zinsschock gewähre die Bank keine ausreichende Sicherheit. Deshalb muss sie ihre Eigenmittel um Hunderte Millionen Franken erhöhen. Dies hat das Gericht jetzt bestätigt.
Der Konflikt begann 2016 mit einer Verfügung der Finma. Die Bank wehrte sich mit allen möglichen Rechtsmitteln dagegen und so wurde daraus ein Streit, der bis heute andauert. In diesem juristischen Kräftemessen hat die Bank bereits viele Niederlagen zu verbuchen und nur einen einzigen Erfolg.
2018 wies das Bundesgericht den Fall nämlich wegen einer Formalie zurück. Die Finma hat die Verfügung von der Geschäftsleitung unterzeichnen lassen. Da es sich jedoch um ein Geschäft «von grosser Tragweite» handle, sei der Verwaltungsrat zuständig, befand das höchste Gericht.
Damit gewann Postfinance jedoch nichts – ausser Zeit. Die Finma erliess einfach eine neue Verfügung und verschärfte die Vorgaben sogar noch. Die Bank muss nun noch mehr Eigenmittel zur Seite stellen.
Die Finma vergleicht die Postfinance in ihrer Analyse mit anderen Retailbanken und stuft sie dabei als «Ausreisserinstitut» ein, weil sie viel höhere Zinsrisiken eingehe als die Konkurrenz. Das bedeutet, dass sich höhere Marktzinsen besonders negativ auf ihren Ertrag und die Eigenmittel auswirken könnten.
Bei der Postfinance sind diese Risiken so gross, weil sie ihr Geld vor allem mit dem Zinsdifferenzgeschäft verdient. Am wichtigsten sind dabei ihre bekanntesten Angebote: das Postkonto für Privatkunden und jenes für Geschäftskunden. Das Problem dabei ist, dass diese Gelder in kurzer Zeit abgezogen werden könnten. Sie werden von der Bank aber teilweise für langfristige Geschäfte verwendet.
Um das Risiko der Postfinance einzuschätzen, beurteilt die Finma die Treue der Kundschaft. Wie viel Zeit bleibt der Bank, um auf eine Erhöhung der Marktzinsen zu reagieren und auch ihre Zinsen für Privat- und Geschäftskonten zu erhöhen? Die Finma geht von zwei Jahren aus. Was nach viel klingt, ist aus der Sicht von Postfinance viel zu wenig. Sie geht davon aus, dass sie deutlich länger warten könne, um höhere Zinsen weiterzugeben.
Die Finma kommt jedoch gleich aus mehreren Gründen zum Schluss, dass die Zeit vorbei sei, in der die Kundschaft der Postfinance ausserordentlich treu sei. Durch die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs drohe mehr Konkurrenz und die Dienstleistungen der Postfinance würden leichter austauschbar. Schon die Erhöhung der Gebühren habe dazu geführt, dass Kunden ihre Gelder abgezogen hätten. Das sei ein starkes Anzeichen dafür, dass sie preisempfindlich seien.
Postfinance macht in ihren Rechtsschriften deutlich, dass sie rein gar nichts hält von den Einschätzungen der Finma. Sie würde mit einem theoretischen Wert rechnen, der keinerlei praktische Bedeutung habe.
Das Bundesverwaltungsgericht entgegnet: Ja, es handle sich um einen theoretischen Wert. Aber er habe sehr wohl eine praktische Bedeutung.
Zudem behauptet Postfinance, die Finma würde vor «katastrophalen Folgen» einer Zinserhöhung warnen. Doch diese seien bei der Zinswende in den vergangenen Monaten nicht eingetroffen.
Das Gericht entgegnet, daraus könne die Bank nichts zu ihren Gunsten ableiten. Denn es gehe gerade nicht um kurzfristige Folgen, sondern um Veränderungen des Eigenkapitals, die sich zeitverzögert in der Bilanz zeigen könnten.
Das Urteil zeigt, dass die Finma hartnäckig gegen eine Bank vorgeht, welche zu hohe Risiken eingeht. Es zeigt aber auch, dass es sehr lange dauern kann, bis eine Intervention Wirkung zeigt. Der Rechtsstreit befindet sich nun nach acht Jahren in der Endphase, kann aber immer noch vor das Bundesgericht weitergezogen werden. Dies prüft Postfinance derzeit.
Durch das Urteil werden Details bekannt, welche für die Bank unangenehm sind. Im Jahr 2012 hat die Finma der Postfinance die Banklizenz erteilt. Schon damals hielt die Finma fest, dass die Bank in der Vergangenheit Zinsrisiken in einem Ausmass eingegangen sei, das die Finma nicht akzeptieren könne. Auch dies geht aus dem Entscheid hervor.
Nicht bekannt wird derweil, um wie viele Hundert Millionen Franken die Bank ihr Eigenkapital genau erhöhen muss. Auch die internen Risikokalkulationen werden im veröffentlichten Urteil nicht genannt, weil die Bank diese als Geschäftsgeheimnis hüten will. Bankenexperten kritisieren diese Praxis. Denn die Sparerinnen und Sparer hätten ein Anrecht darauf zu wissen, mit welchen Risiken ihre Bank rechne.
(yam/sda)