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Jetzt beginnt das grosse Feilschen

Griechische Nationalbank: «Das griechische Erpressungspotential sinkt»
Griechische Nationalbank: «Das griechische Erpressungspotential sinkt»Bild: ALKIS KONSTANTINIDIS/REUTERS
EU-Geld für Griechenland

Jetzt beginnt das grosse Feilschen

Wer blinzelt zuerst? Im Schuldenstreit zwischen Griechenland und den Euro-Partnern geht es an diesem Mittwoch zur Sache. Klar scheint: Athen muss nachgeben, dann wird Brüssel der neuen Regierung entgegenkommen – ein bisschen.
10.02.2015, 19:18
Gregor Peter Schmitz, Brüssel
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Jacob Kirkegaard forscht nicht in Brüssel, Athen oder Berlin, sein Arbeitsplatz liegt weit entfernt vom aktuellen Poker in der Eurozone. Doch der Währungsexperte am renommierten Washingtoner Peterson Institute for International Economics schätzt diese Distanz. Wer von Weitem auf Europa schaut, kann manche Aufregung nicht verstehen.

Die Lage sei doch eigentlich klar, sagt der Däne. «Es gibt ein game of chicken zwischenAthen und der Eurozone.» Wer zuerst blinzle, verliere. Aber die griechische Seite sei hoffnungslos unterlegen. «Ihre Lage würde vermutlich noch schlechter werden, wenn sie die Eurozone verliesse. Gleichzeitig wäre ein solcher Schritt nicht mehr folgenreich genug, um den Rest der Eurozone zu erschüttern, also sinkt das griechische Erpressungspotenzial», sagt Kirkegaard.

Kein Schuldenschnitt

Tatsächlich scheint vor dem Sondergipfel der Euro-Finanzminister an diesem Mittwoch und dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel am Tag darauf eines entschieden: Ihre radikalen Wahlversprechen wird die neue griechische Regierung nicht umsetzen können. Also keinen Schuldenschnitt und vermutlich auch keine neuen Milliardenausgaben.

Daran liess Finanzminister Wolfgang Schäuble schon am Montag wenig Zweifel, als er über die Pläne des neuen Premiers Alexis Tsipras sagte: «Ich habe noch nicht verstanden, wie die griechische Regierung das stemmen will.» Am Dienstag legte er nach: Man habe Griechenland das laufende Hilfsprogramm nie aufgedrängt, sagte Schäuble. Wenn Griechenland das Geld daraus nicht annehmen wolle, sei das «überhaupt kein Problem. Aber dann ist es eben vorbei.» In diesem Fall werde es kein neues Paket geben.

Niemand will Griechenland kollabieren lassen

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schickte eine Warnung in Richtung Athen: «Griechenland darf nicht davon ausgehen, dass sich die Gesamtstimmung in Europa so verändert hätte, dass die Eurozone ohne Abstriche das Regierungsprogramm von Tsipras übernehmen würde – oder gar könnte.»

Gleichzeitig ist aber auch klar: Weder Brüssel noch die Mitgliedstaaten wollen Griechenland kollabieren lassen. Die Sorge über das dortige Bankensystem und eine mögliche Zahlungsunfähigkeit des Landes sind in der Kommission und den Hauptstädten weit verbreitet. Sollte Syriza seine teuren Wahlversprechen umsetzen und sollten die Steuereinnahmen weiter absacken, könnte es schon im März so weit sein. Dann nämlich wird ein milliardenschwerer Kredit an den Internationalen Währungsfonds (IWF) fällig.

Halbes Jahr für Griechenland?

Viele Beobachter hoffen daher auf einen Kompromiss. Laut einem Agenturbericht kursieren Pläne, Griechenland solle ein halbes Jahr Zeit erhalten, um eine Einigung mit den Gläubigern zu erzielen. In den sechs Monaten soll über alle offenen Fragen und die Zeit nach dem bisherigen Hilfsprogramm gesprochen werden. Bundesfinanzminister Schäuble wies das am Dienstag umgehend zurück. Der Bericht «müsse falsch sein» sagte der Minister. Er wisse davon nichts.

In Athen gibt man die Hoffnung aber offenbar nicht auf. Dort kursiert eine Art Zehn-Punkte-Reformplan für Griechenland. Wichtigster Prestigeerfolg darin für die neue Regierung: Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds soll es in der Form nicht mehr geben. Damit könnte auch Kommissionspräsident Juncker leben, der im Europawahlkampf gefordert hatte, die Troika müsse mittelfristig durch eine «Struktur mit stärkerer demokratischer Legitimation und Rechenschaftspflicht» abgelöst werden.

Der Griechische Premier Minister Tsipras fordert eine Überbrückungsfinanzierung bis Juni
Der Griechische Premier Minister Tsipras fordert eine Überbrückungsfinanzierung bis JuniBild: KOSTAS TSIRONIS/REUTERS

In einem Punkt sind sich alle einig

Aber auf welche Reformen würde sich Athen verpflichten? Insbesondere entschiedene Schritte gegen Steuerhinterziehung und Korruption könnten die EU-Geldgeber überzeugen. «Das ist der Punkt, in dem alle einig sind und mit dem Syriza in Brüssel und der Eurogruppe wirklich punkten würde», sagt ein Kommissionbeamter.

Sollten die Mitglieder der Eurogruppe dem Plan zustimmen, könnte die letzte Tranche der Hilfen für Griechenland, gut sieben Milliarden Euro, ausgezahlt werden.

Jetzt auf

Dies entspräche der Forderung von Tsipras, der in einer Regierungserklärung gerade eine Überbrückungsfinanzierung bis Juni verlangt hat. Allerdings bedeutete der Schritt zugleich eine Abkehr von den Versprechen der neuen griechischen Regierung, alles anders zu machen. Denn Massnahmen wie ein höheres Eintrittsalter in die Rente sowie Privatisierungen und Arbeitsmarktreformen müssten wohl auch im neuen Reformpakt stehen.

Dabei hat die Syriza-Regierung am Dienstag bekanntgegeben, dass sie zwei weitere grosse Wirtschaftsprojekte stoppen will, etwa den Verkauf des alten Athener Flughafens Hellenikon. Athen hat bereits zuvor eine Reihe Privatisierungen abgeblasen, darunter den Verkauf des Hafens von Piräus.

In diesem Punkt müsste Tsipras also eine politische Kehrtwende hinlegen. Doch darin liege eine grosse Chance für Europa, sagt Experte Kirkegaard: «Wenn durch sein Einlenken klar wird, dass selbst radikale Bewegungen wie Syriza innerhalb der Regeln des Euroraums agieren, gibt dies der politischen Legitimät der Zone ungeheuren Aufschwung.»

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