Für viele Fussballfans wäre der Abstieg ihres Klubs in die zweite Liga irgendetwas zwischen riesiger Enttäuschung und grosser Katastrophe. Bei Sion-Fan Claudio war jedoch das Gegenteil der Fall. Der Oberwalliser machte aus der Challenge-League-Saison seines Herzensvereins das Beste. Er reiste nämlich in jedes der zehn Stadien in der zweiten Schweizer Liga mit dem Velo.
Es war ein spontaner Entscheid, aus dem für Claudio ein echtes Projekt wurde. Vor dem ersten Saisonspiel in Vaduz habe er sich gedacht: «Ich könnte doch mal mit dem Velo hinfahren. Über den Furkapass, den Oberalppass und dann von Chur nach Liechtenstein, das schaffe ich schon.» Die Distanz von fast 200 Kilometern und dass er zuvor noch nie so weit gefahren war, schreckte ihn nicht ab. «Wenn es nicht mehr geht, nehme ich halt den Zug», dachte er sich.
Dies musste Claudio dann tatsächlich tun – aber nicht, weil er nicht mehr konnte, sondern weil es mit der Zeit knapp wurde. Das Spiel begann bereits um 14.15 Uhr und obwohl er sehr früh losgefahren war, hätte er es ohne etwas technische Hilfe nicht rechtzeitig ins Rheinpark Stadion geschafft. Und das genoss für ihn bei jeder Reise zu den Spielen höchste Priorität, wie er im Gespräch mit watson verrät: «Bei Anpfiff wollte ich schon im Stadion sein.» Also setzte er sich für das kurze Stück von Chur nach Sargans (rund 30 Kilometer) in den Zug. Trotzdem radelte er an diesem Tag über 150 Kilometer – und war heiss auf mehr.
«Es hat mir sehr gefallen, also nahm ich mir vor, auch in die anderen neun Stadien einmal mit dem Velo zu fahren», erzählt der treue Fan des FC Sitten. Dies tut er dann auch: Nach Vaduz, Wil, Neuchâtel, Schaffhausen, Nyon, Baden, Thun, Aarau und Bellinzona fährt er in der gerade zu Ende gegangenen Saison. Die Abschlussfahrt zelebrierte Claudio, der sonst stets alleine unterwegs war, mit einigen Kollegen beim letzten Heimspiel in Sion, nach welchem die Aufstiegsfeier stattfand.
Stolz sagt er: «1324 Kilometer und 62 Stunden sass ich insgesamt auf dem Velo. Dabei absolvierte ich über 12'000 Höhenmeter.» Die weiteste der Fahrten ging nach Schaffhausen, deshalb plante er ausnahmsweise zwei Tage ein. Und dann regnete es am ersten Reisetag im Februar unaufhörlich, die Temperaturen waren der Jahreszeit entsprechend ebenfalls eher tief, weshalb er sich entschied, für ein Teilstück noch einmal den Zug zu nehmen. «Es sollte kein Muss sein, sondern auch Spass machen. An diesem Tag war zudem auch meine Sicherheit nicht gewährleistet. Es hatte einfach keinen Sinn», so Claudio.
Ansonsten ging auf seinen zehn Velo-Touren durch die Schweiz, auf denen ihn vor allem die Pässe und die Rebberge begeisterten, kaum etwas schief. Zwar waren die Reisen ein stetes Fahren gegen die Zeit und auch mit viel Organisation verbunden: «Ich wollte schliesslich nicht in den Velo-Hosen im Gästesektor stehen.» Doch mit der Hilfe einiger Freundinnen und Freunde ging auch das. Einen Defekt hatte er nie und am wichtigsten: Den Anpfiff hat er ebenfalls bei keinem Spiel verpasst. Vielmehr war er oftmals auch einige Stunden vorher im Stadion und konnte sich das Geschehen vor den Spielen entspannt anschauen. «Das war auch ziemlich spannend, an einigen Orten hätte ich sogar auf den Rasen fahren können, weil alles offen war.»
Körperliche Probleme machten Claudio ebenfalls nur einmal zu schaffen. Zwei Tage vor dem Spiel in Baden zog er sich im Fussballtraining eine Bänderdehnung zu, ausserdem litt er unter einer Erkältung. Während die Sportverletzung beim Radfahren kaum zu spüren war, brachte ihn die Krankheit nahe an die Grenze. Im Stadion Esp im Aargau angekommen, bat er den Teamarzt vom FC Sion um Hilfe – der Fan-Verantwortliche hatte ihn an diesen verwiesen. Dank der medizinischen Unterstützung konnte Claudio das Spiel doch noch geniessen. Die Rückfahrt trat er immer mit dem Fan-Car oder dem Extrazug an.
So wurde die Challenge-League-Saison für den langjährigen Fan der Walliser zu einem echten Highlight. Zumal er mit seinen 1324 gefahrenen Kilometern auch noch ein grösseres Ziel verfolgte. Per Aufruf auf Twitter machte er sein Projekt sozusagen zu einer Sponsorenfahrt für die Stiftung vom verstorbenen Schweizer Rad-Profi Gino Mäder. So konnte man entweder pro Kilometer spenden oder auch einen Fixbetrag bezahlen. Die Idee kam ihm bei der zweiten Auswärtsreise nach Wil, «beim Fahren hat man viel Zeit zum Nachdenken».
Zu dem Zeitpunkt war Mäders Unfall bei der Tour de Suisse noch keine zwei Monate her. Die Etappe, auf welcher der damals 26-Jährige verunglückte und welche nach La Punt in Graubünden führte, begann in Fiesch im Wallis. Am Vorabend war Mäders Team in einem Hotel in Claudios Wohnort einquartiert, dort erhielt er dann gar eine Flasche des Teams. Diese diente während seiner Fahrten dann als Glücksbringer und Motivation. «Wenn ich nicht mehr konnte und zu der Flasche geblickt habe, hat das noch einmal neue Kräfte freigesetzt.»
Danach gefragt, ob er nach dem Aufstieg nun auch alle Super-League-Stadien auf zwei Rädern erkunden will, sagt er: «Auf keinen Fall, dafür ist die Super League zu wenig attraktiv.» Zu viele Städte, zu wenig Charme. «Nach Zürich und durch den vielen Verkehr, um dann einen Letzi-Burger zu essen? Da fahre ich lieber nach Aarau. Die Challenge League ist mir sympathischer.»
So sagt Claudio auch, dass dem Klub der Abstieg mehr genützt hat als geschadet. Die letzten Jahre seien schwierig gewesen, man habe immer im Tabellenkeller gestanden und wenig Erfolge feiern können. «Wir waren uns Siege gar nicht mehr gewohnt. Die Saison in der Challenge League hat wirklich Spass gemacht.» Alles andere als eine Katastrophe also.
Pässefahrten sind toll. Oben gibts ein tolles Gefühl, Aussicht und Kaffee (und Kuchen).
Dass Claudio dann noch für einen guten Zweck geradelt ist, rundet die Sache sehr sympathisch ab.
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