Eine gute Sportgeschichte braucht Protagonisten, die möglichst gegensätzlich sind: Roger Federer vs. Rafael Nadal, Ayrton Senna vs. Alain Prost, Lionel Messi vs. Cristiano Ronaldo. Mitte der 90er Jahre sah es eine kurze Zeit danach aus, als würde auch das Duell Pappas vs. Hawk Legendenstatus erhalten. Denn die Voraussetzungen dafür waren perfekt.
Auf der einen Seite stand Tony Hawk. Er, der eine Freizeitbeschäftigung für Lausbuben in ein Millionenbusiness verwandelt hatte. Er, der die Halfpipe-Szene zehn Jahre lang gnadenlos dominierte, mit immer gleichen Tricks, Kalkül und der Ausstrahlung eines Mausoleums, der sich aber auch beinahe zu Tode geritten hatte.
Auf der anderen Seite standen die australischen Brüder Ben und Tas Pappas: jung, gesegnet mit einer schwindelerregenden Palette an Tricks und einer frischen «Don't Give a Fuck»-Attitüde. Damit standen sie dem hawkschen Businessprogramm 180 Grad entgegen.
Nach einem sportlich hochkarätigen Jahr, in dem sich Hawk und die Gebrüder Pappas intensiv um die Führung in der Weltrangliste bekriegten, traf sich das Dreigestirn der Halfpipe-Szene am 6. Oktober 1996 fürs Saisonfinale in Los Angeles. Hier sollte endgültig entschieden werden, wer der beste Skater der Welt war.
Als Favorit ging Ben Pappas ins Rennen. Der jüngere und schüchternere der beiden Brüder führte in der Weltrangliste dank einer Siegesserie. Doch das intensive Jahr forderte seinen Tribut. Ben trat mit Rückenproblemen an und musste sich bereits früh aus dem Rennen um den Titel verabschieden.
Es kam zum Duell zwischen Tas Pappas und Tony Hawk.
Tas Pappas legte sensationell vor, riskierte aber trotz Führung weiterhin viel. Nach einem missglückten 720er stürzte er und brach sich eine Rippe. «Spielt keine Rolle, mich holt sowieso niemand mehr auf», dachte er. So beschreibt er die Situation in der Doku «All this mayhem». Doch Tas hatte die Rechnung ohne Tony Hawk gemacht – ein Stechen musste her.
Trotz gebrochener Rippe und einem Gegner in Hochform gelang es Tas Pappas an diesem Tag, den grossen Tony Hawk vom Thron zu stossen. Für einen kurzen Moment schien es, als würde das Skateboarden zurück zu seinen Wurzeln finden. Es gewannen wieder die Jungen, die Wilden, diejenigen, die Sex, Drugs und Rock'n'Roll verkörperten und den Spruch nicht nur fürs Marketing auf dem T-Shirt trugen. Doch leider sollte es das letzte Mal gewesen sein, dass die Pappas positive Schlagzeilen schrieben.
Tas Pappas' Sieg fiel in eine Zeit, als der Vermarktungszug in der Skateboardindustrie gerade wieder Fahrt aufgenommen hatte. Die Skater wurden mit Geld überhäuft. Geld, das die Brüder Pappas am liebsten in Kokain investierten. Innerhalb von zwei Jahren erarbeiteten sie sich den Ruf, untragbar zu sein. So richtig bergab ging es aber erst 1999. Und als ersten erwischte es Ben.
Tony Hawk – nur um noch einen letzten Unterschied zu nennen – hat einen IQ von 144. Die Gebrüder Pappas? 1999 versuchte Ben Pappas, in der Sohle seines Schuhs 103 Gramm Kokain nach Australien zu schmuggeln. Er wurde erwischt und mit einem dreijährigen Ausreiseverbot bestraft.
Weil professionelles Skaten in Australien nicht lukrativ genug ist, bedeutete das Ausreiseverbot gleichzeitig das Ende von Bens einstmals vielversprechender Karriere. Er sollte sich nie wieder von diesem Tiefschlag erholen.
Dank der Dummheit seines Bruder war Tas Pappas in Amerika alleine auf sich angewiesen. Die mächtigsten Verbände hatten ihn aufgrund verschiedener Zwischenfälle ausgeschlossen und er musste sich mit zweitklassigen Wettkämpfen über Wasser halten. Einziger Hoffnungsschimmer war der «900», ein Trick, der bis zu diesem Zeitpunkt noch nie in einer Halfpipe gestanden worden war. An den X-Games 1999 wollte er ihn zeigen.
Die Organisatoren der X-Games verzichteten allerdings darauf, Tas Pappas zum «Best Trick Contest» einzuladen – auf Anraten von Tony Hawk, wie der Australier behauptet. Hawk bestreitet diese Einflussnahme allerdings. Am Ende kam es, wie es kommen musste: Tas Pappas musste tatenlos zusehen, wie Tony Hawk den ersten 900er stand und die Szene weiterhin dominierte.
Hawks 900er läutete im Skateboardsport eine neue Ära ein. Die Rampen wurden höher, die Sprünge weiter, die X-Games lockten ein Millionenpublikum an. Die Industrie blühte dank dem neuen Geldsegen auf – nur die Pappas-Brüder blieben aussen vor. Während ehemalige Freunde wie Danny Way oder Steve-O als Stars gefeiert wurden, kultivierten sie vor allem ihre Drogensucht.
Im Februar 2007 – Tas Pappas sass in den USA gerade wegen häuslicher Gewalt im Gefängnis – wurde die Leiche von Ben Pappas' Freundin in einem Fluss in Melbourne gefunden. Wenige Tage später verschwand auch der Ex-Skater. Am 4. März 2007 fand man seinen leblosen Körper: Er trieb unter dem Victoria-Pier in Melbourne. Nach heutigem Stand der Ermittlungen wird davon ausgegangen, dass Ben Pappas seine Freundin umgebracht hat.
Nachdem Tas seine Zeit im Gefängnis in den USA abgesessen hatte, wurde er nach Australien deportiert. Und er wusste nichts Gescheiteres, als den Schmuggel-Stunt seines Bruders zu imitieren. In mehreren Skateboards versteckt versuchte er ein Kilogramm Kokain von Argentinien nach Australien zu bringen. Am Zoll von Sydney überführten ihn aber Kokainspuren an der Kleidung und Tas Pappas wanderte zum zweiten Mal hinter Gitter.
Die Zeit im Gefängnis beschreibt er nachträglich als «nötig» und «heilsam». Und es scheint, als würde er damit Recht behalten. Seit seiner Entlassung wurde er nie mehr rückfällig. Heute lebt er zusammen mit Frau und Sohn in einem Vorort von Melbourne.
Tas Pappas arbeitet als Hochhaus-Fensterreiniger, skatet weiterhin regelmässig und besucht am Sonntag die Kirche. Im April 2014 stand er als erst zwölfter Mensch dieser Welt einen 900er. Zwar nicht in einer Halfpipe, aber wir wollen an dieser Stelle Gnade vor Recht walten lassen.
Wer noch mehr über das Schicksal der Pappas-Brüder wissen will, dem sei der Dokumentations-Film «All this mayhem» des ehemaligen Weggefährten Eddie Martin empfohlen.