
Sag das doch deinen Freunden!
Nur noch Ambri ermöglicht dem Sport-Romantiker eine Reise zurück in die Zeit, als Eishockey ein echter Wintersport war. Gespielt in Dörfern am Fusse hoher Berge. In den schönen Hockeypalästen im Flachland sinken die Temperaturen ja nie mehr unter den Gefrierpunkt. Nur noch in Ambri wird Eishockey in seiner natürlichen Umwelt zelebriert. Die Emotionen der leidenschaftlichen Fans erwärmen das Herz und die Seele, aber nicht eine Heizung die Hände, die Füsse und die Ohren. Und ist Eishockey nicht das Spiel fürs Herz und die Seele? Eben.
Die Valascia ist Europas letztes Kultstadion. Eishockey verwandelt sich in Kultur – und zum Abbild der Realität. Diese Realität bedeutet: Am Ende siegt doch das grosse Geld. Der tapfere Aussenseiter reitet mit hängendem Kopf ins Abendrot des Scheiterns.
Ambri hat den Chronisten ja schon immer zu solchen philosophischen Betrachtungen inspiriert. Erst recht und schon wieder am letzten Samstag. Beim Aufstieg zum Gotthard-Tunnel rollt die Benzinkutsche bei milden Temperaturen durch dunkle, regennasse Landschaften. Vom Winter ist nichts zu spüren, zu sehen und zu riechen. Und dann braust er mit dem Automobil aus dem Tunnel hinaus in den Süden und geradewegs in den tiefsten Winter hinein.
Schnee, kalter Wind und Durchzug. Der Winter ist zu spüren, zu sehen und zu riechen. Aber im Stadion wärmt die Leidenschaft eines grossen Spiels Herz und Seele. Und noch etwas passt zur Faszination Ambri. Vor dem Stadion verteilt Präsident Filippo Lombardi Eintrittskarten an eine Gruppe von asiatischen Gästen. Hat er am Ende geheimnisvolle Investoren gefunden?
Ambri spielt gegen Zug. Es wird ein grosses Spiel und wir sehen ein grosses Ambri. Aber am Ende steht eine Niederlage (2:4), die symbolisch für diese Saison werden kann. Ein Drama, als sei die ganze Geschichte dieses Hockeyunternehmens auf einen einzigen Abend reduziert worden.
Zum Auftakt entladen sich die Emotionen wie beim Blitzschlag. Bereits nach zehn Sekunden schlägt es bei Tobias Stephan zum 1:0 ein. Das Gewitter ist damit nicht zu Ende. Ambri braust in der Starphase über den Gegner hinweg. Aber die Zuger halten stand. Das Startfurioso bringt nur diesen einen Treffer und lässt schon das heraufziehende Unheil erahnen. Und als Reto Suri 19 Sekunden vor dem ersten Drittelsende Adrian Trunz die Scheibe abluchst, Torhüter Sandro Zurkirchen überlistet und bei numerischer Unterlegenheit zum 1:2 trifft, wird aus dieser dunklen Vorahnung Gewissheit.
Ambri macht alles richtig. Kompensiert fehlendes Talent mit Leidenschaft, Härte, Wille, Beharrlichkeit und Disziplin. Die Zuger biegen sich unter dem enormen Druck, aber sie brechen nicht. Dreimal prallt der Puck von der Torumrandung zurück, zuletzt bei einem Geschoss von Adam Hall neun Minuten vor Schluss beim Stande von 2:3. Torhüter Tobias Stephan reiht Heldentat an Heldentat. Und dann am Ende des Spiels noch einmal eine Szene, die so typisch ist für dieses grosse Ambri.
Trainer Hans Kossmann mobilisiert die Kavallerie: Attaque à Outrance! Angriff bis zum Äussersten! Torhüter Sandro Zurkirchen eilt zur Spielerbank um einem sechsten Feldspieler Platz zu machen. Aber Zugs schlauer Leitwolf Josh Holden (37), der eine grosse Karriere mit mehr als 800 Spielen hinter sich hat, nimmt dem 17 Jahre jüngeren Michael Fora, der noch nicht einmal 30 NLA-Partien gespielt, aber eine grosse Karriere vor sich hat, die Scheibe ab. 4:2 ins leere Tor. Aus, Ende, Vorbei. Ach, wie gerne hätten wir der Siegeshymne «La Montanara» gelauscht.
Dass beim totalen Einsatz Fehler passieren, liegt in der Natur dieses Sportes. Ambri scheiterte gegen Zug an der Summe von Kleinigkeiten. Pfostenschuss, Lattenschuss, verpasste Chance, ein verlorener Puck, eine Unaufmerksamkeit, ein Abend ohne Tore der Ausländer. Mit Konfuzius (kein Hockey-Trainer) können wir sagen: Ambri ist in diesem Spiel nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel gestolpert.
Mit ziemlicher Sicherheit hätte Ambri am Samstag gegen jeden anderen Gegner mindestens einen Punkt geholt. Aber Zug gelingt das perfekte Spiel. Der Spielplan hat Ambri zum falschen Zeitpunkt den falschen Gegner beschert. Gleichzeitig holt der SC Bern gegen Servette einen Punkt (3:4 n.V.) und klettert auf Kosten von Ambri wieder über den Strich auf den letzten Playoffplatz.
Das dramatische Ringen um den 8. Platz ist auch das Duell des Dorfclubs Ambri gegen den Titanen, den Hockeykonzern SC Bern. Bergdorf gegen Hauptstadt. Gross gegen Klein. Emotionen gegen Geld. Leidenschaft gegen professionelle Pflichterfüllung. Stolz gegen Arroganz. Und am Ende siegt im Sportgeschäft des 21. Jahrhunderts eben doch der Grosse.
Es passt zu Ambris Kultur des dramatischen Versagens, dass der Trainer ausgerechnet diese Saison zu spät gewechselt worden ist. Dazu keine Polemik. Bloss ein paar Zahlen. Im 16. Spiel verteidigt Gottéron seine Tabellenführung mit einem 3:1 gegen die ZSC Lions und hat 37 Punkte auf dem Konto. Im 16. Spiel verliert Ambri gegen Davos 4:5 und hat 17 Punkte auf dem Konto. Inzwischen hat Ambri Serge Pelletier durch Hans Kossmann ersetzt und steht nach Verlustpunkten exakt auf Augenhöhe mit Gottéron.
Auch das gehört zur Tragik Ambris: Präsident Filippo Lombardi wollte eigentlich Trainer Serge Pelletier schon nach der letzten Saison feuern und hatte Hans Kossmann kontaktiert. Der Trainerwechsel wäre schon im Sommer möglich gewesen. Und wenn der Trainerwechsel schon vor der Saison und nicht erst nach 18 Partien erfolgt wäre, dann hätte Ambri die Playoffs schon fast auf sicher. Ein Trainer kommt zu spät. Wer zu spät kommt, den bestrafen die Hockey-Götter. Vielleicht müssen wir am Ende der Saison sagen: Filippo Lombardi ist beinahe Bundesrat geworden und sein Ambri hat beinahe die Playoffs erreicht.
Ambri hat gegen Zug nach acht Spielen in Serie mit mindestens einem Punkt eine bittere Niederlage erlitten. Es hätte vielleicht zum Sieg gereicht, wenn die grossen offensiven Tenöre getroffen hätten. Aber Alexandre Giroux, Adam Hall, Cory Emmerton und Inti Pestoni trafen nicht.
Und damit sind wir wieder beim ewigen Thema: Leidenshaft gegen Geld. Ja, es wäre eigentlich Zeit für Polemik. Inti Pestoni (24) hat in der November-Nationalmannschaftspause vorzeitig bei den ZSC Lions für die nächste Saison unterschrieben. Seither hat er in 17 Partien noch zwei Treffer in den zwei Partien gegen Langnau erzielt. Den letzten am 5. Dezember.
Ambris Talent ist limitiert. Wenn jene nicht treffen, die von den Hockeygöttern mit Talent gesegnet worden sind, dann gelingt es nicht, einen so starken Gegner wie Zug zu bezwingen. Trainer Hans Kossmann bliebt (noch) ruhig und sagt: «Alle arbeiten fürs Team, das ist positiv. Ich habe Vertrauen zu meiner Mannschaft.»
Aber wenn sich Inti Pestoni ein vaterländisches Donnerwetter und Polemik ersparen will, dann wäre es schon gut, wenn er wieder mal ein Tor erzielen würde.
Non mollare mai! Gib niemals auf!