Kamerun verzückt die ganze Welt! An der WM 1990 in Italien sind die Mannen in Grün-Rot-Gelb die grosse Überraschung. Die «unzähmbaren Löwen» besiegen im WM-Eröffnungsspiel sensationell Titelverteidiger Argentinien mit Diego Maradona 1:0. Es ist der erste Sieg einer schwarz-afrikanischen Mannschaft an einer WM-Endrunde.
Nach dem 2:1 gegen Rumänien im zweiten Gruppenspiel ist klar, dass Kamerun den Achtelfinal erreicht. Das 0:4 gegen die Sowjetunion bleibt ein Ausrutscher. Im Achtelfinal beim 2:1 nach Verlängerung gegen Geheimfavorit Kolumbien zaubern Doppeltorschütze Roger Milla und seinen Kollegen wieder und schaffen als erste afrikanische Mannschaft den Einzug in den Viertelfinal.
Dort wartet mit England aber ein ganz harter Brocken. Der Weltmeister von 1966 qualifiziert sich dank einem Minisieg gegen Ägypten und zwei Remis gegen Europameister Holland und Erzrivale Irland für die K.o.-Runde. Im Achtelfinal schiesst David Platt gegen Belgien in der 119. Minute den erlösenden Treffer zum 1:0-Sieg.
Dennoch: Im Mutterland des Fussballs ist die Euphorie gross, trotz der Kritik an Trainer Bobby Robson. Dank ihren Superstars Gary Lineker und Paul Gascoigne dürfen die Engländer endlich wieder einmal vom ganz grossen Coup träumen. Kamerun gilt bei den Fans höchstens als lästiges Hindernis auf dem Weg in den Halbfinal gegen Deutschland.
Ohne die vier Gesperrten Andre Kana, Emile Mbouh, Victor Ndip, Jules Onana und mit Roger Milla auf der Ersatzbank legten die Kameruner im San Paolo von Neapel los wie die Feuerwehr. Die Engländer können sich bei Torhüter Peter Shilton bedanken, dass sie nicht schon früh in Rückstand geraten.
Dann rächt sich die mangelnde Chancenauswertung: Nach 25 Minuten bringt Platt die «Three Lions» mit einem wuchtigen Kopfball entgegen dem Spielverlauf in Führung. Nach der Pause wechselt Kameruns russischer Trainer Valeri Nepomniachi Edeljoker Roger Milla ein und der «Oldie» sorgt sofort für frischen Wind.
Nach gut einer Stunde kann Milla nach einem Dribbling im Strafraum nur durch ein Foul gebremst werden. Emmanuel Kundé verwandelt sicher zum 1:1. Vier Minuten später wirbelt Milla erneut. Er lässt drei Gegenspieler stehen und bedient Eugène Ekéké, der Shilton mit einem wunderschönen Heber keine Chance lässt. Kamerun im kollektiven Freudentaumel, es winkt die grösste Sensation der WM-Geschichte.
Doch während England-Trainer Robson nun seine Taktik anpasst und auf Konter wartet, stürmen die Afrikaner trotz der 2:1-Führung unbekümmert weiter. In der 82. Minute rächt sich das: François Omam-Biyik hat die Entscheidung auf dem Fuss, doch er verfehlt und die Engländer schlagen zurück. Nach einem Freistoss von Gascoigne fällt Benjamin Massing Lineker im Strafraum. Der Starstürmer verwandelt den fälligen Elfmeter gleich selbst.
Die Verlängerung muss die packende Partie entscheiden. In der 105. Minute: ein Steilpass von Gascoigne, wieder ein Foul an Lineker und wieder verwandelt der englische Top-Torjäger eiskalt. Kamerun kann nicht mehr, die Kräfte sind aufgebraucht. Souverän schaukeln die Engländer den Vorsprung über die Runden.
Der erste afrikanische Viertelfinalist der WM-Geschichte scheitert also an England. Nicht ganz, er scheitert vielmehr an sich selbst und seinem Unvermögen, sein Vermögen zu zähmen. Spätestens nach dem 2:1 wollen die «unzähmbaren Löwen» das englische Fussball-Mutterland vorführen. Doch dieses Vorhaben geht tragisch daneben. Britische Cleverness triumphiert mit 3:2 über schwarz-afrikanische Spielfreude.
Englands Traum vom zweiten WM-Titel lebt nur kurz und platzt schliesslich im Halbfinal gegen Deutschland mit dem ersten Elfmeterschiessen. Stuart Pearce und David Platt scheitern und begründen so die legendäre Penaltyschwäche der «Three Lions».
Von acht Elfmeterschiessen an grossen Turnieren konnten die Engländer bis heute nur zwei gewinnen. 1996 im EM-Viertelfinal gegen Spanien und 2018 im WM-Achtelfinal gegen Kolumbien. Ob der Penalty-Fluch mit dem Erfolg in Russland endgültig besiegt ist? Es sieht fast danach aus. Denn auch im Spiel um Rang 3 im Final-Four-Turnier der Nations League 2019 setzten sich die «Three Lions» durch. Gegen die Schweizer Nati, die mit drei Niederlagen in drei Penaltyschiessen so etwas wie das neue England ist.