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Sportchef und Manager vom HC Lugano im Interview: «Wie eine Realityshow»

Marco Werder (in weiss) und Hnat Domenichelli (mit Glatze und Brille)
Manager Marco Werder und Sportchef Hnat Domenichelli (r.) sprachen mit watson über den HC Lugano.Bild: Marcel Bieri
Interview

«Hockey in Lugano ist wie ein Leben in einer TV-Realityshow»

Lugano dominierte zu Beginn des Playoff-Zeitalters die Liga fast nach Belieben. Aber das «Grande Lugano» hat seit 2006 keinen Titel mehr geholt. Ein Gespräch mit Manager Marco Werder und Sportchef Hnat Domenichelli nicht nur über die Faszination Lugano, die Schwierigkeiten, im Tessin ein Eishockey-Unternehmen zu führen und das Scheitern von Chris McSorley.
17.11.2022, 18:31
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Beginnen wir mit einer Frage, die wir uns in der Deutschschweiz immer wieder stellen: Was ist eigentlich Luganos DNA?
Marco Werder:
Der HC Lugano ist nach wie vor ambitioniert. Seit Jahren versuchen wir, unsere eigenen Spieler und unsere eigenen Leute zu entwickeln. Auch wenn das für Sie seltsam tönt: Wir sind ein Klub mit einem Budget und im Rahmen, das unser Budget vorgibt, versuchen wir das Beste herauszuholen und mit so vielen eigenen Spielern wie möglich konkurrenzfähig zu sein. Also die grossen Klubs aus der Deutschschweiz herauszufordern. Das ist in unserer Region schwierig. Weil wir im Vergleich zu Bern, Zürich, Zug oder Lausanne in einem kleinen Wirtschaftsraum operieren.

Sie können also wegen des Budgetrahmens nicht mithalten, wenn es um die Verpflichtung von grossen Namen wie beispielsweise Grégory Hofmann geht?
Hnat Domenichelli:
Doch, das können wir jederzeit, falls wir das Budget nicht überziehen. Nehmen wir das Beispiel von Hofmann: Er ist ein grosser Spieler, er war grossartig, als er noch für uns spielte. Für uns stellt sich die Frage: Wenn wir versuchen, ihn zurückzuholen, haben wir dann noch Geld genug für die anderen Spieler? Ist er so viel wert? Das sind schwierige Entscheidungen. Wir waren nicht dazu in der Lage, die Offerten der Konkurrenz für einen Mehrjahresvertrag zu überbieten.

Le Top Scorer luganais Gregory Hofmann celebre le 4eme but lors du match du championnat suisse de hockey sur glace de National League entre le Lausanne Hockey Club, LHC, et le HC Lugano mardi 19 fevri ...
Zwischen 2015 und 2019 spielte Grégory Hofmann bei Lugano.Bild: PPR

Wie viel haben Sie Hofmann geboten?
Domenichelli:
Das ist Geschäftsgeheimnis.

Wenn ich Sie richtig verstehe, dann hat Lugano früher die Stars eingekauft und jetzt versucht Lugano Spieler zu entwickeln?
Werder:
Das versuchen doch längst alle und wenn du es nicht versuchts, gehst du unter. Wir haben vor zwölf Jahren entschieden, in die Entwicklung zu investieren und heute gehören wir auf höchster Juniorenstufe zu den Besten. Hockey ist im Tessin wichtig, aber es gibt für die Kinder viele andere attraktive Sportmöglichkeiten. Die grosse Herausforderung ist es, die richtige Mischung aus eigenen Spielern und den richtigen Transfers zu finden.

Nehmen wir 100 Kinder, die Sport betreiben wollen. Wie viele davon entscheiden sich für Hockey?
Werder:
Eine Zahl kann ich nicht nennen. Wir rekrutieren pro Saison um die 100 Kinder und wir haben rund 400, die in unseren 19 Nachwuchsteams spielen. Damit sind wir ausgebucht.

Marco Werder (in weiss) und Hnat Domenichelli (mit Glatze und Brille)
Marco Werder ist stolz auf die Nachwuchsarbeit des HC Lugano.Bild: Marcel Bieri
Zu den Personen
Marco Werder (49) ist im Tessin zweisprachig aufgewachsen. Sein Vater Matthias hat auch in der Deutschschweizer Medienszene als Reporter und Netzwerker Kultstatus und gehörte zum inneren Führungskreis des meisterlichen «Grande Lugano». Marco Werder ist in der Nachwuchsabteilung Luganos ausgebildet worden. Als rauer Energie- und Rumpelstürmer macht er zwar keine grosse, aber eine bemerkenswerte Karriere: Mehr als die Hälfte seiner Partien in der höchsten Liga (total 214 mit 18 Skorerpunkten) bestreitet er nicht mit Lugano, sondern in der Deutschschweiz (Rapperswil-Jona, Chur) und steigt mit Rapperswil-Jona und Chur in die NLA auf (183 Spiele/56 Punkte in der NLB). Seit 2019 ist er Luganos Geschäftsführer. Sein Sohn Riccardo Werder (21), vom Spielstil her ganz der Vater, hat bereits einige Partien für Lugano gespielt.

Hnat Domenichelli (46) ist in Edmonton aufgewachsen. In Nordamerika pendelt er zwischen NHL und den Farmteams – zu gut für die Farmteams nicht ganz gut genug für die NHL, mit exakt gleich vielen Partien in der NHL (267) und in der AHL. 2003 kommt er zusammen mit Jean-Guy Trudel (kehrt 2010 nach Nordamerika zurück) nach Ambri und gehört jahrelang zu den besten Einzelspielern der Liga (544 Punkte aus 501 Partien). Von 2008 bis 2014 stürmt er für Lugano und beendet die Karriere nach einem Wechsel im Laufe der Saison 2014 in Bern. Meister wird er nie. Durch Heirat Schweizer geworden, ist Lugano seine Heimat. Nach seiner Einbürgerung bestreitet er ab 2009 17 Länderspiele (16 Punkte) und gehört beim Olympischen Turnier 2010 in Vancouver zu den Besten im Schweizer Team (5 Spiele/3 Punkte). Seit 2019 führt er als General Manager (Sportchef) die sportliche Abteilung bei Lugano.​

Reicht das als Basis für ein Spitzenteam?
Werder:
Nur in Ausnahmejahren. Wir hatten Jahrgänge, als das reichte: Aus den 1994er- und 1995er-Jahrgänge hat sich eine ganze Reihe von Spielern entwickelt: Merzlikins, Fazzini, Morini, Romanenghi und Dario Simion. Idealerweise können wir vier oder fünf Junioren pro Jahr in die erste Mannschaft aufnehmen. Aber das ist nicht realistisch und so muss eben unser Sportchef Ausschau nach Spielern halten.
Domenichelli: Dass wir 1994 oder 1995 so gute Jahrgänge hatten, ist kaum Zufall. Lugano ist 1999 und 2003 Meister geworden und hat 2000 und 2001 den Final erreicht. Die Generation Fazzini war damals im Bubenalter und die Hockeybegeisterung in Lugano hat dazu beigetragen, dass sie Hockey gewählt haben. Ich bin in Edmonton in der Nähe des Stadions aufgewachsen und als ich ins Schulalter kam, haben die Oilers mit Gretzky, Kurri die NHL dominiert. Es gab nur ein Thema zu Hause, in der Schule und in der Stadt: Hockey. Auch deshalb bin ich zum Hockey gekommen.

«Wir bezahlen den Preis für die Erfolge der Vergangenheit.»
Hnat Domenichelli

Es genügt ja nicht, Kinder fürs Hockey zu begeistern. Sie müssen vor allem die begabtesten fürs Hockey begeistern.
Werder:
Das ist so. Aber noch wichtiger als Talent ist die Leidenschaft für dieses Spiel. Wer diese Leidenschaft mitbringt, macht in der Regel seinen Weg in unserem Hockey.​

Lugano's player Luca Fazzini, during the preliminary round game of National League A (NLA) Swiss Championship 2022/23 between, HC Ambri Piotta against HC Lugano at the Gottardo Arena in Ambri, Tu ...
Er gehört zu einem der stärksten Jahrgänge in Lugano: Der 27-jährige Luca Fazzini.Bild: keystone

Eigentlich stecken Sie in einer Falle.
Werder:
Wie meinen Sie das?

Sie versuchen, eigene Spieler zu entwickeln. Aber Lugano ist kein Ausbildungsklub. Lugano ist eine Premium-Marke und dem Erfolg, den Titeln verpflichtet.
Domenichelli:
Ja, das ist richtig. Wir bezahlen den Preis für die Erfolge unserer Vergangenheit.
Werder: Aber darauf sind wir auch stolz. Das zeigt doch, dass hier sehr viele Leute sehr gut gearbeitet haben. Wir sind in dieser Situation, weil wir so vieles richtig gemacht haben. Wir haben enorme Herausforderungen zu meistern. Auch, was die Infrastruktur betrifft.
Domenichelli: Lugano hat in der internationalen Hockeywelt einen exzellenten Ruf. Das erleichtert uns manchmal die Arbeit. Wenn bei uns eine Trainerstelle frei wird, gehen sicherlich 50 Bewerbungen ein. Wenn ein Coach bei uns gearbeitet hat, dann heisst es: «Oh, in Lugano! Der muss gut sein, dass er dort den Job bekommen hat.» Wer bei uns scheitert, hat kein Problem. Dann heisst es: «Ja, ja, das ist eben ein schwieriger Job.»

«Wir leben hier in einer anderen Welt und das wird in der Deutschschweiz immer wieder unterschätzt.»
Marco Werder

Das ist es ja in der Tat. Seit 2019 sind Sami Kapanen, Serge Pelletier verabschiedet worden und nun ist auch das auf drei Jahre angelegte Experiment Chris McSorley bereits zu Beginn seiner zweiten Saison gescheitert.
Werder:
Unsere Mentalität ist eine andere. Wir leben hier in einer anderen Welt und das wird in der Deutschschweiz immer wieder unterschätzt.

Erklären Sie uns diese Welt.
Werder:
Unsere Fans sind leidenschaftlich und unsere Medienkultur unterscheidet sich komplett von der Deutschschweiz. Wir haben hier drei TV- und fünf Radiostationen plus drei Tageszeitungen plus ein Hockey-Nachrichtenportal und für alle ist Hockey ein zentrales Thema. Die Medienwelt ist hier sehr intensiv. Wie in Italien, wir leben hier mehr oder weniger in der italienischen Medienkultur. Wie viele Hockey-Talkshows haben Sie in der ganzen Deutschschweiz?

Marco Werder (in weiss) und Hnat Domenichelli (mit Glatze und Brille)
Hnat Domenichelli.Bild: Marcel Bieri

Eigentlich keine echten.
Werder:
Sehen Sie. Wir haben im Tessin vier davon. Pro Woche.
Domenichelli: Wenn Sie für Lugano arbeiten, dann ist das Leben hier wie in einer TV-Reality-Show.
Werder: Wenn wir verlieren, dann geht es bei uns anders zu und her als in Davos mit der Berichterstattung der Südostschweiz. Es ist wirklich eine andere Welt und das wird in der Deutschschweiz unterschätzt.

Wie zeigt sich das im Alltag?
Werder:
Auch bei jedem Training sind zehn bis zwölf Medienschaffende vor Ort. Hockey ist jeden Tag ein Thema und die Verbindung zwischen den Spielern und den Journalisten sind eng.

«Viele der Journalisten hier sind Ambri-Fans.»
Marco Werder

Die Spieler füttern die Journalisten gezielt mit Interna, um den Trainer zu destabilisieren?
Werder:
Nein, so ist es nicht. Die Journalisten suchen sich die Internas. Kommt dazu, dass viele Ambri-Fans sind (lacht).

Jetzt übertreiben Sie.
Werder:
Nein, nein, ich übertreibe nicht. Wenn sie im Tessin aufgewachsen sind, dann müssen Sie entweder für Lugano oder für Ambri sein. Gut 75 Prozent sind für Ambri.

Lugano's player Calvin Thuerkauf, during the preliminary round game of National League A (NLA) Swiss Championship 2022/23 between, HC Ambri Piotta against HC Lugano at the Gottardo Arena in Ambri ...
Als Tessiner muss man sich entscheiden: Lugano oder Ambri?Bild: keystone

Warum ist das so?
Werder:
Vielleicht, weil wir nicht die gleiche Hockey-Romantik bieten können wie Ambri. Wir werden für unsere Erfolge geliebt.

So sind Sie auch in dieser Beziehung ein Opfer der speziellen DNA?
Werder:
Das ist wohl so. Bei Ambri hat die Qualifikation für die Playoffs in der öffentlichen Wahrnehmung einen ähnlichen Stellenwert wie bei uns eine gewonnene Meisterschaft.
Domenichelli: Wie ich eben sagte: Es ist wie ein Leben in einer TV-Realityshow. Die Emotionen gehen hoch und tief.

Auch im Büro?
Werder:
Nicht in meinem Büro.
Domenichelli: Bei mir auch nicht.

«Es fällt uns nicht leicht, einen Trainer zu entlassen. Aber unsere Fans und Sponsoren akzeptieren keinen 9. oder 10. Platz.»
Marco Werder

Sie trinken also den Espresso zu Hause und gehen dann direkt ins Büro?
Werder:
Nein, so ist es nicht. Ich versuche, cool zu bleiben. Diese Verhältnisse sind für mich kein Problem. Ich bin hier geboren und hier aufgewachsen, ich kenne und liebe unsere Kultur. Aber es ist eben, wie wir sagten, eine andere Welt.

Aber wenn die Emotionen in ihren Büros nicht hochgehen – warum haben die Trainer trotzdem keine Chance?
Werder:
Glauben Sie, es fällt uns leicht, einen Trainer zu entlassen? Sicher nicht. Aber unsere Fans und auch unsere Sponsoren akzeptieren es nicht, wenn wir auf dem 9. oder 10. Platz sind. Dann bleibt uns keine andere Wahl.

Lugano?s Head Coach Chris Mcsorley, during the preliminary round game of National League A (NLA) Swiss Championship 2022/23 between HC Lugano against LHC Lausanne, at the Corner Arena in Lugano, Satur ...
Er musste im Oktober gehen: Chris McSorley.Bild: keystone

Ist das wirklich so? Haben Sie bei Chris McSorley nicht zu früh die Reissleine gezogen?
Domenichelli:
Nein. Wir haben nach der letzten Saison so viele Gespräche geführt, wir haben Anpassungen gemacht und nach dem Saisonstart mussten wir feststellen, dass sich das Team nicht so entwickelt, wie wir uns das vorgestellt und erhofft haben. So sind wir am Punkt angelangt, an dem die Trennung für beide Seiten die beste Entscheidung war. Der Druck war einfach zu gross geworden. Das ist der Unterschied zwischen Ambri und Lugano: Wir können nicht fünf Jahre hintereinander die Playoffs verpassen. Unsere DNA erlaubt das einfach nicht.

Die Erwartungen sind also gleich hoch in den ruhmreichen 1980er Jahren mit einer 10er-Liga und keinem anderen Team, das finanziell mit Lugano mithalten konnte. Nun haben wir eine 14er-Liga und mindestens vier Teams, die gleich grosse oder grössere Saläre bezahlen können.
Werder:
Es ist ja nicht so, dass wir keinen Erfolg haben. Seit Vicky Mantegazza vor 13 Jahren das Präsidium übernommen hat, haben wir die Playoffs nie verpasst. Zweimal sind wir bis in den Final gekommen und 2018 kamen wir trotz vieler Ausfälle bis ins 7. Spiel und verloren, weil ein Puck ein paar Zentimeter über eine Stockschaufel gesprungen ist. So knapp kann es gehen.

«Kommt ein Spieler zu mir und sagt, er habe ein Problem mit dem Trainer, dann sage ich ihm: Bitte bespricht das mit deinem Trainer.»
Hnat Domenichelli

Oder ist vielleicht die familiäre Atmosphäre in Lugano ein Problem? In der NHL ist es völlig undenkbar, dass sich ein Spieler beim Management oder gar bei den Teambesitzern über den Coach beschweren kann. Aber hier haben wohl einige Spieler das Ohr von CEO Marco Werder oder gar von Präsidentin Vicky Mantegazza.
Werder:
Wir haben klare Strukturen: Ein Team, die Coaches, der Sportchef, der CEO und der Verwaltungsrat. Ja, da haben Sie recht: Lugano ist eine Familie. Aber auch in einer Familie gibt es Strukturen. Wir leben in einer neuen Welt. Einfach befehlen von oben nach unten funktioniert nicht mehr. Jeder hat das Recht, mit seinen Anliegen zum Chef zu gehen.​

Vicky Mantegazza, president of HC Lugano, waits for the beginning of the match, during the seventh match of the playoff final of the National League of the ice hockey Swiss Championship between the HC ...
Lugano-Präsidentin Vicky Mantegazza.Bild: KEYSTONE

Ja, aber es gibt eben die Möglichkeit für den Spieler, den direkten Vorgesetzten – den Trainer – zu umgehen.
Domenichelli:
Nein, so ist es nicht. Wenn ein Spieler zu mir kommt und sagt, er habe ein Problem mit dem Trainer, dann sage ich ihm: Bitte bespricht das mit deinem Trainer.

Das tönt ja gut. Aber wie heisst es doch so schön: Ich höre die Botschaft wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Werder:
Natürlich tauschen wir uns untereinander aus. Wir essen oft in unserem Restaurant und es ist doch normal, dass wir miteinander reden. Aber wie ich schon sagte: Wenn sich einer über den Trainer beschweren will, dann schicken wir ihn zum Trainer.

Ist es nicht doch so, dass die Spieler zu mächtig sind? Dass sie eben doch das Ohr der Vorgesetzten des Trainers haben?
Domenichelli:
Nein. Nehmen wir konkret die Beispiele von Patrick Fischer und Chris McSorley. Ich war unter Patrick Spieler und bin nun als Sportchef der Vorgesetzte von Chris. Ich passte nicht mehr zu Patricks Vorstellung eines schnellen Spiels. Er blieb, ich musste gehen und wurde nach Bern transferiert. Weil die Resultate doch nicht besser wurden, verlor Patrick später seinen Job. Aber beide bezahlten den Preis: der Spieler und der Coach. Letzte Saison holten wir Libor Hudacek. Er war auf Anhieb unser produktivster Stürmer und hat in den ersten acht Spielen acht Tore erzielt. Aber er kam mit Chris nicht aus. Wir hatten uns für Chris entschieden und so haben wir Hudacek wegtransferiert. Aber die Resultate sind diese Saison nicht besser geworden.​

Lugano's player Libor Hudacek during the preliminary round game of National League 2021/22 between HC Lugano and HC Ambri Piotta at the ice stadium Corner Arena in Lugano, Switzerland, Friday, No ...
Trotz guter Leistungen musste Libor Hudacek gehen – weil er sich mit McSorley nicht verstand.Bild: keystone

Warum ist Chris gescheitert?
Werder:
Diese Frage haben wir uns oft gestellt. Haben Sie eine Antwort?

Ich? Nein, ich bin zu weit weg von Lugano.
Werder:
Na kommen Sie, was denken Sie? Sie kennen Chris seit 20 Jahren.

Chris war in Lugano nicht mehr der gleiche Chris, wie ich ihn vorher kannte.
Werder:
Warum?

Weil Lugano für ihn zu gross war. Auch er ist ein Opfer der DNA des «Grande Lugano».
Werder:
Wie meinen Sie das?

Darf ich es etwas frivol und politisch unkorrekt erklären?
Werder:
Nur zu.

Wir können es so vergleichen: Chris war, bevor er nach Lugano kam, King. Oder um es etwas frivol zu erklären: Er war wie einer, der jede Frau verführen konnte. Aber mit Lugano war es so, als hätte er auf einmal ein Date mit Heidi Klum: Er ist vor Ehrfurcht erstarrt und wagte es nicht mehr, der gleiche Chris zu sein.
Werder:
Ein interessanter Ansatz.

«Wir planen schon lange mit Luca Gianinazzi. Jetzt kommt seine Chance halt 18 Monate früher als erwartet.»
Hnat Domenichelli

Nun, es ist, wie es ist: Chris McSorley gescheitert und nun setzen Sie auf einen Juniorentrainer. Eine extremere Kehrtwende ist nicht denkbar.
Domenichelli:
Es ist keine Kehrtwende. Luca Gianinazzi bekommt bloss 18 Monate früher als eigentlich geplant seine Chance. Wir planen schon lange mit ihm. Der Plan war, drei Jahre mit Chris McSorley zu arbeiten und in dieser Zeit Luca Gianinazzi an den Job heranzuführen. Er ist unser bester Kandidat: Er kennt unsere Mentalität, unsere Kultur und unsere jungen Spieler und hat in der Nachwuchsabteilung hervorragende Arbeit geleistet. Er soll langfristig unser Trainer sein. Wie gesagt: Nun bekommt er seine Chance 18 Monate früher als geplant.

Lugano's Head Coach Luca Gianinazzi, during the preliminary round game of National League A (NLA) Swiss Championship 2022/23 between, HC Lugano against HC Fribourg Gotteron at the Corner Arena in ...
Der neue Mann an Luganos Bande ist Luca Gianinazzi.Bild: keystone

Wir haben bereits über die besondere Mentalität, die besondere Kultur gesprochen. Auch Ambri hat mit Luca Cereda einem jungen Trainer eine Chance gegeben und der mediale Druck war bei ihm nie so gross. Es fällt auf, dass Paolo Duca es offenbar schafft, Einfluss zu nehmen und Gerüchtemacherei und Polemik in einem vernünftigen Mass zu halten.
Werder:
Wenn das so wäre, wenn Ambri die Medien unter Kontrolle gebracht hätte, dann müssten Sie ein grosser Anhänger des HC Lugano sein. Denn hier schränkt niemand Polemik und Gerüchtemacherei ein und wir garantieren Medienfreiheit. Spass beiseite: Sie können Ambri nicht mit Lugano vergleichen. Ambri ist, wie wir schon erklärt haben, eine andere Welt.

Ist es möglich, in Lugano mit dem Hockey-Business schwarze Zahlen zu schreiben?
Werder:
Bisher nicht. Weil seit dem letzten Titelgewinn vor 16 Jahren nicht mehr in die Infrastruktur investiert worden ist. Nun investieren wir.

Ist ein neues Stadion wie in Ambri, Zürich, Zug oder Biel in Lugano möglich?
Werder:
Nein. Unser Stadion ist eine «nice old lady» und braucht ein bisschen Auffrischung. Das Stadion gehört der Stadt Lugano und wir planen auf unsere Kosten den Ausbau des Hospitality-Bereiches zwischen der Trainingshalle und dem Stadion. Die Finanzierung ist gesichert und nun geht es noch darum, mit einem Einsprecher eine Einigung zu finden.

Wie viel macht der Ticketverkauf bei ihren Einnahmen aus?
Werder:
Rund 20 Prozent. Wir sind im Bereich Sponsoring und Hospitality ausverkauft, wir können nicht jammern und mit unseren Investitionen können wir diesen Bereich weiter ausbauen. Wir haben nach wie vor ein gutes Budget.

Marco Werder (in weiss) und Hnat Domenichelli (mit Glatze und Brille)
Klaus Zaugg im Gespräch mit Hnat Domenichelli (l.) und Marco Werder (r.).Bild: Marcel Bieri

Wie hoch ist das Budget für die erste Mannschaft?
Werder:
Wir liegen im vorderen Mittelfeld.

Können Sie eine Zahl sagen?
Domenichelli:
Na ja, sicher mehr als vier Millionen Franken.

Sie verstehen, dass ich bei Wort «Budget» bei Lugano immer ein wenig schmunzeln muss?
Werder:
Ja, ja, das kenne ich. Aber es ist bei uns nicht anders als in der Deutschschweiz: Hinter jedem Hockeyclub stehen Familien, grosse Persönlichkeiten oder Institutionen. Anders ist das Hockey nicht zu finanzieren. Wir müssen hier nicht diskutieren, welche Bedeutung die Familie Mantegazza für den HC Lugano hat. Das ändert nichts daran, dass wir, genauso wie in der Deutschschweiz, mit dem Budget auskommen müssen, das uns zur Verfügung steht.

«Wir können nicht mehr wie einst eine Mannschaft finanzieren, von der ein Titel erwartet werden kann.»
Marco Werder.

Es ist also boshafte Legendenbildung, zu behaupten, am Ende bezahle Vicky Mantegazza das Defizit.
Werder:
Ja, das ist es. Wir sind dazu in der Lage, eine Mannschaft zu finanzieren, die, wenn alles stimmt, wenn wir eine perfekte Saison haben, um den Titel spielen kann. Dazu sind wir von unserer DNA her ganz einfach verpflichtet. Aber wir können nicht mehr wie einst in späten 1980er Jahren eine Mannschaft finanzieren, von der ein Titel erwartet werden darf. Damals waren wir fast der einzige Klub, der es den Spielern möglich machte, Profi zu sein. Das war eine komplett andere Welt. Deshalb sind wir für Financial Fairplay.

Sie setzen sich also für eine Budget- bzw. Lohnobergrenze ein.
Werder:
Ja.

Marco Werder (in weiss) und Hnat Domenichelli (mit Glatze und Brille)
Werder setzt sich für eine Lohnobergrenze in der National League ein.Bild: Marcel Bieri

Ist das nicht reichlich naiv? Dazu haben wir nicht die notwendigen juristischen Voraussetzungen.
Werder:
Der erste Schritt könnte ein Gentleman-Agreement sein.

Das keiner einhält.
Werder:
Denken Sie? Das Gentleman-Agreement über die Beschränkung der Anzahl Ausländer wird eingehalten. Dabei wäre das in ein paar Stunden zu brechen und niemand könnte etwas dagegen machen, wenn jedes Team beliebig viele Ausländer einsetzen würde. Der erste Schritt ist ein Gentleman-Agreement. Die Wettbewerbskommission beschäftigt sich inzwischen mit dem Profisport und wir bringen unsere Ideen ein. Wir schliessen nicht aus, dass es in absehbarer Zeit juristische Hebel geben wird, um eine Lohnbegrenzung einzuführen. In unserem Eishockey wächst auch beim Management eine neue Generation heran. Der Informationsaustauch unter den Klubs wird immer besser. Ich bin zuversichtlich.

Aus dem Fachmagazin «Slapshot»

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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Antitroll
17.11.2022 19:40registriert Oktober 2022
Vielen Dank für das gute Interview! Für einmal gehts nicht um den 🐻
452
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Die Stimme des stillen Lesers
17.11.2022 22:02registriert November 2021
Danke Klaus für das tolle Interview, da hat sich die Reise ins Südtessin gelohnt, bitte mehr davon! Die Hockeykultur in Lugano ist in der Tat einmalig.
Ich hoffe es wächst wieder einmal eine verschworene Truppe zusammen, dann kann die Reise weit gehen. Mit Gianinazzi ist dies durchaus möglich.
242
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21
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