Sie haben sich beide im letzten Frühjahr ernsthaft überlegt, ob es weitergehen wird. War es wirklich so dramatisch?
Luca Cereda: Ja, ich war physisch und psychisch total ausser Form. Wir hatten keinen Plan mehr, und wir haben uns hingesetzt und eine Auslegeordnung gemacht: Was machen wir? Was ist richtig für den Klub und auch für uns. Ich habe wohl als erster gespürt, dass das Feuer noch brennt und dass wir weitermachen.
Paolo Duca: Eigentlich bist Du schuld, Luca. Du hat mich überzeugt, weiterzumachen.
Aber wie konnte es überhaupt zu dieser dramatischen Situation kommen?
Duca: Wir sind seit 2017 im Amt und die ganze Zeit nonstop am Limit gelaufen, von einer Herausforderung in die nächste. Zuerst ging es ums sportliche Überleben, dann auch um eine neue Halle mit beinahe täglichen Terminen. Luca und ich waren noch am Tag vor der Eröffnung mit Putzarbeiten in der Kabine beschäftigt. Dazu kam noch die Pandemie. Das soll keine Ausrede sein, alle anderen hatten auch mit der Pandemie zu kämpfen. Aber für uns war es eine sehr harte Zeit ohne Emotionen, die uns gerade in Ambri so viel Energie bringen. Ich habe nicht mehr auf meine Fitness geachtet, und es stimmt halt schon: ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, und wenn Du nicht fit bist, fehlen der Mut zu Entscheidungen und die Klarheit im Denken. Die letzte Saison war dann einfach zu viel: Der Euphorie nach einem guten Saisonstart folgte eine Depression mit acht Niederlagen in Serie und einem Todesfall in meinem privaten Umfeld, dann die totale Euphorie mit dem Sieg beim Spengler Cup und zum Schluss die riesige Enttäuschung mit dem Verpassen der Pre-Playoffs. Die Batterien waren einfach leer.
Ein Burnout?
Duca: Nein, ein Burnout ist ernsthafter und etwas anderes. Es war einfach zu viel. Die Batterien waren einfach leer.
Cereda: Wir haben das zweitletzte Spiel der Saison gegen Lugano 2:4 und zwei Tage später das letzte 4:7 in Rapperswil verloren. Für mich war einfach «Flasche leer». Ich war vollkommen am Ende meiner Kräfte. Am Tag nach der Niederlage in Rapperswil haben wir beim Verwaltungsrat alle Karten auf den Tisch gelegt und die Frage gestellt: Was machen wir?
Sie haben beim Verwaltungsrat sozusagen die Vertrauensfrage gestellt?
Duca: Nein. Wir haben einfach die Frage gestellt: Was machen wir? Wie geht es weiter, was müssen wir tun? Wir hatte ja sechs Jahre lang ohne Atempause durchgearbeitet.
Was ist dabei herausgekommen?
Cereda: Vorerst noch nichts. Wir waren uns einig, dass wir so nicht weitermachen können, dass wir alles überdenken müssen.
Und wann war klar, dass es weitergehen wird?
Duca: Nach fünf oder sechs Wochen.
Gibt es ein ganz bestimmtes Ereignis, das die Wende gebracht hat?
Cereda: Für mich war es der Tag, an dem wir in Andermatt einen Tag auf der Skipiste verbracht haben. Es hatte in der Nacht davor geschneit, das Wetter war wunderschön und die Verhältnisse hätten nicht besser sein können. Wir haben uns nicht einmal nur über Hockey unterhalten. Da habe ich gespürt, dass es weitergehen kann.
Duca: Wir sind zusammen mit einem Skifahrer in der Gondel hochgefahren. Damit unser Begleiter nicht alles mitbekommt, was wir diskutieren, haben wir in unserem Dialekt italienisch gesprochen. Oben angekommen hat er sich mit unserem Dialekt verabschiedet und wir mussten lachen. Das war wie befreiend …
Zwischenfrage: Sie sprechen als Leventiner einen italienischen Dialekt, den ich mit Schul-Italienisch nicht verstehe?
Duca: Ja klar, das ist so, wie wenn Sie in Berlin breites Berndeutsch reden.
Was haben Sie nun gegenüber der letzten Saison geändert?
Cereda: Es geht bei den Veränderungen nicht um Taktik oder Spielsysteme. Wichtig ist für mich, mehr Abstand zu gewinnen. Wir sind zwar eine Mannschaft – aber nicht jeder ist gleich. Einer braucht immer wieder Zuspruch, ein anderer eine strengere Führung. Wenn ich mehr Abstand habe, spüre ich die Bedürfnisse der Spieler besser, ich bekomme bessere Rückmeldungen und ich kann besser auf die Spieler eingehen.
Wie haben Sie mehr Abstand gewonnen?
Duca: Wir haben die Abläufe geändert, die zuvor sechs Jahre lang immer die gleichen waren, und den Staff ausgebaut. Wir haben diese Saison mit Eric Landry einen zweiten Assistenten und er ist eine sehr grosse Hilfe. Und wir haben uns die Frage gestellt: Ist es notwendig, dass unser Trainer jeden Tag in den lokalen Medien vorkommt?
War das denn der Fall?
Duca: Ja. Im Tessin ist Eishockey ein dominierendes Thema. Mit vier TV-Sendungen während der Woche, dazu Radio-Interviews und praktisch jeden Tag gibt es Medienanfragen.
Cereda: Deshalb haben wir entschieden, dass ich am Tag vor dem Spiel nicht mehr zur Verfügung stehe, und am Mittwoch und am Sonntag bin ich nicht im Stadion. Ich habe mehr Zeit für mich allein. Diese Saison habe ich auch erstmals das Sommertraining nicht mehr geleitet.
Sie haben in den vergangenen sechs Jahren auch noch das Sommertraining mitgemacht?
Cereda: Sommertraining wurde und wird zwar weiterhin von unserem Konditions-Coach Lukas Oehen gemacht. Aber Ja, ich habe zwei Trainings pro Woche geleitet.
Wenn Sie für sich allein sein wollen: Wie sieht das aus?
Cereda: Dann bin ich auf dem Velo oder zu Fuss in der Natur.
Was haben Sie verändert?
Duca: Ich bin nun nicht mehr bei jeder Teamsitzung dabei und kümmere mich wieder mehr um andere Aufgaben wie das Scouting. Dazu habe ich endlich wieder mit dem Fitnesstraining begonnen.
Wie viel haben Sie abgenommen?
Duca: Ich habe zu Hause keine Waage und mache vorerst nur Krafttraining, das sich noch nicht auf mein Gewicht auswirkt. (lacht)
Cereda: Ich hatte während der letzten Saison zehn Kilo zugenommen und die habe ich nun wieder verloren.
Ambri spielt also in den Grundzügen das gleiche Hockey wie letzte Saison?
Cereda: Ja, wie ich schon sagte: Wir haben unser System leicht geändert. Es hat keine Revolution gegeben. Es geht vielmehr darum, wie wir unser Hockey spielen: Mit Leidenschaft, Überzeugung, Konsequenz und Konstanz. Meine Arbeit ist nicht einfacher geworden. Aber ich kann meine Energien gezielter einsetzen und besser auf die Spieler eingehen.
Duca: Es gibt nicht weniger Arbeit. Für uns ist es nie einfach und jeder Tag eine Herausforderung. Aber es fällt uns jetzt ein wenig leichter, Lösungen zu finden und zu erkennen, was zu tun ist.
Cereda: Ich habe wieder die Energie, um die Mannschaft zu führen. Als Trainer muss ich dazu in der Lage sein, die Leidenschaft und die Überzeugung vorzuleben.
Die Frage war ja wohl auch: Kann es ein Ambri ohne Paolo Duca und Luca Cereda geben?
Duca: Sie übertreiben masslos. Ambri gibt es seit 1937. Luca und ich sind nur eine Episode in dieser langen Geschichte. Wir haben einfach einen kleinen Teil zu dieser Geschichte beigetragen.
Cereda: Die Frage, ob wir aufhören oder ob wir weitermachen, hat sich so nicht gestellt: Wir hatten keinen Plan B. Es war einfach so, dass wir am Punkt angelangt sind, an dem wir eine Atempause einlegen und eine Auslegeordnung machen müssen.
Es ist die ewige Weisheit: Spieler, Trainer und Sportchefs kommen und gehen, Ambri bleibt bestehen. Aber können Paolo Duca und Luca Cereda ohne Ambri sein?
Duca: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Wie ich soeben sagte: Ich habe mir gar nicht überlegt, was ich ohne Ambri machen werde, sondern einfach, was wir tun müssen, um Ambri weiterzubringen.
Cereda: Ich habe mir diese Frage auch noch nie gestellt. Und wozu soll ich mir diese Frage stellen? Alles verändert sich so schnell, was zählt, ist jeder Tag.
Duca und Cereda denken, die Hockeygötter lenken.
Duca: Das haben Sie schön gesagt.
Hatten Sie eigentlich schon Angebote von anderen Klubs?
Cereda: Nein.
Wirklich nicht?
Cereda: Nein, nie ein konkretes Angebot. Es hat ab und an so lockere Anfragen gegeben, die ich nie ernst genommen habe.
Könnte Luca überhaupt ohne Sie Trainer sein?
Duca: Absolut und zu hundert Prozent.
Cereda: Es funktioniert, weil wir hockeytechnisch sehr ähnlich ticken. Wir haben beide hier unsere Wurzeln und das macht uns stärker. Aber was wäre, wenn ich nicht mit Paolo zusammenarbeiten könnte, kann ich rational nicht einschätzen.
In Ambri kann man ja eigentlich nichts rational einschätzen. Hier ist alles emotional.
Duca: Da haben Sie recht. Emotionen sind unsere Qualität. Das ist der Grund, warum wir hier am Tisch sitzen und Sie sich für Ambri interessieren. Emotionen sind doch das Salz des Lebens.
Passen Sie so gut zusammen, weil Luca und Sie so verschieden sind? Wie Feuer und Wasser, oder wie nach der chinesischen Philosophie Yin und Yang? Sie sind impulsiv, Luca ist eher nachdenklich.
Duca: … oh, täuschen Sie sich nicht! Luca kann auch ganz schön emotional sein, und wenn das Spiel beginnt, macht er eine Wandlung von Mr. Hyde zu Dr. Jekyll.
Cereda: Es ist ja klar, dass ich mit Leidenschaft bei der Sache bin und ja, ich bin während eines Spiels ein anderer Mensch. Aber es stimmt, wir ergänzen uns gut.
Und so emotional, wie Paolo manchmal auf der Tribüne wird, speziell etwa nach einem Schiedsrichter-Entscheid, können Sie in der Kabine nicht sein.
Duca: Ist ja gut, ich rege mich inzwischen weniger auf. Aber verleugnen können wir uns nicht. Es ist immer noch das beste, authentisch zu sein.
Verbringen Sie eigentlich auch die Ferien zusammen?
Cereda: Nein, noch nie. Ich habe, seit ich Trainer in Ambri bin, sowieso noch nie länger als eine Woche Ferien gemacht.
Gönnen Sie sich auch so wenig Ferien?
Duca: Ich war im Sommer zum ersten Mal, seit ich hier Sportchef bin, mit der Familie für drei Wochen in die Ferien verreist. Ich habe auch nach sechs Jahren hintereinander bei der WM nicht mehr als Co-Kommentator fürs Tessiner Fernsehen gearbeitet.
Kehren wir noch einmal zum Hockey zurück: Ambri spielt etwas konstanter und verteilt die Belastung besser auf vier Linien.
Cereda: Das stimmt. Wir sind konstanter als in den letzten Jahren. Die jungen Spieler bringen Dynamik ins Team, der Konkurrenzkampf ist grösser geworden und keiner mehr seinen Platz auf sicher.
Duca: Durch die Rückkehr von André Heim haben wir noch mehr interne Konkurrenz und Qualität in der Mannschaft.
Ist es immer noch so, dass Sie und Paolo einen Arbeitsvertrag haben, der jederzeit auf sechs Monate gekündigt werden kann?
Cereda: Ja, das ist immer noch so.
Duca: Warum kommen Sie immer wieder mal mit dieser Frage? Was ist daran so aufregend?
Es ist eben ungewöhnlich. In der Regel wollen Trainer schon vor Weihnachten eine vorzeitige Verlängerung. Oft ist es dann so, dass einer nach einer Entlassung ein Jahr gearbeitet und für zwei das Salär bekommt.
Cereda: Die Vertragsform kann doch keine Rolle spielen. Die Mannschaft entwickelt sich von Tag zu Tag und ich muss mich immer wieder auf neue Situationen einstellen. Ich brauche meine Energie für das Tagesgeschäft und ich kümmere mich nicht darum, wie oder wann ich entlassen werden könnte. Wenn es nicht mehr funktioniert, dann funktioniert es unabhängig vom Vertrag nicht mehr.
Haben Sie beide eigentlich auch das gleiche Salär und nicht nur die gleiche Kündigungsfrist?
Darüber haben wir uns noch nie unterhalten.
Eine Frage noch: Können Sie sich vorstellen, gemeinsam Lugano zu übernehmen?
Cereda: Nein.
Duca: Gegenfrage: Können Sie sich ein Leben ohne Provokationen und Polemik vorstellen?
Nein.
Duca: Also wissen Sie meine Antwort.
Ja. Sie können sich nicht vorstellen, Sportchef in Lugano zu sein.
Duca: Richtig.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte