Das Coronavirus geht den Klubs ans Eingemachte. Können Sie die Auswirkungen im FC St. Gallen schon in Zahlen formulieren?
Matthias Hüppi: Nein, die Schlussrechnung liegt noch nicht auf dem Tisch. Indem wir den Finanzhaushalt in den letzten zwei Jahren in Ordnung gebracht haben, haben wir eine Basis geschaffen, um diesen Sturm besser überstehen zu können. Wir sind gefordert und tun alles dafür, dass wir in der Zukunft nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich stabil sind. Seit Beginn der Corona-Krise ging es primär um Schadensbegrenzung und darum, Ruhe zu bewahren in der Thematik sowie Perspektiven aufzuzeigen. Ich glaube, insgesamt sind wir gut unterwegs. Aber Garantien gibt es keine, für nichts.
Wie lange kann sich der FC St. Gallen Spiele ohne Zuschauer leisten?
Geisterspiele kann sich, wenn wir ehrlich sind, niemand leisten. Der ganze Umsatz rund um die Spiele fehlt. Wir haben über 8000 Saisonkarten für die laufende Saison verkauft und hatten die Chance, das Stadion noch ein-, zwei-, vielleicht dreimal auszuverkaufen. Ausserdem haben wir Verpflichtungen gegenüber unseren Geschäftspartnern, die wir so nicht erfüllen können. Man muss sich also etwas einfallen lassen. Kommt hinzu, dass der FC St. Gallen auch von seinem Publikum lebt. Die Unterstützung durch die Fans fehlt. Das alles tut weh. Geisterspiele will niemand, aber es ist nun halt die einzige Möglichkeit, die Saison noch sportlich zu entscheiden.
Wie nahmen Sie die jüngste Ankündigung von Sions Präsident Christian Constantin auf, die Wiederaufnahme des Spielbetriebs durch eine provisorische Verfügung zu verhindern?
Das kommentieren wir nicht weiter. Das Resultat der Abstimmung ist mit 17:2 Stimmen für eine Fortsetzung der Saison eigentlich klar genug.
Ende Juni läuft beim FC St. Gallen unter anderem der Leihvertrag mit dem Schlüsselspieler Ermedin Demirovic aus. Wie ist der Stand bei den Spielern, deren Verträge noch während der Saison auslaufen?
Die meisten Verträge laufen zum Glück sowieso weiter. Von den auslaufenden haben wir einzelne bereits verlängert. Bei jenen mit Leihverträgen ist der Prozess etwas länger, weil mehrere Interessen mit hineinspielen. Wir sind aber überall auf einem guten Weg. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es auch mit Demirovic zu klappen kommt.
Blicken wir in die Bundesliga. Was sind Ihre Erkenntnisse aus den Geisterspielen in Deutschland?
Ich bin gespalten. Einerseits ist es super, dass wieder Fussball gespielt wird. Andererseits ist völlig klar, dass ohne die Fans etwas fehlt. Ganz zentral bei der Beurteilung, ob es Sinn macht zu spielen, ist die Entwicklung der Pandemie-Zahlen. Diese Zahlen sind deutlich zurückgegangen, die Lage beruhigt sich. So halte ich es für verantwortbar, dass wir weiterspielen. Die positive Entwicklung gibt uns auch die Hoffnung, dass wir möglichst schnell wieder mehr und mehr Zuschauer ins Stadion lassen können. Der Fussball lebt schliesslich auch vom Publikum. Das Spiel ist zwar dasselbe, aber die Stimmung fehlt.
In der Bundesliga zeigen sich bislang folgende Trends: Der Heimvorteil ist abgeschwächt, Stimmungsmannschaften wie Union Berlin tun sich eher schwer, die spielstarken Mannschaften kommen gut zurecht. Und: Die Teams knüpften mehrheitlich an ihren Formstand und ihre Leistungen von vor dem Unterbruch an. Was leiten Sie daraus für den FCSG ab?
Sollten sich diese Trends bestätigen, wäre mir das natürlich recht, schliesslich sind wir im Moment Leader in der Super League. Trotzdem: Der Weg ist noch weit, das muss man schon sehen. Im Gegensatz zur Bundesliga haben wir noch ganze 13 Runden ausstehend. Wir sind und bleiben der Underdog, der die beiden Grossen so lange wie möglich ärgern und seinen Platz auf dem Podium verteidigen will. Zu hoffen ist, dass es bis zuletzt spannend bleibt. Ohne Spannung wären die Geisterspiele noch weniger lustig.
Durch den Shutdown wurde der Öffentlichkeit erst richtig bewusst, wie sehr die meisten Fussballklubs von der Hand in den Mund leben. Gibt es diesbezüglich ein Umdenken beim FC St. Gallen?
Wir denken schon seit zweieinhalb Jahren um und läuteten auch schon einen Veränderungsprozess ein mit dem Ziel, dass wir nicht mehr Geld ausgeben, als wir einnehmen. Die Corona-Pandemie hat uns insofern schwer getroffen, dass wir wirtschaftlich auf einem guten Weg waren und wir das strukturelle Defizit praktisch beseitigt hatten. Wir waren auf Kurs zu einem sehr guten Finanzergebnis und wurden gebremst – gebremst, aber nicht gestoppt. Wie gesagt: Die Schlussrechnung liegt noch nicht vor. Aber die Solidarität, die wir erfahren, ist gewaltig. Viele Sponsoren haben verlängert, darunter auch die Grossen. Wir haben sehr gute Gespräche mit all den Leuten, die uns tatkräftig unterstützen; bis jetzt ist noch niemand abgesprungen. Und vor allem haben wir bereits 6000 Saisonabonnemente für die kommende Spielzeit verkauft, ohne dass die Leute eine Rückerstattung für die laufende Saison fordern. Das ist schlicht überwältigend. (sda)