Die Credit Suisse steckt tief in der Bredouille. Erst liess sich die Grossbank auf das riskante Geschäftsmodell des australischen Finanzjongleurs Lex Greensill ein und erlitt einen Schaden in noch unbekannter Höhe. Bekannt ist hingegen der Verlust der CS durch den Absturz des US-Hedgefonds Archegos Capital: 4,4 Milliarden Franken.
Es handle sich um «das grösste Bankendebakel seit der Finanzkrise», schrieb «Die Zeit» über die Archegos-Pleite, die eine Reihe weiterer Finanzinstitute in Mitleidenschaft zog. Kaum eine Bank aber hat es so heftig erwischt wie die CS. Am Dienstag zog sie die Konsequenzen: Zwei Top-Kaderleute müssen gehen, die Chefs verzichten auf Boni.
Vieles an dieser Geschichte erinnert an die Finanzkrise von 2008 und lässt einmal mehr die Frage aufkommen, ob die Banken nichts daraus gelernt haben. Besonders wenn man den Werdegang von Archegos-Gründer Bill Hwang betrachtet. Er ist eine ebenso schillernde wie mysteriöse Figur aus der Schattenwelt der Finanzindustrie.
Der 57-jährige Sohn eines Predigers aus Südkorea gilt als tief gläubig. Er soll Hunderte Millionen für Kirchen und andere christliche, vorab evangelikale Organisationen gespendet haben. Hwangs Lebensstil gilt als bescheiden. Er wohnt nicht in einem Villenviertel, sondern in der New Yorker Suburb und pendelt angeblich mit dem Bus zur Arbeit.
In die USA kam er als Teenager, ohne ein Wort Englisch zu sprechen. Er habe sich so fremd gefühlt, dass er nicht einmal gewusst habe, wie man den Notruf wählt, als sein Vater mit erst 50 Jahren starb, sagte er letztes Jahr vor einer Kirchgemeinde in Maryland. Dennoch schaffte er es bis zum MBA an der renommierten Carnegie Mellon University.
Bill Hwang stieg bei der Brokerabteilung des koreanischen Mischkonzerns Hyundai ein, ehe ihn der legendäre Finanzinvestor Julian Robertson 1996 für seinen Hedgefonds Tiger Management anheuerte. Dort machte er schnell Karriere. Auf Anraten seines Mentors gründete Hwang 2001 mit Tiger Asia seinen eigenen Fonds.
Ein enger Freund von Hwang bezeichnete seinen Aufstieg gegenüber der «Financial Times» als «Cinderella-Story». Er sei ein gläubiger Christ, trinke nicht einmal Bier und habe Millionen für Kirchen gespendet. «Wer ihn damals kannte, hielt ihn für gesegnet und von Gott beschützt», so der namentlich nicht genannte Freund. Doch die fromme Fassade hatte Risse.
2008 erlitt Hwang laut der «Zeit» massive Verluste mit Leerverkäufen der Volkswagen-Aktie. Dabei war sein Fonds eigentlich auf Asien ausgerichtet. Vier Jahre später musste sich Bill Hwang des Insiderhandels für schuldig bekennen. Er hatte Vorabinformationen über grosse Aktiendeals erhalten unter der Bedingung, sie nicht für eigene Geschäfte zu verwenden.
Der fromme Spekulant hielt sich nicht daran und verdiente Millionen. Der zuständige Staatsanwalt Paul Fishman bezeichnete die «kriminellen Aktivitäten» eines der weltgrössten Fondsmanagers als «inakzeptabel». Sein Glaube habe ihm damals geholfen, sagte Hwang, indem er stundenlang Bibelaufnahmen des Schauspielers Samuel L. Jackson gehört habe.
Hwang bezahlte eine Strafe von 44 Millionen Dollar und erhielt ein faktisches Berufsverbot. Doch der Koreaner fand ein Schlupfloch: Seinen neuen Fonds Archegos Capital erklärte er zum Family Office, das ausschliesslich sein privates Vermögen verwaltete. Für solche Firmen gelten laxere Regeln und eine weniger strenge Aufsicht als für «normale» Fonds.
Das griechische Wort Archegos bedeutet sinngemäss Anführer. In der griechischen Bibelausgabe wird Jesus teilweise so bezeichnet. Praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit baute Hwang ein komplexes, für Laien kaum durchschaubares Derivat-Konstrukt auf. Auf dem Höhepunkt soll Archegos Investments von bis zu 100 Milliarden Dollar verwaltet haben.
Das erregte die Aufmerksamkeit der Banken, die sich am Fonds beteiligten. Selbst die Wallstreet-Grossbank Goldman Sachs, die nach dem Insider-Skandal nichts mehr mit Hwang zu tun haben wollte, stieg ein. Doch wie man seit der Finanzkrise wissen müsste, können solche Kartenhäuser beim kleinsten Windstoss zusammenkrachen.
Im Fall von Archegos war dies der Absturz der Viacom-Aktie, die im Portfolio eine zentrale Rolle spielte. Der US-Medienkonzern Viacom wollte drei Milliarden Dollar an frischem Aktienkapital aufnehmen, um im hart umkämpften Streaming-Markt mitmischen zu können. Die bisherigen Aktionäre goutierten dies nicht, sie schickten die Aktie auf Talfahrt.
Dies löste jene Kettenreaktion aus, die zum Kollaps von Archegos führte und den Banken Milliardenverluste bescherte. Einmal mehr fragt man sich, warum sie einem Spekulanten mit zweifelhaftem Ruf aufgesessen sind. «Gier besiegt Furcht», meinte ein in Tokio ansässiger Banker gegenüber der «Financial Times». Auch das kennt man seit der Finanzkrise.
Für die Credit Suisse gilt dies vielleicht noch mehr als für andere. Anders als ursprünglich vermutet war sie nach Meinung der NZZ beim Archegos-Ausverkauf nicht die langsamste Bank: «Sie war schlicht und einfach jene Bank, die dem Hochrisiko-Kunden Bill Hwang die grosszügigsten und grössten Kredite für seine waghalsigen Wetten gewährte.»
Mit der «Aufräumaktion» vom Dienstag dürfte die Affäre für die CS längst nicht beendet sein. Bill Hwang ist abgetaucht und für die Medien nicht erreichbar. Sein einstiger Mentor Julian Robertson hält nach wie vor zu ihm: «Ich bin ein grosser Fan von Bill, das hätte vermutlich jedem passieren können», sagte er dem Finanznachrichtendienst Bloomberg.
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Paul Badman
Ihre Dudeigkeit