Früher einmal, da galt die Million noch etwas, aber das ist im Fussballgeschäft schon länger vorbei. Ein paar Millionen, das ist schön und gut. Aber ganz oben geht es um Milliarden. Und nichts weniger. Wie viele davon der saudi-arabische Staatsfonds genau verwaltet, ist gar nicht so einfach herauszufinden. Aber es sind nicht einfach ein paar. Sondern vierhundert, vielleicht sogar fünfhundert, je nach Schätzung und Quelle.
Der saudi-arabische Public Investment Fund ist einer der grössten Staatsfonds weltweit. Er hat sein Geld um die ganze Welt verteilt, besitzt Anteile von Starbucks oder Uber. Seit letztem Oktober gehört ihm auch ein Fussballklub, Newcastle United. Ein Traditionsverein aus dem Nordosten Englands, Gründungsjahr 1892. Aktueller Tabellenplatz: 19 von 20, akute Abstiegsgefahr.
Kein anderer Verein auf der ganzen Welt hat einen vermögenderen Besitzer als Newcastle United, doch Punkte kann man bekanntlich nicht kaufen, das heisst: Man kann, aber ein wenig Zeit braucht es dafür schon. In England hat Manchester City sechs der letzten elf Meisterschaften gewonnen, bald dürfte eine weitere dazukommen. Milliarden aus Katar haben den einstigen Mittelfeldklub in einen Seriensieger verwandelt. Aber eben, das alles brauchte seine Zeit: Übernahme 2008, erste Meisterschaft 2012.
Newcastle United hat vieles, auch eine reiche Geschichte gehört dazu mit Legenden wie Alan Shearer oder Kevin Keegan. Aber Zeit hat es nicht. Dem Klub bleiben nur ein paar Wochen, um seine Mannschaft umzubauen. Es sind die paar Wochen des Winter-Transferfensters im Januar. Bis Ende Monat muss das neue Newcastle stehen, oder zumindest eine Idee davon. Sonst steigt der reichste Verein der Welt ab.
In Newcastle sieht man den St. James’ Park von weitem, er überragt die Stadt, auch bildlich gesprochen, weil der Klub ihr Stolz ist. Drinnen im Stadion braucht es nicht viel, bis der Funken springt. Die Anhänger der Magpies, der Elstern, sind leicht zu begeistern, aber wenn ihnen etwas nicht passt, tragen sie ihr Herz auch auf der Zunge.
In den letzten Jahren ging es im St. James’ Park eher toxisch zu. Die Schuld daran trug Mike Ashley, ein Mann, der mit dem Verkauf von Sportartikeln reich geworden war. Er übernahm Newcastle 2007, doch bald zeigte sich, dass der vermögende Besitzer keine grosse Lust hat, in den Verein zu investieren.
Und so kam es, dass sich im Oktober letzten Jahres Newcastle-Anhänger als Scheich verkleideten und jubelnd vor den St. James Park zogen. Zuvor war bekannt geworden, dass Ashley seine Aktien verkauft hatte, zu 80 Prozent an den saudisch-arabischen Staatsfonds.
Es ist eine kontroverse Übernahme, weil Saudi-Arabien ein Staat ist, in dem es keine Menschenrechte gibt, keine Rechte für Homosexuelle, ein Staat auch, der oppositionelle Journalisten im Ausland umbringen lässt. So war es Jamal Khasoggi 2018 in der Türkei ergangen.
Dennoch bestanden die neuen Besitzer den Check, dem sich Interessenten auf der Insel unterziehen müssen, bevor sie einen Klub kaufen dürfen. Die abenteuerliche Begründung der Fussballliga: Man habe rechtliche Zusicherungen bekommen, dass Saudi-Arabien bei Newcastle United keinen Einfluss habe. Wie das genau gehen soll, wenn der Verein dem Staatsfonds gehört, wurde nicht weiter ausgeführt.
Die Konkurrenz reagierte empört, auch, weil sie einen finanzstarken Konkurrenten heranwachsen sieht. Die Newcastle-Fans dagegen freuten sich grossmehrheitlich. Hauptsache, Ashley ist weg. Hauptsache, es ist jetzt Geld da.
In der laufenden Premier-League-Saison hat Newcastle United 19 Spiele bestritten und dabei ein einziges Mal gewonnen. Weil Mike Ashley jahrelang jeden Penny dreimal umgedreht hat, steht der Klub jetzt mit einem Team da, das eigentlich in jeder Linie Verstärkung braucht.
Das gilt besonders für die Verteidigung, wo der Schweizer Fabian Schär zuletzt wieder vermehrt mittun durfte. Im Mittelfeld täte eine Nummer 6. Weiter vorne ein weiterer Stürmer. Immerhin hat Newcastle United dort Allan Saint-Maximin, einen wirbligen Franzosen, der es mit zwei, drei Gegenspielern aufnehmen kann. Er ist wohl der Einzige, der gut genug ist für die neuen Ansprüche.
In fünf bis zehn Jahren wolle man Titel gewinnen, so hat es Amanda Staveley gesagt, die neue Klubchefin und treibende Kraft hinter der Übernahme. Doch zuerst einmal braucht Manager Eddie Howe, den Staveley im Oktober installiert hat, nun Verstärkungen.
Und das ist eine komplizierte Angelegenheit. Weil im Januar nur zum Verkauf steht, was anderswo nicht gebraucht wird. Weil Abstiegskampf im Nordosten Englands keine grosse Anziehungskraft ausübt auf Topspieler. Und weil es jetzt zwei Preise gibt in der Fussballwelt: Einen für alle anderen. Und einen für Newcastle United, diesen steinreichen und ebenso verzweifelten Emporkömmling. Immerhin kann er dank der Sparsamkeit von Ex-Chef Mike Ashley diesen Januar gegen 250 Millionen Franken ausgeben, ohne die Regeln des Financial Fairplay zu verletzen.
Naturgemäss geistern jetzt viele Namen um den St. James Park. Aaron Ramsey, der walisische Mittelfeldspieler. Sven Botman, ein holländisches Verteidigertalent. Georginio Wijnaldum von Paris SG. Und einige mehr. Ende letzter Woche hat der Club nun seinen ersten Transfer vermeldet. Mit Kieran Trippier holt er einen erfahrenen Aussenverteidiger.
"He is up for the fight. We're in a difficult position but he's up for that and he relishes it - he wants the challenge. I think he also sees the longer term vision of what the club can bring him and his career." pic.twitter.com/Y3c07hUlOL
— Newcastle United FC (@NUFC) January 7, 2022
Trippier hat vorher für Atlético Madrid, den spanischen Meister, gespielt; als England im letzten Sommer den EM-Final gegen Italien bestritt, stand er in der Startformation. Der 31-Jährige liess nach dem Transfer verlauten, es habe ihm gefallen in Spanien. Doch als er vom Interesse Newcastles, dieses «grossartigen Clubs», gehört habe, sei der Fall für ihn klar gewesen.
Das ist natürlich höchstens die halbe Wahrheit. Auch die mehr als 100'000 Pfund, die Tripper nun pro Woche verdient, werden eine Rolle gespielt haben. In Newcastle hoffen sie, dass Trippier ein Türöffner wird. Und jetzt, wo ein renommierter Nationalspieler zum Club kommt, ein solcher Wechsel auch für andere zum Thema wird.
Der Verteidiger hat derweil bei seinem ersten Auftritt im Newcastle-Dress gleich mal herausgefunden, worauf er sich eingelassen hat: Im englischen FA-Cup verlor Newcastle im eigenen Stadion gegen den Drittligisten Cambridge mit 0:1. (aargauerzeitung.ch)