Wirtschaft
Banken

«Wir müssen unser Verhältnis zur EU schnell regeln»

Bild
Bild: KEYSTONE
UBS-Schweiz-Chef Lukas Gähwiler

«Wir müssen unser Verhältnis zur EU schnell regeln»

Lukas Gähwiler, Chef der UBS Schweiz, äussert sich im Interview zur Wirtschaftslage.
02.06.2014, 04:0702.06.2014, 08:36
Roman Seiler / Aargauer Zeitung
Mehr «Wirtschaft»
Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Herr Gähwiler, kaufen Sie Ihre Anzüge im Ausland ein, um keine Firmenkunden zu verärgern, weil Sie nicht bei ihnen einkaufen? 
Lukas Gähwiler: Früher kaufte ich meine Anzüge von der Stange. Aber für Änderungen musste ich mehr als 200 Franken zusätzlich ausgeben. Daher lasse ich heute meine Anzüge in der Schweiz anfertigen. Das ist etwas teurer. Dafür spare ich Zeit. 

Ein gepflegter Anzug schafft Vertrauen in seinen Träger. Apropos Image: Hat das Vertrauen in eine Grossbank nach der Empörung über den Schuldspruch der Credit Suisse im US-Steuerstreit erneut gelitten? 
Wegen Fällen aus der Vergangenheit litt das Image der ganzen Branche. Wir einigten uns mit den US-Behörden bereits 2010. Seither hat sich das Kundenvertrauen merklich verbessert. Beim Neugeldzufluss von in der Schweiz wohnhaften Kunden verzeichneten wir jeweils 2012 und 2013 einen neuen Rekord. Aber es stimmt natürlich: Seit Ausbruch der Finanzkrise ist der gesamte Finanzplatz im Umbruch. Das betrifft im Übrigen nicht nur Grossbanken, sondern auch kleinere Institute. ​

Daher ist eine Konsolidierung im Gang. Bietet man Ihnen noch täglich eine Bank zum Kauf an? 
Es kommt schon vor, dass man uns anfragt. Ich gehe davon aus, dass es etwa einen Drittel der heute 300 Banken in unserem Land in ein paar Jahren nicht mehr geben wird. Die UBS hat ihre Hausaufgaben früh und gründlich gemacht. Wir sind für diesen Wandel sehr gut gerüstet und werden – davon bin ich überzeugt – zu den Gewinnern gehören. 

Undenkbar wäre vor fünf Jahren gewesen, den automatischen Informationsaustausch (AIA) von Bankdaten mit ausländischen Steuerbehörden einzuführen. Was heisst dies für Ihr Inlandgeschäft? 
Der AIA hat in den letzten zwei Jahren rasant an Fahrt gewonnen. Das hat eine unglaubliche Dynamik ausgelöst. Die von uns verwalteten Vermögenswerte sind schon heute zum allergrössten Teil regularisiert. Verzögerungen gibt es mit Italien, wo es noch keine Lösung gibt. Interessant ist, dass der grösste Teil dieser Kunden nach der Regularisierung bei uns bleibt. 

Kommt der AIA auch im Inland? 
Das wird politisch noch heiss diskutiert werden. Ich wäre nicht überrascht, wenn sich irgendwann die Erkenntnis durchsetzen wird, dass man im Inland langfristig nicht fundamental andere Standards anwenden kann als gegenüber ausländischen Behörden. Das muss aber nicht heissen, dass es zulasten der Privatsphäre des Bürgers und Bankkunden geht. 

Überhitzt ist der Hypothekarmarkt. Welche Bremsmassnahmen sind nötig, um einen Crash zu verhindern? 
Weitere Massnahmen auf der Angebotsseite der Banken hätten zwar eine gewisse Signalwirkung, beispielsweise eine höhere Kapitalunterlegung. Sie bringen aber de facto wenig. Wenn man zur Überzeugung käme, man müsste etwas unternehmen, eignet sich die Nachfrageseite dafür besser. Heute muss ein Käufer zehn Prozent des Kaufpreises in bar aufbringen. 

Er darf nur noch die Hälfte des nötigen Eigenkapitals mit Mitteln aus der Pensionskasse bestreiten. 
Das wirkt bereits. Gemäss Nationalbankstatistik betrug 2012 das Wachstum bei der Hypothekarvergabe an Haushalte noch knapp 5 Prozent. 2013 waren es 3,8 und im ersten Quartal dieses Jahres noch 0,7 Prozent. Aufs Jahr gerechnet wären das rund 2,8 Prozent. Die Preise für Einfamilienhäuser sind erstmals leicht zurückgegangen; die Preise für Eigentumswohnungen sind nur noch schwach angestiegen. 

Einfach zuschauen kann auch kein Rezept sein. Was bleibt zu tun? 
Zuerst gilt es, die nächsten ein bis zwei Quartale abzuwarten, ob sich diese Beruhigung fortsetzt. Zieht das Wachstum wider Erwarten erneut an, könnte man die Amortisation der Hypothek linear verkürzen. Oder man könnte den Baranteil von 10 auf 15 Prozent des Kaufpreises erhöhen. Damit würde man aber die gesetzlich verankerte Wohneigentumsförderung einschränken. Dies sollte im Endeffekt nicht von den Banken, sondern von der Politik entschieden werden. 

Andererseits kostet Sie die höhere Kapitalunterlegung Geld. Steigt nun der Preis für Hypotheken, was auch eine dämpfende Wirkung haben könnte? 
Man kann nicht die Kapitalanforderungen erhöhen, strengere Regeln einführen und glauben, das schlage sich nicht auf die Preise nieder. Zumindest die grösseren Banken haben begriffen, dass das Hypogeschäft kostendeckend sein sollte. 

Am Swiss Economic Form (SEF), einem Treffen der Schweizer Wirtschaft, betreiben Sie Imagepflege bei Firmenkunden. Warum sponsern Sie das SEF gleich auch noch? 
Das SEF ist die wichtigste Plattform, um sich mit Vertretern von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) auszutauschen. In Interlaken spüre ich während dreier Tage, wie es der Wirtschaft geht und was Unternehmer beschäftigt. 

Am SEF trinkt man Bier statt Cüpli. 
Das ist doch ein Kompliment für die Veranstalter! 

Sie akquirieren also beim Bier am Stehempfang neue Kunden? 
Man knüpft Kontakte, kann sich hier gegenseitig kennen lernen. Daraus ergab sich schon manches weiterführende Gespräch, das neue Geschäfte brachte. 

Das Thema des SEF lautet «The big shift». Wo stehen für Sie Umwälzungen in der Wirtschaft an? 
Heute steht vieles auf dem Prüfstand. Nicht alles verändert sich zum Besseren, vor allem auch getrieben durch politische Initiativen. Ein weiteres grosses Thema ist sicher die Technologisierung. Das gilt nicht nur für die IT-Branche, sondern auch für das produzierende Gewerbe. Es kommt zu einer weiteren Robotisierung. 

Die Automatisierung zur Steigerung der Produktivität geht weiter? 
Absolut. Sie ist auch eine Folge der Herausforderung durch den weiterhin starken Franken. Für mich ist beeindruckend, dass viele Firmen gute Resultate liefern – trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen. Die Kehrseite ist, dass es zur Verlagerung von Jobs ins Ausland kommt. 

Seit 2007 sind in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) 12'000 Arbeitsplätze weggebrochen. Droht gar eine Deindustrialisierung? 
Vorerst gilt: Die Schweiz ist in einer beneidenswerten Situation. Darauf sollten wir stolz sein. Die Wirtschaft wuchs seit 2005 jährlich im Schnitt um zwei Prozent. Dies liegt weit über dem Schnitt aller Industriestaaten. Aber wir laufen Gefahr, uns schleichend von einem Werkplatz zu einem Wohlfahrtsstaat zu entwickeln. Die Zahl der Industrie-Arbeitsplätze reduzierte sich seit 1994 um 200 000. Gleichzeitig bauten wir 300'000 Jobs im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung auf. 

Jetzt auf

Lässt sich dieser Trend stoppen? 
Wir müssen die Rahmenbedingungen beibehalten, die unser Land attraktiv gemacht haben. Dann bin ich überzeugt, dass wir mit unserem Unternehmertum und unserer Innova tionskraft Arbeitsplätze erhalten können. Nicht nur in der Medizinaltechnik oder in der Pharmaindustrie, sondern auch in den klassischen MEM-Branchen. Kleine, smarte Firmen, auch im Aargau und in den Kantonen Baselland und Solothurn, schaffen es noch immer, Weltführer zu werden. Sie stellen hoch spezialisierte Nischenprodukte her. 

Heizt die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative die Verlagerung weiter an? 
Dieses Abstimmungsresultat zeigt die grosse Verunsicherung in der Bevölkerung. Mich beunruhigt es. Es ist der Politik und uns Wirtschaftsvertretern zu wenig gelungen, auf die Ängste der Menschen mit konkreten Massnahmen einzugehen. Ein Fachkräftemangel kommt auch ohne Beschränkung der Einwanderung auf uns zu. In den nächsten zehn Jahren werden eine Million Arbeitnehmer pensioniert. Nur eine halbe Million kommt nach. Als international ausgerichteter Werk- und Finanzplatz müssen wir weiterhin die besten Leute aus aller Welt gewinnen können. 

Die Annahme dieser Vorlage gefährdet zudem die bilateralen Verträge mit der EU. Wie kann dies verhindert werden? 
Der Bundesrat steht vor einer extrem anspruchsvollen Situation. Es gilt, unser Verhältnis zur EU schnell zu regeln. Und auch die Wirtschaft muss sich stärker engagieren, vor allem auch über ihre Verbände. 

Wie soll das funktionieren? 
Es liegt nun am Bundesrat auszuloten, was mit der EU machbar ist. Dann brauchen wir pragmatische Lösungen, die zeigen, dass wir die Ängste und Sorgen der Bevölkerung, die zur Annahme der Masseneinwanderungsinitiative geführt haben, ernst nehmen. Nur dann wird es der Wirtschaft gelingen, die Stimmbürger von den Vorzügen unserer globalen Vernetzung zu überzeugen. Das Volk sprach sich ja nicht gegen die bilateralen Verträge aus. 

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
1 Kommentar
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
1
Teile-Engpässe bremsen Ausbau der 787-Produktion von Boeing

Boeing kann die Produktion seines Langstrecken-Modells 787 Dreamliner wegen Engpässen bei einigen Bauteilen nicht so schnell wie geplant ausbauen. Die Beschäftigten im 787-Werk im US-Bundesstaat South Carolin wurden am Montag darüber informiert, wie der US-Sender CNBC berichtete. Boeing bestätigte auf Anfrage, der Bericht sei korrekt.

Zur Story