Kennen Sie Felix Wiedwald, Daniel Lück oder Thomas Kessler? Müssen Sie auch nicht. Denn sie alle sind Bundesliga-Ersatztorhüter (Frankfurt, Paderborn, Köln) und werden, wenn alles nach Plan läuft, während der anstehenden Saison im Training fleissig ihren Job machen und ansonsten ein Schattendasein fristen. Ganz so wie es sich gehört.
Nur bei den Bayern, da läuft wieder mal alles anders.
Pepe Reina, 31 Jahre alt, seines Zeichens mit Spanien Weltmeister 2010, Europameister 2008 und 2012, englischer und italienischer Cupsieger, unterschreibt zwei Wochen vor dem Bundesliga-Start als Nummer 2 hinter Manuel Neuer einen Dreijahresvertrag. Die kolportierte Ablösesumme von drei Millionen Euro, zahlbar an den FC Liverpool, ist bei einem Marktwert von geschätzt 9 Millionen schon fast ein Schnäppchen für den deutschen Rekordmeister.
Ein Quervergleich mit der Super League illustriert dennoch, welch ein massives Kaliber der neue Münchner Ersatzmann ist: Hierzulande wäre er vor Basels Fabian Schär (Marktwert 8 Millionen Euro) der wertvollste Spieler der Liga. Mit seiner Ablösesumme könnte der FC Vaduz sein Budget für ein Dreivierteljahr finanzieren.
Findige Twitter-User konnten den anstehenden Transfer bereits seit dem 24. Juni erahnen. Einen Tag nach Spaniens Vorrunden-Aus an der WM in Brasilien folgte Reina einem neuen Account: Dem «FC Bayern Espagnol».
Nötig wurde die Verpflichtung, nachdem sich Bayerns Nummer 3, Lukas Raeder, Richtung Portugal zu Vitória Setúbal verabschiedet hatte. Seinen Job übernimmt neu Tom Starke, die ehemalige Nummer 2.
Pepe Reina ist heiss auf die bevorstehenden Aufgaben: «Bayern ist einer der grössten Vereine der Welt. Man hat ganz grosse Pläne, nämlich in den nächsten Jahren so viele Titel wie möglich zu gewinnen – und das will ich auch. Ich sehe mich als Siegertyp und werde versuchen dem Team so gut wie möglich zu helfen.»
Und trotzdem stellt sich die Frage, wie sinnvoll ein solcher Transfer ist. Ein Ausnahmekönner wie Reina, bekannt als «Elfmeterkiller», 33-facher Nationalspieler, acht Jahre Stammkraft in der Premier League und zuletzt leihweise bei Napoli, setzt sich im besten Goalie-Alter freiwillig auf die Bank?
Denn Klub-Boss Karl-Heinz Rummenigge stellt die Verhältnisse gleich bei der Ankunft des neuen Keepers klar: «Reina wollte das Abenteuer Bayern unbedingt angehen, obwohl er weiss, dass er mit Neuer eine Nummer 1 vor sich hat, die, wenn nichts passiert, immer die Nummer 1 bleiben wird.» Klare Worte für ein historisches Ereignis: Nie zuvor hatte ein Klub zwei Goalies gleichzeitig im Kader, die sich Weltmeister nennen durften. Demjenigen von 2010 dürfte wohl vorderhand nur die Rolle als Pokal-Goalie und einige Einsätze in den Gruppenspielen der Champions League bleiben.
Dass Reina sich für diese Aussichten trotzdem begeistert, dürfte einmal mehr an der Person von Pep Guardiola liegen. Der Keeper und sein zukünftiger Trainer kennen sich seit beinahe 20 Jahren. Als der gebürtige Madrider 1995 als 13-Jähriger in Barcelonas Jugendakademie «La Masia» Unterschlupf findet, ist Pep Guardiola mit der ersten Mannschaft schon als Titelhamster unterwegs. Als er 2000 den Sprung in den Profikader schafft, wird er von Captain Pep empfangen.
Nicht nur die enge persönliche Beziehung zum Coach, auch weitere Gründe sprechen bei genauerer Betrachtung dafür, dass Pepe Reina und der FC Bayern einer glücklichen und titelreichen gemeinsamen Zukunft entgegenblicken.
Trainer Guardiola lotst nach Thiago Alcántara, Javi Martínez und Juan Bernat innerhalb eines Jahres bereits den vierten kickenden Landsmann zum deutschen Rekordmeister. Zusammen mit dem Co-Trainer, dem Fitnesstrainer, dem Chefscout und Guardiolas persönlichem Assistenten ist die spanische Fussball-Enklave in Bayern damit bereits auf neun Schlüsselpersonen angewachsen.
Das erleichtert vor allem die Verständigung. Mit Reina verfügt Guardiola nun über ein Sprachrohr zur Goalie-Abteilung, mit welchem er sich in seiner Muttersprache austauschen kann. Trotz seiner Fortschritte im Deutschunterricht, dürfte dieser Umstand ein Schlüsselfaktor bei der Verpflichtung des neuen Keepers gewesen sein. Das gibt der Trainer auch zu: «Eine Sache ist es, sich auszudrücken, aber eine ganz andere ist es, zu den Spielern vorzudringen, tief zu ihnen vorzudringen. Dafür braucht man die Sprache, und meine Sprache ist noch nicht gut genug. Vergessen Sie nicht, wenn Sie vor einem Jahr ‹Guten Tag› zu mir gesagt hätten, dann hätte ich nicht gewusst, was das bedeutet.»
Obendrein ist auch Reinas aktive Interpretation der Goalie-Rolle als elfter Feldspieler ganz nach Guardiolas Geschmack. Bezeichnend dafür ist ein Zitat von Daniel Agger, einem langjährigen Teamkollegen bei Liverpool: «Wenn Pepe nicht so langsam wäre, könnte er auch Feldspieler sein. Ich habe noch nie einen Torhüter erlebt, der so perfekt mit dem Ball umgehen kann.»
Desweiteren ist sich Pepe Reina die Rolle im Schatten des ersten Goalies von langen Jahren in der Nationalmannschaft gewöhnt. Obwohl er es seit seinem Debüt im Jahr 2005 insgesamt auf 33 Einsätze gebracht hat, kam er bei den grossen Turnierkampagnen der Spanier nie an Iker Casillas vorbei und akzeptierte diese Rolle klaglos. Zu Hochform läuft er dafür jeweils neben dem Fussballplatz auf: Von der spanischen Equipe gibt es kaum ein Foto aus dem Flugzeug ohne einen singenden und tanzenden Reina. Den Empfang nach dem WM-Titel 2010 moderierte er quasi im Alleingang.
Die zwischenmenschlichen Fähigkeiten haben auch die Bayern-Bosse überzeugt. Karl-Heinz Rummenigge: «Er macht mir einen sehr sympathischen und offenen Eindruck. Wir haben uns natürlich auch erkundigt, was er für ein Mensch ist, was er für einen Charakter hat und alle haben sehr positiv von ihm gesprochen. Er ist ein Mensch, der auch sehr gut in unsere Gruppe hinein passt.» Und Gelegenheiten für einen Einsatz als Partytiger dürften sich auch bei den Bayern in den nächsten drei Jahren aller Voraussicht nach einige ergeben.
Zudem hat Reina mit seiner Grossfamilie privat ohnehin einiges um die Ohren. Nach Grecia, Alma, Luca und Thiago ist seine Ehefrau Yolanda mit Töchterchen Sira gerade zum fünften Mal schwanger. Langweilig wird es bei den Reinas auch ohne Bundesliga-Spiele nicht.
So spricht vieles dafür, dass die Liaison zwischen dem spanischen Keeper und den titelhungrigen Bayern eine glückliche wird – auch wenn Reina nur die zweite Geige spielt.