In Jules Vernes Klassiker reisen sie in 80 Tagen um die Welt. Der schnellste Sieger der Vendée Globe unterbot diese Marke um zwei Tage. Er war alleine. Mutterseelenalleine in der grossen, weiten Welt. Und er segelte einmal rund um sie herum. Bei Wind und Wellen. Bei ruppigem Sturm und rauer See. 78 Tage, 2 Stunden, 16 Minuten und 40 Sekunden lang war François Gabart auf hoher See, ohne einmal zu stoppen.
Das sind 78 Tage, 2 Stunden, 16 Minuten und 40 Sekunden, in denen es unter einem schaukelt. In denen man kaum Zeit findet, um sich auszuruhen. In denen man sich stets orientieren muss, gute Winde finden und diese ausnutzen muss.
Mal knallt die Sonne, mal ist es eisig kalt. Und das gefriergetrocknete Essen ist irgendwann auch kein Aufsteller mehr.
Sind es langweilige zweieinhalb Monate? Oder kommt Routine auf? Der Kampf gegen die Elemente Wasser und Luft ist auch einer gegen sich selber. Langeweile und Routine kommen vielleicht nicht auf, weil man ständig unter Strom steht. Aber 78 Tage, 2 Stunden, 16 Minuten und 40 Sekunden lang unter Strom zu stehen, scheint auch nicht unbedingt erstrebenswert zu sein.
Schlaf ist ein rares Gut, selten gibt es ihn länger als zwei oder drei Stunden am Stück. Und ausser dem Rekordhalter waren alle anderen Segler ja sogar noch länger auf dem Meer als 78 Tage, 2 Stunden, 16 Minuten und 40 Sekunden.
In «Kon-Tiki» beschreibt der norwegische Abenteurer Thor Heyerdahl eindrücklich die legendäre Fahrt aus dem Jahr 1947 in einem Holzfloss von Südamerika über den Pazifik. Ich las sein Buch in einem Schnurz und versuchte mir vorzustellen, was die Männer auf ihrer Reise durchlebten.
Es wurde mehr als einmal brenzlig und der drohende Untergang – und damit verbunden der sichere Tod – war ein treuer Begleiter der sechs Abenteurer. Doch immerhin waren sie zu sechst. Die Teilnehmer der Vendée Globe sind auf sich alleine gestellt. Natürlich können sie dank technischer Hilfsmittel mit dem Rest der Welt kommunizieren. Aber dort, wo sie segeln, hat es tendenziell weniger Schiffe als an einem sonnigen Juli-Nachmittag auf dem Zürichsee und bis Hilfe naht, könnte es schon zu spät sein.
Jules Verne, Thor Heyerdahl: Menschen wie sie sind es, dank denen wir Landratten aus dem Binnenland Schweiz einen Zugang zur Vendée Globe haben. Wessen Magen sich schon bei mittlerem Wellengang meldet, dessen Respekt vor der Leistung der Weltumsegler ist gross.
Anfang November sind 29 Teilnehmer im französischen Les Sables d'Olonne aufgebrochen, um die Welt zu umrunden. Rund 44'000 Kilometer legen sie zurück auf ihrer Reise durchs Südpolarmeer, retour in die Hafenstadt im französischen Departement Vendée.
In Führung liegt der Waliser Alex Thomson, der nach 18 Tagen bereits das Kap der Guten Hoffnung erreicht hat. Er und seine Verfolger sind dank nahezu optimalen Bedingungen schnell unterwegs und auf Rekordkurs. Der Schweizer Alan Roura, unterwegs mit dem ältesten Boot und dem schmalsten Budget, liegt als 23. vor einigen Konkurrenten mit mehr Geld.
Roura erlebte unlängst, was die Vendée Globe zu einem harten Abenteuer mit ungewissem Ausgang macht. Auf seinem Boot «La Fabrique» ging eine Antenne kaputt, wodurch das Kommunikations-System abstürzte. Roura musste die Software neu installieren, doch dazu benötigte der 23-jährige Genfer Handyempfang, den es gerade nicht gab. Ohne Navigationshilfe musste er den Weg an die brasilianische Küste finden. Roura schaffte es, fand ein 3G-Netz, konnte die Software installieren und wieder auf Kurs gehen.
Hätte Roura Hilfe annehmen müssen, wäre er ausgeschieden. Dieses Schicksal ereilte vor vier Jahren bei der letzten Austragung mit Bernard Stamm einen anderen Schweizer Segler. Als er für eine Reparatur in einem Hafen anlegen musste, wurde er beim Ankern unterstützt – bereits dies wurde als Verstoss gegen die Regeln gewertet. Stamm beendete die Vendée Globe ausser Wertung dennoch.
Solche Geschichten sind zahlreich. Bei den bisherigen Austragungen schaffte es nur rund die Hälfte der Angetretenen, die Welt alleine zu umsegeln. Hasardeure sind die Segler nicht, sie können die Gefahr gut einschätzen und im Falle des Falles die richtige Entscheidung fällen, nämlich ihr Leben zu retten. Der Amerikaner Gerry Roufs ist das einzige Todesopfer. Kurz bevor der Kontakt mit ihm abriss, funkte er von Wellen, welche keine Wellen mehr seien, «sie sind so hoch wie die Alpen».
Mutig und tüchtig sein alleine reicht nicht, um wieder gesund in Les Sables d'Olonne anzukommen. Es benötigt auch eine gute Portion Glück. Und so wird jeder, dem die Weltumseglung gelingt, im Ziel von Tausenden Zuschauern empfangen, auch der Letzte. Während Leader Alex Thomson darauf hoffen darf, einen neuen Rekord aufzustellen, ist das Ziel des Schweizers Alan Roura bescheidener: Er will in weniger als 100 Tagen um die Welt reisen.