In der Gruppenphase des olympischen Badminton-Turniers traf vor einigen Tagen ein Team aus Hongkong auf eines aus China. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Stadt Hongkong ein Teil der Volksrepublik China ist.
Zur Erinnerung: Seit 1997 gehört Hongkong als Sonderverwaltungszone faktisch zur Volksrepublik China. Die Autonomie, die der Stadt im Rahmen des Prinzips «Ein Land – Zwei Systeme» in der gemeinsamen chinesisch-britischen Erklärung von 1984 zugestanden wurde, wird indes immer stärker eingeschränkt. An den Olympischen Spielen kämpft Hongkong aber im Sinne einer Nation um Medaillen – ein Umstand, der auch auf Kritik stösst.
Ähnlich wie England, Nordirland, Schottland und Wales an Fussballmeisterschaften je eine eigene Mannschaft stellen, tritt die Stadt Hongkong an den Olympischen Spielen nicht unter chinesischer Flagge an, sondern reist mit einer eigenen Delegation an – und zwar bereits seit der Gründung des Nationalen Olympischen Komitees im Jahr 1951, als die Metropole noch der britischen Krone unterstand.
Seit der Revision der olympischen Charta im Jahr 1996 dürfen eigentlich nur noch nationale Komitees von unabhängigen Staaten aufgenommen werden, die von der internationalen Gemeinschaft als solche anerkannt sind. Laut dieser Regel müssten Athletinnen und Athleten aus Hongkong also eigentlich für China starten. Weil Hongkong aber bereits vor dieser Charta-Anpassung eine eigene Delegation gestellt hatte, darf die Stadt im Sinne des Bestandsschutzes weiterhin unter eigenen Flagge antreten.
Anders verhält es sich bei der 50 Kilometer westlich von Hongkong gelegenen chinesischen Sonderverwaltungszone Macau, deren nationales Komitee vom IOC bis heute nicht anerkannt wurde.
Die Jahre 2019 und 2020 haben sich tief in das Gedächtnis der Bewohnerinnen und Bewohner von Hongkong eingebrannt. Damals gingen monatelang Menschen auf die Strassen, um gegen ein geplantes Auslieferungsgesetz und damit einhergehend gegen den steigenden Einfluss Chinas zu demonstrieren.
China reagierte mit Gewalt und Verhaftungen. Vor diesem Hintergrund ist es auf den ersten Blick also doch eher erstaunlich, dass das Reich der Mitte Hongkong an den Olympischen Spielen ohne Einspruch gewährt, ein unabhängiges Team zu stellen. Der zweite Blick zeigt: China hat durch diese Regelung auch einen Vorteil.
Die Anzahl Athletinnen und Athleten, die ein Land in den verschiedenen Disziplinen an den Start schicken darf, ist begrenzt. Dass Hongkong eine eigene Delegation stellt, hat für China also indirekt zur Folge, dass es mehr Sportlerinnen und Sportler entsenden kann. Und wenn man Pekings Standpunkt akzeptiert, dass die Insel Taiwan ebenfalls zu seinem Territorium gehört, stellt China an Olympischen Spielen also gleich drei Delegationen. Um einen Konflikt mit Peking zu vermeiden, muss Taiwan bei den Olympischen Spielen als «Chinese Taipeh» antreten.
Man könnte also durchaus argumentieren, dass China durch die Tatsache, dass Hongkong ein eigenes Team stellt, gegenüber anderen Nationen einen unfairen Vorteil hat. Für die Menschen in Hongkong sei es aber wichtig, an den Olympischen Spielen als unabhängig wahrgenommen zu werden, erklärte Nathan Law, ein in Grossbritannien lebender Oppositionsführer aus Hongkong:
Die Olympiadelegation sei in Hongkong gar eine Art «Symbol des Widerstands» geworden, sagt Kim-Wah Chung, stellvertretender CEO des Meinungsforschungsinstituts Hongkong. Ein Beispiel: An den Olympischen Spielen in Tokio gewann Cheung Ka Long aus Hongkong Gold im Fechten. Während der Medaillenzeremonie, die in einem Einkaufszentrum auf Grossleinwand ausgestrahlt wurde, übertönten die «Wir sind Hongkong»-Rufe der Zuschauenden die chinesische Nationalhymne.
Die Teilnahme Hongkongs an den Olympischen Spielen beschränkt sich aber nicht nur auf eine reine Symbolwirkung für die rund sieben Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Die Athletinnen und Athleten bringen auch ordentlich Edelmetall aus Paris nach Hause. Siobhan Bernadette Haughey holte zwei Bronzemedaillen über 100 m und 200 m Freistil, Cheung Ka Long konnte seine Goldmedaille im Fechten verteidigen, Wai Vivian Kong holte Gold im Fechten bei den Frauen.