Vor wenigen Tagen hat das Baurekursgericht dem Zürcher Heimatschutz Recht gegeben und der Stadt Zürich verboten, zwei Inschriften mit rassistischem Kontext im Niederdorf abzudecken. «Zum Mohrenkopf» am Neumarkt 13 und «Zum Mohrentanz» an der Niederdorfstrasse 29. Sie seien «bedeutend für das äussere Erscheinungsbild der beiden Häuser» und damit bewahrenswert. Zeugnis eines uralten Zürichs vor unserer Zeit.
Jetzt ist eine Studie erschienen, die vom Präsidialdepartement der Stadt Zürich bei der ETH in Auftrag gegeben wurde. Verfasst haben sie Bernhard C. Schär, Geschichtsprofessor an der Uni Lausanne, und Ashkira Darman, Historikerin am Realgymnasium Rämibühl. Der Titel: «Zürcher ‹Mohren›-Fantasien: Eine bau- und begriffsgeschichtliche Auslegeordnung, ca. 1400–2022». Die Erkenntnis: Die beiden Inschriften stammen so, wie sie heute sind, mitnichten aus einem weit zurückliegenden, sondern aus dem 20. Jahrhundert.
Beide Häuser «erhielten in den 1820er-Jahren neue Fassaden, die seither mehrmals saniert wurden. Das mittelalterliche Erscheinungsbild und wesentliche Teile der Gebäudestrukturen verschwanden nahezu gänzlich», heisst es in der Studie. Das Haus «Zum Mohrentanz» hiess eine Weile lang «Zum Berentanz», in mehreren Umbauplänen fehlt ein Hinweis auf eine Beschriftung ganz und auf etlichen Fotos sind sie jahrzehntelang nicht zu finden.
Zürich ist eine Stadt. Und eine Stadt ist im ständigen Wandel, es gibt kein Reinheitsgebot für alte Gebäude, selbst die Notre Dame in Paris entpuppte sich nach ihrem Brand als Patchwork aus verschiedenen Gebäudeteilen unterschiedlicher Epochen. Und die Reformation machte bekanntlich aus bunt ausgemalten Kirchen kahle Andachtsräume.
Die heutige Erscheinungsform der beiden Inschriften im Niederdorf geht auf eine Anstrengung zurück, die sich als «Erfindung der Altstadt» beschreiben lässt. Im 19. Jahrhundert zogen sich begüterte Städter gern an die Peripherie oder aufs Land zurück, die Innenstädte veränderten sich, möglichst viele Arbeiterfamilien teilten sich jetzt die einst herrschaftlichen Häuser, die hygienischen Zustände verschlechterten sich. Im 20. Jahrhundert wurden der Heimatschutz und die Denkmalpflege gegründet und Zürich wurde von einer Ballenberg-Sucht erfasst. Das «Dörfli» wurde zu einem Sehnsuchtsort, der ein altes, pittoreskes Zürich wieder auferstehen lassen sollte. Und dazu gehörten auch die «Mohren»-Inschriften.
Traditionsgemäss waren den neu gebauten Häusern früher statt Hausnummern ein Name und meist auch ein Bild zugeordnet worden, Einwohner und Behörden (etwa die Steuereintreiber) konnten sich so orientieren, eine Namensänderung wurde nicht gern gesehen, die Besitzer des 1443 erstmals dokumentierten «Zum Mohrenkopf» etwa hätten im 17. Jahrhundert lieber in einem «Fuchs» gewohnt, es wurde ihnen verboten.
Und was hatte es mit dem «Mohr» nun auf sich? Vor allem, erläutert die Studie, leitete sich der «Mohrenkopf» von den christlichen Kreuzzügen ab: Der abgeschlagene Kopf eines heidnischen Gegners (wie er auch auf den Flaggen von Sardinien und Korsika vorkommt) signalisierte Macht und Überlegenheit. Und auch wenn die Erbauer von insgesamt neun Häusern, die einen «Mohr» im Namen trugen, alle nicht an Kreuzzügen teilgenommen hatten, so suggerierten die Namen ihrer Häuser doch ein ganz bestimmtes christliches Statusbewusstsein.
Der Reformator Huldrych Zwingli (1484–1531) brachte mit seiner «Zürcher Bibel» den «Mohr» ins alltagssprachliche Bewusstsein, in seiner Übersetzung stand, dass es für einen schwarzen Menschen genauso unmöglich sei, sich von seiner Hautfarbe reinzuwaschen, wie für einen Leoparden von seinen Flecken. Sein Begriff der «Mohrenwäsche» verwandelte sich mit der Zeit in die «Weisswaschung».
Auch der Zürcher Pfarrer und Physiognom Johann Caspar Lavater (1741–1801) hatte nur Verachtung übrig: «Die stumpfe Nase und die aufgeworfenen Lippen des Mohren zeugen bey dem Feuer seiner Augen von einem sonderbaren Gemische Stumpfer Thierheit im Intellektuellen, und Stärker der Leidenschaft im physischen Sinn», schrieb er 1775. Kurz zuvor war übrigens in Zürich die erste deutsche Übersetzung von Shakespeares «Othello» erschienen. Das Stück über einen edlen Schwarzen, der aus Eifersucht zum mörderischen Tier wird. Und das Stück, das die Aufführungspraxis des Blackface institutionalisierte.
Die hoch spannende Arbeit von Schär und Darman zeigt, dass der Begriff des «Mohren» gerade in Zürich eine an Rassismus reiche und lange Vergangenheit hat. Und dass die Stadtarchitektur im Gegenzug etwas sehr Volatiles an sich hat. Wie die beiden jetzt weiterhin miteinander umgehen oder nicht, wird sich nach dieser wegweisenden Studie neu entscheiden.
Ach?
Eine solche Tafel besteht bereits. Dann verstehe ich die Aufregung nicht.
Sonst müssten wir fast alle geschichtsträchtigen Statuen (Bsp Escher) und Kirchen etc. umgestalten/abreissen.
Geschichte zu canceln kann nicht die Lösung sein.