An den Telefonanruf des damaligen Selektionärs erinnert sich Vonlanthen noch genau. Ort und Zeit, nichts hat er vergessen. Zusammen mit Davide Chiumiento, der als Talent bei Juventus mit einem Aufgebot für die italienische Squadra spekulierte, sei er im Teamhotel der U21-Equipe gesessen, als sich Köbi Kuhn meldete. «In unserem Zimmer platzte eine Bombe. Ich war 18 und freute mich extrem.» Sechs Jahre nach seiner Ankunft in der Schweiz war der gebürtige Kolumbianer im Kreis der Fussball-Elite angekommen.
Was folgte, ist Geschichte. Kurz, aber schön. Estadio Municipal, Coimbra, 30'000 Zuschauer. In den Nebenrollen Daniel Gygax, ab kommendem Sommer beim viertklassigen FC Zug engagiert, Hakan Yakin, seit Januar in St.Gallen Junioren-Trainer, und Ricardo Cabanas, Student und Talentmanager – das Trio legte auf, Vonlanthen schob den Ball flach am französischen Ex-Weltmeister Fabien Barthez vorbei.
Nach zwei tor- und trostlosen Schweizer Spielen schiesst Vonlanthen das 1:1 gegen das schillernde Frankreich um Superstar Zinédine Zidane. Die SFV-Auswahl verliert am Ende dennoch 1:3 und scheidet aus. Der Auftritt Vonlanthens hingegen bleibt haften. 2953 Tage nach Kubilay Türkyilmaz' Elfmeter an der EURO 1996 gegen England beendete «JV» wenigstens die Schweizer Torflaute – im Alter von 18 Jahren, 4 Wochen und 20 Tagen, als jüngster EM-Torschütze.
Die Scouts standen Schlange in Portugal, dem Berner Juwel des PSV Eindhoven prophezeiten die Experten eine enorme Flughöhe. Er selber träumte von Real Madrid, sein Umfeld kalkulierte mit Einkünften in Millionenhöhe. Journalisten bettelten um Termine. Der ehemalige Strassenkicker entwickelte sich rasend schnell zum Objekt europäischer Begierde.
Es sollte anders kommen. Seinen 30. Geburtstag feierte Vonlanthen 2016 still und leise, keine TV-Kameras. In der «Schweizer Illustrierten» erhielt der Jubilar keine Titelgeschichte. Sein Arbeitgeber war frei von Glamour, Vonlanthen stürmte für den FC Wil in der Challenge League und nicht wie einst geplant in Madrid.
Dem geschichtsträchtigen 1:1 gegen die Franzosen folgte keine anhaltende sportliche Erleuchtung, sondern eine vergebliche Suche nach dem dauerhaften Fussballglück. Eine Tour durch fünf Länder, kurze Hochs, ausgedehnte Phasen der Stagnation, persönliche Sinnkrisen, Comebacks, eine zweite EM-Teilnahme, weitere Enttäuschungen.
«Ich habe zwei, drei Entscheide getroffen, die für mich als Mensch wichtig waren. Der Sport hingegen hat darunter gelitten», sagt Vonlanthen über die Zeit nach seiner Sternstunde in Portugal. Zehn Klubwechsel, Auf- und Abstiege hat er hinter sich. Vonlanthen trägt die unerwartete Entwicklung mit Fassung. Er lebt gut damit, die exorbitanten Hoffnungen nicht erfüllt zu haben.
Verbitterung klingt anders, wenn er lapidar feststellt: «Bei mir kommt nicht das Gefühl auf, ich hätte etwas verpasst und könnte in Frankreich nun auch dabei sein.» Er werde nicht vor dem TV-Gerät sitzen und denken: «Schade, schade hat es für mich nicht gereicht. Ich gönne meinen Ex-Kollegen den Erfolg.»
Stephan Lichtsteiner ist einer von ihnen. Mit dem Juventus-Verteidiger stand Vonlanthen unmittelbar vor der EURO an der U21-Endrunde auf dem Rasen. Der zwei Jahre ältere Luzerner debütierte erst im November 2006 im Nationalteam. Später holte er mit Juventus mehrere Serie-A-Titel in Serie und führte die SFV-Auswahl als Captain an.
«Im Fussball geht es schnell – in jede Richtung.» Im Fall von Vonlanthen hingegen verlief (zu) viel aus verschiedenen Gründen ausserplanmässig. Der Durchbruch blieb ihm verwehrt. 2018 beendete er seine Karriere nach 19 Jahren als Profi. (sda)
RodolfoZanzarro
Pana