Mit der Viertelfinal-Quali hat die Schweiz an der WM das Minimalziel erreicht. Für mehr reicht Durchschnitt eben nicht.Bild: KEYSTONE
Eismeister Zaugg
Eine Einzelbeurteilung der WM-Mannschaft von 2015 zeigt Glanz und Elend der
Schweizer Hockey-Nati. Kein Akteur war eine «Nullnummer» – aber eben auch nur einer
Weltklasse.
15.05.2015, 08:5615.05.2015, 11:12
Roman Josi ist einer der besten Verteidiger der Welt. Er war bei der WM in
Prag der einzige Schweizer mit Top-Format. Ausser Robin Grossmann war keiner ungenügend – und damit erkennen wir bereits den Kern des Problems: Zu viele
Feldspieler waren in Prag nur Durchschnitt. Nur sieben Spieler, beide Torhüter
eingeschlossen, werden in der Einzelkritik mit «gut» oder besser beurteilt. Deshalb erreichten wir mit einer Mannschaft, die so viel
Talent hatte wie das Silberteam von 2013, zwar das Viertelfinale – schieden dort gegen die USA aber sang- und klanglos aus. Fürs WM-Halbfinale reicht
Durchschnitt eben nicht.
Roman Josis Solo zum 1:0 blieb im Viertelfinale gegen die USA einer der wenigen Glanzpunkte.gif: srf
Eine besondere Dramatik ergibt die Beurteilung von Captain Mark Streit. Er
wird zu Recht als einer der grössten Schweizer Spieler aller Zeiten bezeichnet
und stellt sich seit 1998 immer wieder für die Nationalmannschaft zur
Verfügung. Als Anerkennung für die Vergangenheit hat ihn Nationaltrainer
Glen Hanlon zum Captain gemacht. Auch 2006, 2007, 2009, 2010 und 2012
war Mark Streit unser WM-Captain. 2012 hatte der Boulevard den bösen
Begriff «Captain Minus» geprägt – weil Mark Streit die schlechteste Plus/Minus-Bilanz im Team hatte. Die WM 2015 in Prag war mit 2 Assists und einer −5-Bilanz nun seine schwächste WM überhaupt. Nur 2002 hatte er ebenfalls bloss
zwei Skorerpunkte wie hier in Prag – aber eine +2-Bilanz.
Ist Nationaltrainer Glen Hanlon für sein WM-Aufgebot zu kritisieren? Nein. Er
hatte kaum Alternativen zu den nominierten Spielern. Vielleicht hätte es etwas
gebracht, wenn die torgefährlichen Lino Martschini oder Inti Pestonie anstelle von Dino
Wieser für die WM aufgeboten worden wären. Aber hätten diese zwei Stürmer
im Viertelfinale gegen die robusten Amerikaner das Spiel entschieden? Mit
ziemlicher Sicherheit nicht. Eine bessere Klassierung in den Gruppenspielen
hätte wenig gebracht – die USA waren der einfachere Gegner als Russland
und Finnland.
Die Einzelkritik der WM-Fahrer
Überragend
Roman Josi
Nashville, 186 cm, 88 kg, 01.06.1990, Verteidiger
8 Spiele, 2 Tore, 2 Assists, 2 Strafminuten, +4, 25:30 Minuten pro Spiel
Bild: Melanie Duchene
Mit lichtjahreweitem Abstand der beste Einzelspieler und der einzige
Feldspieler in der Kategorie Weltklasse. Aber nicht mehr ganz so dominant wie
2013 – da war er sogar der beste Einzelspieler des Turniers. Die Präsenz von
Mark Streit hemmte ihn an diesem Turnier. Es war ein Fehler, ihn nicht zum
Captain zu ernennen. Ja, wo wären wir ohne Roman Josi? Ohne ihn waren wir
in Abstiegsgefahr geraten.
Sehr gut
Leonardo Genoni
Davos, 180 cm, 80 kg, 28.08.1987, Goalie
3 Spiele, 67 Schüsse, 3 Gegentore, 95,52 Prozent Abwehrquote
Bild: Melanie Duchene
Er hat die Hochform aus der Meisterschaft auch während der WM bewahrt. Ruhig,
reflexschnell, sehr gute Abprallerkontrolle, den Puck immer im Auge, nie
ausgespielt und mit starker Ausstrahlung. Aber auch er hätte das Viertelfinale
wohl nicht gewonnen. Statistisch der beste WM-Torhüter der Gruppenspiele
und nur mit ihm hat die Schweiz in Prag gewonnen (gegen Frankreich und
Deutschland).
Gut
Reto Berra
Colorado, 194 cm, 89 kg, 03.01.1987, Goalie
5 Spiele, 145 Schüsse, 16 Gegentore, 87,59 Prozent Abwehrquote
Bild: POOL/REUTERS
Er hat sich im Laufe des Turniers gesteigert und spielte gegen Tschechien
(1:2 n. P.) und im Viertelfinale gegen die USA wieder sein bestes Hockey. Da
war wieder ein charismatischer, dominierender Blocker. Er hat es wahrlich
nicht verdient, dass er alle vier Spiele (gegen Österreich, Lettland, Kanada,
Tschechien, USA) verloren hat.
Timo Helbling
SC Bern, 190 cm, 100 kg, 21.07.1981, Verteidiger
8 Spiele, 0 Skorerpunkte, 8 Strafminuten, −3, 15:02 Minuten pro Spiel
Bild: freshfocus
Die grosse positive Überraschung. Hatte keine Mühe mit dem internationalen
Tempo, spielte verlässlich defensiv, brachte mit Mut und Kraft Härte und
Emotionen ins Spiel. Er hatte von allen am meisten Wasserverdrängung und war
so etwas wie ein Verteidiger der Herzen. Ein wahrer Eisgenosse.
Eric Blum
SC Bern, 178 cm, 82 kg, 13.06.1986, Verteidiger
8 Spiele, 0 Tore, 2 Assists, 2 Strafminuten, +3, 18:59 Minuten pro Spiel
Bild: Melanie Duchene
Konnte sich nicht ganz so entfalten wie bei der WM 2013. Bescherte uns mit
seinem Schuss, der das 1:1 gegen Schweden brachte, vorzeitig die
Viertelfinals. Mit seinem Fleiss, seinem Mut und seiner Kreativität nach Roman
Josi gleichauf mit Timo Helbling unser bester Verteidiger.
Damien Brunner
Lugano, 180 cm, 85 kg, 09.03.1986, Stürmer
8 Spiele, 1 Tor, 4 Assists, 8 Strafminuten, −1, 17:15 Minuten pro Spiel
Bild: FILIP SINGER/EPA/KEYSTONE
Unser WM-Topskorer. Steigerte sich während des Turniers. Hatte Einfluss aufs
Spiel und von allen Stürmern am meisten Durchsetzungsvermögen. Kurzum – unser bester Stürmer. Aber er war ohne Fortune. Gerade bei
einem «Sniper» wie ihm ist der Grat zwischen strahlendem Helden und
Versager im Abschluss schmal.
Andres Ambühl
Davos, 176 cm, 82 kg, 14.09.1983, Stürmer
8 Spiele, 1 Tor, 1 Assist, 0 Strafminuten, −1, 17:53 Minuten pro Spiel
Bild: KEYSTONE
Der fleissige, leidenschaftliche, unermüdliche Leitwolf ohne Fehl und Tadel. So
wie wir ihn vom HCD kennen und in Prag in ähnlicher Rolle wie bei der Silber-WM von 2013. Aber auf diesem Niveau im Abschluss zu wenig effizient – und
letztlich ohne Fortune. Von der Ausstrahlung und den Leaderqualitäten her der
zweitwichtigste Feldspieler neben Roman Josi.
Ziemlich gut
Denis Hollenstein
Kloten, 183 cm, 88 kg, 15.10.1989, Stürmer
8 Spiele, 2 Tore, 0 Assists, 6 Strafminuten, +/−0, 13:31 Minuten pro Spiel
Bild: freshfocus
Die Flachlandantwort auf Andres Ambühl und fast so gut wie bei der WM
2013. Nur fast, weil er im Laufe des Turniers abbaute und in den letzten drei
Partien keinen Einfluss mehr aufs Spiel hatte. Auch er letztlich ohne Abschlussglück.
Matthias Bieber
Kloten, 181 cm, 85 kg, 14.03.1986, Stürmer
8 Spiele, 2 Tore, 0 Assists, 0 Strafminuten, −2, 13:11 Minuten pro Spiel
Bild: Getty Images Europe
Verlässlich, solide offensiv und defensiv, wie bei der WM 2013. Immer wieder
mal für ein Tor gut. Aber zu wenig gut, um auf diesem Niveau ein offensiver
Leader zu sein. Rettete uns mit dem Ausgleich zum 2:2 gegen Lettland in der
zweitletzten Minute vor dem Abstiegskampf. Trübte den guten Eindruck etwas
durch die Eispräsenz bei zwei Gegentoren (1:2, 1:3) im Viertelfinale gegen die
USA. War aber auch beim 1:0 von Roman Josi in diesem Spiel auf dem Eis.
Kevin Fiala
Nashville, 180 cm, 85 kg, 22.07.1996, Stürmer
8 Spiele, 1 Tor, 2 Assists, 6 Strafminuten, +/−0, 15:55 Minuten pro Spiel
Bild: DAVID W CERNY/REUTERS
Neben Josi der mit Abstand talentierteste Einzelspieler. Gemessen an diesem
Talent hatte er viel zu wenig Einfluss und wirkte oft wie nicht ins Team
integriert. Steigerte sich während des Turniers. Aber wo war er im
Viertelfinale? Ein offensiver Schillerfalter, der meistens machte, was er wollte
und nur gegen Schweden überzeugte.
Julian Walker
Lugano, 187 cm, 94 kg, 10.09.1986, Stürmer
8 Spiele, 0 Tore, 0 Assists, 0 Strafminuten, −1, 12:06 Minuten pro Spiel
Bild: freshfocus
Brachte Härte ins Spiel und erfüllt verlässlich die gleiche Aufgabe wie im
Silberteam von 2013. Spielte seine beste Partie gegen Schweden. Aber kein
offensiver Einfluss.
Patrick Geering
ZSC Lions, 178 cm, 84 kg, 12.02.1990, Verteidiger
8 Spiele, 0 Skorerpunkte, 2 Strafminuten, −4, 15:59 Minuten pro Spiel
Bild: freshfocus
Bekam nach dem Ausfall von Félicien Du Bois eine wichtigere Rolle als
vorgesehen und bewährte sich. Trotz der zwei Gegentore im Viertelfinale
gegen die USA verlässliche Defensivarbeit und sicher an der Scheibe. Hat die
Erwartungen übertroffen.
Genügend
Morris Trachsler
ZSC Lions, 183 cm, 90 kg, 15.07.1984, Stürmer
8 Spiele, 1 Tor, 0 Assists, 2 Strafminuten, −3, 12:13 Minuten pro Spiel
Bild: DAVID W CERNY/REUTERS
Er erfüllte verlässlich seine Aufgabe im 4. Block – so wie bei den ZSC Lions in
der Meisterschaft, so wie bei der WM 2013. Aber eben: kein Einfluss aufs
Offensivspiel und letztlich nur ein Mitläufer.
Kevin Romy
Servette, 182 cm, 86 kg, 31.01.1985, Stürmer
8 Spiele, 0 Tore, 2 Assists, 2 Strafminuten, +/−0, 14:48 Minuten pro Spiel
Bild: DAVID W CERNY/REUTERS
Ein starker Defensivstürmer. Aber bei seinem Talent hätten wir mehr
offensiven Einfluss erwartet. Er war letztlich halt auch nur eine graue Maus.
Mark Streit
Philadelphia, 181 cm, 93 kg, 11.12.1977, Verteidiger
8 Spiele, 0 Tore, 2 Assists, 6 Strafminuten, −5, 22:51 Minuten pro Spiel
Bild: DAVID W CERNY/REUTERS
Wir verneigen uns vor Mark Streits Leistungen der letzten zehn Jahre. Aber wir beurteilen hier nur die Gegenwart von Prag, wofür wir uns
entschuldigen. Wir tun nur unsere Chronistenpflicht. Wenn wir nur diese eine
WM betrachten und im Hinterkopf seine starken Leistungen diese Saison in
Philadelphia haben, dann sind wir enttäuscht. Wie 2012 die schwächste
Plus/Minus-Bilanz (in Prag gleichauf mit Robin Grossmann) und im Viertelfinale
gegen die USA bei zwei Minustoren (1:2, 1:3) auf dem Eis. Zu wenig offensive
Impulse, zu wenig gut im Powerplay, zu wenig Charisma für die Captainrolle.
Die Umstellung aufs breitere Eisfeld ist eben nicht so einfach. Prag 2015 ist
seine schwächste WM.
Simon Bodenmann
SC Bern, 178 cm, 83 kg, 02.03.1988, Stürmer
8 Spiele, 1 Tor, 0 Assists, 2 Strafminuten, −2, 12:57 Minuten pro Spiel
Bild: freshfocus
Besser als während der Saison in Kloten. Aber auf diesem Niveau halt nur ein
fleissiger Mitläufer – wie im Silberteam von 2013. Im Viertelfinale gegen die
USA bei zwei Gegentreffern (1:2, 1:3), aber nur einem Plustor (1:0) auf dem
Eis. Der SC Bern erwartet nächste Saison viel mehr von ihm. Sonst ist er schon
an Weihnachten wieder auf dem Transfermarkt.
Cody Almond
Servette, 188 cm, 90 kg, 24.07.1989. Stürmer
8 Spiele, 0 Tore, 2 Assists, 2 Strafminuten, +/−0, 14:48 Minuten pro Spiel
Bild: freshfocus
Von ihm hatten wir offensive Impulse erwartet. Aber er hatte mit dem Tempo
Mühe und das Spiel lief offensiv an ihm vorbei. Weder offensiver Fisch noch
defensiver Vogel, Kevin Romy war besser.
Knapp genügend
Reto Suri
Zug, 183 cm, 84 kg, 25.03.1989, Stürmer
8 Spiele, 1 Tor, 0 Assists, 0 Strafminuten, +/−0, 15:46 Minuten pro Spiel
Bild: Petr Kotala
Ein fleissiger Musterprofi ohne Fehl und Tadel. Aber im Gegensatz zur WM
2013 fehlte ihm der offensive Punch, er konnte nie die Rolle eines
Leitwolfes spielen. Hatte durchaus gute Abschlussmöglichkeiten. Aber kein
Glück – und eben auch zu wenig Durchsetzungsvermögen.
Ungenügend
Robin Grossmann
Zug, 185 cm, 85 kg, 17.08,1987, Verteidiger
8 Spiele, 0 Tore, 2 Assists, 4 Strafminuten, −5, 17:33 Minuten pro Spiel
Bild: Melanie Duchene
Gemessen an seinem Talent und an seiner Erfahrung zu viele Fehler. Wir haben nie den wahren
Robin Grossmann gesehen und er war klar schwächer als bei der Silber-WM
2013.
Wegen besonderer Umstände nicht zu beurteilen
Reto Schäppi
ZSC Lions, 193 cm, 94 kg, 27.01.1991, Stürmer
8 Spiele, 0 Tore, 1 Assist, 4 Strafminuten, −2, 8:03 Minuten pro Spiel
Bild: freshfocus
Er bekam nie eine wichtige Rolle. Dabei wäre er in der Lage, ein offensiver
Brecher zu sein und gab den Assist zum 1:0 gegen die USA. Wenn er zum
Einsatz kam, erledigte er seine Aufgabe mit Diziplin und Fleiss.
Dino Wieser
Davos, 181 cm, 83 kg, 13.06.1989, Stürmer
8 Spiele, 0 Tore, 0 Assists, 2 Strafminuten, −3, 5:12 Minuten pro Spiel
Bild: KEYSTONE
Fräser, Energiespieler. Einer, der den Gegnern unter die Haut geht. Aber Glen
Hanlon liess ihn gar nie von der Leine. Unter diesen Umständen war das
Aufgebot ein Irrtum.
Romain Loeffel
Servette, 176 cm, 81 kg, 10.03.1991, Verteidiger
2 Spiele, 0 Tore, 0 Assists, 0 Strafminuten, −1, 6:52 Minuten pro Spiel
Bild: freshfocus
Für den verletzten Dean Kukan nachgemeldet.
Félicien Du Bois
Davos, 187 cm, 84 kg, 18.10.1983, Verteidiger
2 Spiele, 1 Tor, 0 Assists, 0 Strafminuten, +1, 22:56 Minuten pro Spiel
Bild: KEYSTONE
Nach zwei Spielen wegen Verletzung des kleinen Fingers nach Hause geflogen.
Dean Kukan
Lulea, 187 cm, 90 kg, 08.08.1993, Verteidiger
3 Spiele, 0 Tore, 0 Assists, 0 Strafminuten, +/−0, 03:13 Minuten pro Spiel
Bild: freshfocus
Zog sich bereits im ersten Spiel gegen Österreich eine Schulterverletzung zu,
kam noch für zwei Spiele aufs Matchblatt, aber nicht mehr zum Einsatz.
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