Roger Federer trägt seine langen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und gilt als Talent, als er im Herbst 1997 zu einer Serie von Satellite-Turnieren in der Romandie antritt. Erst in Biel, wo er den Halbfinal erreicht, dann in Nyon (Achtelfinal), im zu Siders gehörenden Noës (Halbfinal) und zum Abschluss in Bossonens (Fribourg), wo er seinem späteren Doppelpartner Yves Allegro im Viertelfinal unterliegt.
Der Lohn für diese Leistungen: Am 22. September 1997 erscheint der Name von Roger Federer auf Position 803 erstmals in der Weltrangliste – und damit auf den Tag genau vor 25 Jahren, einen Tag vor dem letzten Spiel des Schweizers als Tennisprofi beim Laver Cup in London.
In Nyon besiegte Federer in der ersten Runde den topgesetzten Russen Denis Golowanow. Ein Erfolg, den drei Freunde zum Anlass nahmen, dem damals 16-Jährigen einen Streich zu spielen. «Am Tag nach dem Sieg gegen Golowanow gab es im «Blick» eine kleine Meldung. Ich las sie und sagte meinen Arbeitskollegen im Büro: So, den verschaukeln wir jetzt tüchtig», erzählte Reto Staubli 2011 im Magazin des «Sonntags-Blick».
Drei Leute gaben sich als Journalisten der «Basler Zeitung», der «Berner Zeitung» und des «Bündner Tagblatts» aus und baten um ein Interview.
Also rief der Erste an und sagte, er müsse nach diesem «unglaublichen Erfolg» am nächsten Morgen um acht Uhr ein Interview haben. Federer war völlig perplex. Dass sich Journalisten für diese Turniere interessierten, verwunderte ihn. Er sagte zu. Drei Minuten später rief der Nächste an, bat ebenfalls um einen Termin um acht Uhr für diese «Riesengeschichte».
«Roger kam ins Schleudern. Bisher hatte er kaum mit der Presse zu tun gehabt, jetzt rannten sie ihm plötzlich die Bude ein. Er sagte, er schaue, dass er den ersten Termin verschieben könne», erzählte Staubli. «Das ist unglaublich», sagte Federer zu ihm. Und: «Bevor der dritte Journalist anrief, meldete er sich beim ersten und vertröstete diesen auf später.»
Dann hätten sie sich seiner erbarmt und die Sache aufgelöst, sagte Staubli. «Wir haben selten so gelacht. Diese Erinnerung ist umso hübscher, weil er sich wahnsinnig gebauchpinselt fühlte, dass ihn jemand bemerkte. Damals war Roger halt, was er war: ein 16-jähriger Nobody.»
Im gleichen Jahr spielte Federer auch erstmals bei den Swiss Indoors Basel, verlor in der zweiten Runde der Qualifikation gegen Lorenzo Manta.
Niemand konnte damals ahnen, dass Federer 20 Grand-Slam-Titel, Gold und Silber bei Olympischen Spielen gewinnen, die Weltrangliste während 310 Wochen anführen wird, und erst am 11. Juli 2022, fast 25 Jahre später, wieder eine Weltrangliste erscheinen würde, in der Federers Name fehlt.
2003 sass Reto Staubli in Federers Box, als dieser in Wimbledon seinen ersten Grand-Slam-Titel gewann. Nach der Trennung von Peter Lundgren wurde der Aargauer, der Schweizer Meister von 1991 und 1992, eine Art «Schattentrainer» und blieb ihm bis heute freundschaftlich verbunden.
Im Juli begleitete Staubli Federer, als dieser im Rahmen des 100-Jahr-Jubiläums des Centre Courts nach Wimbledon reiste. Gut möglich, dass Staubli auch am Freitag in London im Publikum sitzen wird, wenn Federer sein letztes Spiel bestreitet. Auch für Staubli schliesst sich damit ein Kreis.