Ist es zu früh, einen neuen Trainer schon nach den ersten beiden Partien zu kritisieren? Ja. Es ist nach dem 1:3 gegen Gottéron und dem kläglichen 1:5 in Lugano zu früh. Weil das Problem nicht mehr der Trainer ist. Der SCB hat ein tiefergehendes Führungsproblem. Zur Debatte stehen jetzt die zwei Führungskräfte, die auf der operativen Ebene das Wohl des 50 Millionen-Umsatz Sportunternehmens zu verantworten haben: Manager Raëto Raffainer und sein Sportchef Andrew Ebbett.
Beim SCB entschuldigt die sportliche Führung seit zwei Jahren einfach alles. Noch nie war die Ausredenkultur beim SCB so hoch entwickelt. Wer den SCB als teuerste Selbsterfahrungsgruppe unseres Sportes bezeichnet, mag boshaft sein, kommt aber der Wahrheit nahe. Unvergessen das grandiose Spektakel, als während der missglückten letzten Saison die Fans den Spielern eine Kabinenpredigt halten durften. Ganz Hockey-Europa lachte.
Bern ist «Hockey-Town» und wird es bleiben. Trainer, Manager und Sportchefs kommen und gehen, der SC Bern bleibt bestehen. Nach dem Trainerwechsel ist die Arena am Samstag gegen Gottéron zum ersten Mal in dieser Saison bis auf den letzten Platz gefüllt. 17'031 Frauen, Männer und Kinder eilen herbei. Alle hoffen: ein neuer Trainer! Ein neuer Anfang! Ein neuer SCB!
Aber es ist eben nur ein neuer Trainer. Kein neuer Anfang und kein neuer SCB. Raëto Raffainer und Andrew Ebbett haben beim Trainerwechsel bewusst den dringend erforderlichen «Kulturschock» vermieden und mit Toni Söderholm erneut einen freundlichen skandinavischen Spielerversteher verpflichtet. Sie scheuten die Unruhe, die Unbequemlichkeiten, die Aufregung, die ein nordamerikanischer Feuerkopf an der Bande, in der Kabine und im Umfeld provoziert hätte. Lieber keine Störung der liebgewordenen Gewohnheiten. Lieber harmonisch verlieren als aufgewühlt gewinnen.
Keine Veränderung also. Nur ein anderer Name. Kein «Maschinenwechsel». Bloss ein Radwechsel auf der breiten, bequemen Strasse der Harmonie und Bequemlichkeit. Nichts ist also auf dem Eis und in der Kabine durch den Trainerwechsel von Grund auf anders geworden. Das Problem beim SCB ist nicht fehlendes Talent, zu wenig Erfahrung, der Ausfall von ein paar Spielern oder das Spielsystem. Es geht nicht um eine neue Variante der Angriffsauslösung, des Forecheckings oder um die Neuorganisation der Abwehr oder die Neuausrichtung des Powerplays und des Unterzahlspiels.
Es geht um etwas viel Wichtigeres: um die Auffrischung der Leistungskultur. Für diese Leistungskultur war der SCB einmal legendär. Zwei Jahre Larifari-Betrieb unter antiautoritären Trainern haben zu einer tiefen Zerrüttung geführt. Dazu passt, dass Chris DiDomenico längst Kultstatus hat: Ein Spieler mit seinem Siegeswillen, seiner Leidenschaft, seiner Intensität fällt bei der SCB-Selbsterfahrungsgruppe aus dem Rahmen wie ein gedopter Kickboxer beim Yoga-Kurs. Er hat während des Spiels gegen Gottéron auf der Tribüne mehr Leidenschaft gezeigt als die Trainer-Crew an der Bande – und die meisten Spieler. Er muss noch ein Spiel (in Genf) zuschauen und kehrt am Samstag gegen Davos ins Team zurück.
Leistungskultur wird gelebt. Nicht geredet. In Bern wird sie nur noch geredet. Die Berner sind Maulhelden geworden. Dazu passt, dass Tristan Scherwey, einst leidenschaftlicher, unerbittlicher Vorkämpfer, inzwischen durch Schwalben auffällt.
Ach, wie schöne Worte haben Raëto Raffainer und Andrew Ebbett auch diese Saison wieder gefunden, um inakzeptable Leistungen schönzureden. Über den inzwischen entlassenen Johan Lundskog singen sie immer noch Psalmen. Und wie klug können beide erklären, dass es eben Zeit brauche. Zeit für alles. Leistung und Resultate morgen und übermorgen. Aber nicht schon heute. Wozu sich also aufregen, wenn die Chefs ja alles entschuldigen? Freundlichere Verlierer waren die Berner noch nie.
Toni Söderholm ist ein Zauberlehrling wie sein Vorgänger Johan Lundskog. Keine Erfahrung in der Führung einer Klubmannschaft und im Management einer Krise. Er ist nicht das Problem. Aber bei der Wiederaufforstung der Leistungskultur braucht er die Hilfe seiner Vorgesetzten. Die Hilfe von Raëto Raffainer und Andrew Ebbett. Im Sport gibt es jeden Tag eine neue Chance. «There is always next game» sagen die Nordamerikaner.
Das 1:5 in Lugano ist unter Berücksichtigung der besonderen Umstände und der daraus resultierenden Wichtigkeit der Partie der absolute sportliche Tiefpunkt seit dem Wiederaufstieg von 1986. Zum Glück gibt es bereits am Freitag in Genf gegen Tabellenführer Servette eine neue Chance. Der SCB hat jetzt den Trainer, die Ausländer, kurzum die Mannschaft, die Raëto Raffainer und Andrew Ebbett wollten. Sie stehen in der Verantwortung. Es gibt keine Ausreden mehr.
Grosszügig wird unterschlagen, dass die letzten Meistertitel von Mannschaften mit nordeuropäischen Coaches gewonnen wurden.
Der HC Lugano bringt erst eine adäquate Leistung auf das Eis, seit der Kultfeuerkopf McSorley gefeuert wurde.
Das Spiel hat sich weiterentwickelt und eine neue Generation von Coaches steht an der Bande.
Der selbe Chronist hat gehen den sehr erfolgreichen Kari Jalonen angeschrieben, weil es da zu wenig Drama gab.
Zuletzt kann man noch hinzufügen, dass Florence Schelling etwa gleich erfolgreich wie Andrew Ebbett war.
Wüthrich statistisch der zwölftbeste Goali. Er wird im Januar 25. Ist man dann immer noch ein Talent?
Ohne die beiden erstgenannten gehören wir ohne wenn und aber zwischen Rang 9 und 11. Leider.