Die Olympischen Spiele in Sotschi waren die globale Party für Wladimir Putin (61). Nun organisiert auch Alexander Lukaschenko (60), sozusagen Putins kleiner Bruder im Geiste, sein Sport-Weltereignis.
Die Hockey-WM ist im Vergleich mit den Winterspielen ein lokaler Familientreff für ein paar unverbesserliche Hockeyfreaks. Schliesslich ist Russland (143 Millionen Einwohner) ja auch mehr als zehnmal grösser und mächtiger als Weissrussland (knapp 10 Millionen). Aber es soll alles so rund laufen wie in Sotschi. Alexander Lukaschenko hat für die WM ein neues Stadion bauen lassen. Die 2010 eröffnete hochmoderne, multifunktionale Arena fasst 15'000 Fans. Der für die medizinische WM-Betreuung verantwortliche Schweizer Kult-Sportarzt Dr. Beat Villiger wundert sich: «Uns stehen vier Spitäler kostenlos zur Verfügung. Alle Einrichtungen auf höchstem internationalen Standard und das Personal ist sehr gut ausgebildet.»
Das Bemühen, aus dieser WM ein grandioses Sportfest zu machen, ist überall spür- und sichtbar und die kleinen Unzulänglichkeiten mehren bloss den Charme dieser Veranstaltung.
Für unseren Nationaltrainer ist es ein bisschen ein «coming home». Er hat als Assistent von Cheftrainer Glen Hanlon (2005/06) und von Curt Fraser (2006/07) das weissrussische Nationalteam zwei Jahre lang betreut und viel Zeit in Minsk verbracht. Von der Sportbegeisterung und der Freundlichkeit der Menschen schwärmt er noch heute. Dass manchmal Staatspräsident Alexander Lukaschenko mit dem Nationalteam trainiert hat, sei jedoch Legendenbildung.
«Aber manchmal brach in der Eishalle Aufregung aus und alles wurde abgeriegelt. Dann kam Lukaschenko tatsächlich zum Eistraining und ein paar Spieler wurden zum Training mit dem Chef abkommandiert.» Persönlich habe er den Boss, der zwei Jahre länger im Amt ist als Arno del Curto, jedoch nie übers Eis gescheucht. Alexander Lukaschenko hat 1994 die ersten Präsidentschaftswahlen gewonnen und gilt inzwischen als «Europas letzter Diktator» mit guten Beziehungen zu China, Nordkorea und Kuba. Dort dürfte sein Demokratieverständnis eher geteilt werden als in Westeuropa und in den USA.
Mit den Hanlon und Simpson an der Bande schafften die Weissrussen 2006 an der WM in Lettland auf Kosten der Schweiz die Viertelfinals und den 6. WM-Schlussrang. 2007 wurden die Viertelfinals hingegen verpasst.
Wir stehen als Besucher vor schönen Tagen in Minsk. Weissrussland hat zwar eine gemeinsame Grenze mit der Ukraine. Doch die Distanz zu den dortigen Unruhen ist hier gefühlt viel grösser als in der Schweiz. Sie sind hier kein alles dominierendes Medienthema. Eine «Informationssperre» gibt es allerdings nicht. Einschlägige Seiten wie Spiegel.de (oder watson.ch) sind im Internet abrufbar.
In Minsk (fast 2 Mio. Einwohner) sind Störungen der öffentlichen Ordnung sowieso fast nicht vorstellbar. Eine Reise in die weissrussische Hauptstadt ist auch eine Reise weit, weit zurück in die Vergangenheit. Minsk ist so etwas wie ein kommunistisches Disneyland. Das Leben hier mahnt verblüffend an den Alltag zu Breschnews Zeiten in Moskau.
Die Hektik des urbanen westlichen Lebens und die Dynamik des Kapitalismus fehlen. Eine Marktwirtschaft im westlichen Sinne gibt es in Minsk nicht. Für jede Tätigkeit stehen unbegrenzt Menschen zur Verfügung. Am Flughafen stehen mehr Soldaten und Funktionäre und Polizisten und Helfer herum als Passagiere.
Alle Tätigkeiten nehmen den langsamen und komplizierten und bürokratischen Gang wie einst in der Sowjetunion. Niemand will entscheiden. Es ist immer irgendwo jemand anders zuständig. Weissrussland ist zwar offiziell kein kommunistisches Land. Der staatliche Einfluss ist aber so gross, dass die Wirtschaftsform dem Kommunismus näher kommt als der freien Marktwirtschaft.
Weil Minsk so viele Grünflächen hat, wirkt die sozialistische Schäbigkeit der Plattenbauten nett und die stalinistische Einheitsarchitektur nicht so drohend. Die Ladys sind ein bisschen aufgebrezelter als in den 1980er Jahren in Moskau, es gibt schon ein bisschen mehr westlichen Einfluss als im ehemaligen Ostblock. Aber das Hotelzimmer strahlt immer noch diesen wunderbaren schäbigen sozialistischen Charme aus.
Mit ein bisschen Boshaftigkeit dürfen wir Minsk als putzige Parodie auf das Moskau zu Zeiten der Sowjets sehen. Wie es draussen im Lande aussieht, kann ein Chronist von Minsk aus nicht beurteilen. Fremdsprachen sind nicht weit verbreitet. Erkundigungen einzuholen wäre nicht so einfach.
Die Schweizer sind am Mittwoch wohlbehalten mit einem Charterflug in Minsk angekommen. Auf ein Eistraining hat Sean Simpson am Reisetag verzichtet: «Wir haben früher bereits am Anreisetag trainiert. Aber die Hektik war immer so gross, dass dieses Training nie gut war und auch die Trainingsqualität am zweiten Tag noch unter dem Stress gelitten hat. Deshalb trainieren wir seit 2013 am Anreisetag nicht mehr.»
Hektik und Stress passen ja sowieso nicht zum beschaulichen sozialistischen Lebensrhythmus von Minsk.