Wirtschaft
Griechenland

Krisentreffen in Brüssel zu Griechenland oder der Unterschied zwischen einer first list und einer full list

Das informelle Siebner-Gremium (inklusive dem Generalsekretär des EU-Rats sind acht Personen anwesend) traf sich am Donnerstagabend, um mit Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras (ohne Krawatte)  ...
Das informelle Siebner-Gremium (inklusive dem Generalsekretär des EU-Rats sind acht Personen anwesend) traf sich am Donnerstagabend, um mit Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras (ohne Krawatte) eine Lösung für die blockierten Griechenland-Verhandlungen zu finden.Bild: POOL/REUTERS

Krisentreffen in Brüssel zu Griechenland oder der Unterschied zwischen einer first list und einer full list

Ist zur Griechenland-Krise alles gesagt, nur noch nicht von allen? Beim EU-Spitzentreffen beraten die deutsche Kanzlerin Merkel und Griechenlands Regierungschef Tsipras stundenlang, bloss um die bestehende Einigung zu bekräftigen. Dennoch könnte genau das einen Durchbruch bedeuten.
20.03.2015, 05:57
Alexander Demling und Gregor Peter Schmitz, Brüssel / Spiegel Online
Mehr «Wirtschaft»
Ein Artikel von
Spiegel Online

28 Tage sind schon vergangen, seit sich die Eurogruppe mit Griechenland auf eine Verlängerung des Hilfsprogramms gegen Reformauflagen geeinigt hat. Hinzu kommen an diesem Donnerstagabend in Brüssel beinahe vier weitere Stunden, die Kanzlerin Angela Merkel in kleinem Kreis mit Premier Alexis Tsipras verhandelt.

Und, schwupps, schon soll es einen echten Fortschritt geben im Schulden-Showdown mit Athen.

Zumindest kann man diesen Eindruck bei der Pressekonferenz der Kanzlerin um halb drei Uhr morgens erhalten. Die Regierung in Athen wollte statt einer first list an Reformen, die sie bereits der Eurogruppe vorgelegt habe, nun eine full list an Reformen schicken, ist da zu vernehmen.

Um drei Uhr am frühen Freitagmorgen erklärt Kanzlerin Merkel den Journalisten, welche Art Reformliste Griechenland vorlegen wird. 
Um drei Uhr am frühen Freitagmorgen erklärt Kanzlerin Merkel den Journalisten, welche Art Reformliste Griechenland vorlegen wird. Bild: ERIC VIDAL/REUTERS

Das verblüfft die Journalisten. Worin genau der Unterschied bestehe?

Die full list sei eben keine first list mehr, erklärt Merkel hilfsbereit. Komplett und spezifisch halt.

Aha. Solche Listen-Exegese soll also einen Durchbruch bedeuten - und als Resultat eines spektakulären Krisentreffens taugen, an dem neben Merkel und Tsipras noch Frankreichs Präsident François Hollande, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, EU-Ratspräsident Donald Tusk, Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem und EZB-Präsident Mario Draghi teilnahmen?

Paradoxerweise: Ja. Denn zwar klingt vieles, das Merkel vorträgt, tatsächlich erstaunlich vertraut. Sie spricht von einem Bekenntnis zu den «Beschlüssen der Eurogruppe», und dem Wunsch an Athen, die Arbeit an Reformen zu «beschleunigen». Das fordern die Kreditgeber seit Wochen von Griechenland.

Alexis Tsipras zeigte sich nach dem dreistündigen Spitzentreffen optimistisch. Jetzt muss er die Reformen seinen Wählern schmackhaft machen.
Alexis Tsipras zeigte sich nach dem dreistündigen Spitzentreffen optimistisch. Jetzt muss er die Reformen seinen Wählern schmackhaft machen.Bild: ERIC VIDAL/REUTERS

Am Montag kommt Tsipras nach Berlin

Auch die gemeinsame Erklärung von Tsipras und Spitzenvertretern der EU hört sich bekannt an. In dem Papier verpflichtet sich Athen, in den nächsten Tagen konkrete Reformen zu benennen und umzusetzen, um Gelder zu erhalten, die in dem 240 Milliarden Euro schweren Rettungspaket noch vorhanden sind.

EU-Diplomaten berichten, die Runde hätte zudem mit Tsipras beraten, welche Reformen der Premier schnell durchs Parlament boxen kann, ohne viele Wähler gegen sich aufzubringen. Auch dies ist mittlerweile eine vertraute Übung.

Und doch: Dass in der Politik der Ton die Musik machen kann, gilt auf diesem EU-Gipfel mehr denn je. Im Kern ging es darum, noch einmal auf allerhöchster Ebene zu besprechen, was Untergebene - etwa Griechenlands Finanzminister Giannis Varoufakis in seinen Gesprächen mit der Eurogruppe - verhandelt hatten.

Merkel betont daher, sie sei ja bislang noch nie mit Tsipras zu diesem Thema zusammen getroffen. Erst am Montag wird der Premier seinen Antrittsbesuch in Berlin absolvieren.

Dass Merkel und die anderen EU-Grössen sich schon am Donnerstag demonstrativ für ihn Zeit nahmen, ist für den Griechen ein wichtiger symbolischer Triumph. Tsipras möchte seinen Wählern daheim unbedingt zeigen, dass er die Souveränität Griechenlands auf Augenhöhe verteidigt.

«Der gute Ausgang dieses Treffens heute könnte sein, dass Griechenland das Abkommen vom 20. Februar komplett umsetzen muss - einfach weil es darum netter gebeten wurde, und von wichtigeren Leuten», sagt der Economist-Kolumnist Tom Nuttal.

Merkel jedenfalls bemüht sich nach Kräften, diesen Eindruck zu stützen. Die verbalen Attacken von Tsipras und Co. gegen Deutschland seien kein Thema mehr gewesen, betont sie, wir haben «uns auf die Zukunft konzentriert». Zugleich beteuert sie ihren Optimismus, mittlerweile sei das Bekenntnis zu Reformen in Griechenland authentisch.

Auch Tsipras gibt dieser Zuversicht nach dem Krisentreffen neue Nahrung. «Alle Seiten tun ihr Bestes, um die griechischen Probleme zu überwinden», sagt er.

Und wenn das schlicht nicht mehr reicht, weil seit dem Abkommen im Februar ein Monat ohne Reform-Fortschritte verstrich - und Athen das Geld auszugehen droht?

Jetzt auf

«Alles soll schnell gehen»

Zwar erklärten griechische Regierungsvertreter am Donnerstagabend, man werde eine fällige Kreditrate von rund 350 Millionen Euro pünktlich an den Internationalen Währungsfonds (IWF) überweisen. Zu einer Staatsanleihe über 1.6 Milliarden Euro, die ebenfalls am Freitag fällig wird, sagte der Regierungsvertreter allerdings nichts. Zuletzt war zu hören, dass Athen öffentliche Unternehmen als Käufer für eine Neuauflage der Papiere in die Pflicht nehmen wolle.

Fest steht offenbar: Der Staatsbankrott scheint zum Greifen nahe, Ende März muss die Regierung Renten und Beamtenbezüge in Milliardenhöhe zahlen.

Einen konkreten Einblick in die Kassenlage in Athen habe sie beim Brüsseler Krisentreffen nicht erhalten, sagt Merkel. Doch die Lage dort sei gewiss «nicht einfach.»

Für den Fall, dass die Griechen mit den Reformen tatsächlich so schnell vorankommen, bot Eurogruppenchef Dijsselbloem an, die Eurogruppe schon nächste Woche wieder zusammenzurufen, um Finanzhilfen freizugeben. Die Kanzlerin will sich aber nicht auf ein Datum festlegen. «Alles soll schnell gehen», sagt Merkel nur.

Zusammenfassung: Angela Merkel und Alexis Tsipras haben erstmals miteinander über die Finanzkrise in Griechenland gesprochen. Das Ergebnis: Athen legt der Eurogruppe in Kürze eine Liste mit konkreten Reformen vor. Dann sollen die Griechen dringend benötigte Finanzhilfen erhalten. 

Griechenland

1 / 17
Griechenland
Gegen die Krise: In Athen versuchen Händler, ihre Ware billig zu verkaufen. Die Regierung hat in Aussicht gestellt, die Hypotheken bis zu 15 Jahre lang tief zu halten, um die Wirtschaft des Landes wieder in Schwung zu bringen.
quelle: ap/ap / thanassis stavrakis
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
0 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die verrückte Geschichte, wie Renate Wild (55) in die Armut rutschte
Über 700'000 Menschen in der Schweiz leben in Armut. Eine von ihnen ist Renate Wild. Die 55-Jährige ist in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Nach einem schweren Schicksalsschlag muss sie seit Jahren mit dem Existenzminimum auskommen.

«Ich hatte mein ganzes Leben finanzielle Probleme. Gereicht hat es nie.» Das sagt Renate Wild, zweifache Mutter und verwitwet. Wild gehört zu den 702'000 Personen, die in der Schweiz 2022 in Armut lebten.

Zur Story