Herr Porfiri, haben Sie sich auf dieses Interview mit Hilfe von KI vorbereitet?
Nein, nein. Ich habe das ganz alleine getan.
Schreiten wir also zur Tat: Derzeit erscheint fast täglich ein Buch, das uns vor KI warnt, oder das uns dank KI alle möglichen Wunder verspricht. Alles Hype, oder was?
Wie bei jeder neuen Technologie wird anfänglich übertrieben. Vor allem kommen zunächst Ängste auf. Das ist nur menschlich, denn mit der KI befinden wir uns immer noch in einer Experimentierphase.
Es heisst ja, technische Erneuerungen werden kurzfristig überschätzt – und langfristig unterschätzt. Trifft dies auch auf die KI zu?
Absolut. Die ersten, bahnbrechenden Erneuerungen werden wir bald erleben. Aber ein ausgereiftes KI-Öko-System haben wir noch nicht, daher fehlen auch noch die ganz grossen Resultate. ChatGTP beispielsweise hat eine benutzerfreundliche Möglichkeit aufgezeigt.
Aber gerade der Hype um ChatGTP ist eher abgeklungen. Bekommt der amerikanische Wirtschaftshistoriker Gordon Brown so gesehen Recht? Er hat schon vor bald zehn Jahren erklärt, dass alle wichtigen technischen Erfindungen zwischen 1860 und 1960 gemacht wurden. Alles andere war Beilage. Hält Browns These im Lichte von KI noch stand?
Nein, wir müssen uns auf etwas Grösseres einstellen. Die Erfindung des iPhones hat uns auch auf ein höheres Niveau gebracht. Die KI wird es uns ebenso ermöglichen, Technologie auf breiter Basis neu zu verwenden. Denken Sie bloss an die Simultan-Übersetzungen, die bereits heute möglich sind. Es wird bald eine ganze Reihe von KI-gesteuerten Instrumenten geben, die uns in unserer täglichen Arbeit unterstützen werden.
Werden sie uns nur unterstützen oder werden sie selbst das Kommando übernehmen? Es gibt den Vergleich mit Goethes Zauberlehrlingen, die gerufen und dann nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden. Kann dies nicht auch mit der KI geschehen? Sie kann sich ja bereits heute unabhängig vom Menschen weiterentwickeln.
Ich gehe davon aus, dass wir diese Gefahr eingrenzen können. Dazu braucht es Regeln und ethische Grundsätze. In der Finanzwirtschaft haben wir bereits erlebt, dass sich Algorithmen bis zu einem gewissen Grad verselbständigt haben. Doch dann hat man sogenannte Circuit-Breaker eingebaut und dafür gesorgt, dass es den Menschen braucht, der letztlich auf den Knopf drückt. Auch bei der KI wird die Entwicklung nicht grenzenlos erfolgen.
Ihr Wort in Gottes Ohr. Aber gewichtige Stimmen wie etwa diejenige von Eric Schmidt, dem ehemaligen CEO von Google, sind weniger überzeugt. Der schwedische Philosoph Nick Bostrom hat schon vor mehr als zehn Jahren das Beispiel der KI ins Feld geführt, die beauftragt wurde, Büroklammern zu machen und diesem Ziel alles untergeordnet hat, auch die Auslöschung der Menschheit. Solche Szenarien werden nicht von Verschwörungstheoretikern verbreitet, sondern von Leuten, die man ernst nehmen muss.
Klar, in unzähligen Sci-Fi-Filmen übernehmen irgendwann die Maschinen das Ruder. Aber ganz ehrlich: Ich bin fest überzeugt, dass wir Menschen immer noch am längeren Hebel sitzen werden.
Woher stammt Ihre Zuversicht?
Als die Cloud-Technologie eingeführt wurde, gab es Stimmen, die vom Ende der Privatsphäre gewarnt haben. Das ist nicht eingetreten, aber eine Welt ohne diese Technologie ist nicht mehr vorstellbar.
In der Finanzindustrie werden heute schon sehr viele Transaktionen von KI abgewickelt. Wird sich das noch weiter entwickeln?
Wir befinden uns in einer Phase, in der wir lernen, Daten besser zu nutzen. Das wird dazu führen, dass wir künftig Betriebsabläufe optimieren und Risiken besser einschätzen können. Gleichzeitig erlaubt uns dies, unsere Dienstleistungen immer besser zu personalisieren. Später wird es entscheidend sein, Stabilität ins Finanzsystem zu bringen.
Ist ein stabiles Finanzsystem nicht ein Widerspruch in den Begriffen?
Nach der Finanzkrise 2008 hat man die Regulierung und damit die Stabilität verstärkt.
Diese Regulierungen werden derzeit jedoch wieder rückgängig gemacht, vor allem in den USA.
Richtig. Aber es besteht Grund zur Hoffnung, dass das Risiko-Management mit KI verbessert werden kann. Zudem hat man nach 2008 mit der Regulierung auch übertrieben. Jetzt schlägt das Pendel wieder zurück.
In seinem Buch «Nexus» führt Yuval Noah Harari aus, wie die Auswertung von willkürlichen Daten verheerende Folgen haben kann. So kann jemand, der sein Smartphone ganz hinunterfährt, als kreditunwürdig eingestuft werden, bis er es wieder auflädt. Das verstärkt das Brave-New-World-Feeling gegenüber der KI.
Das verstärkt auch das Misstrauen, ganz klar. Deshalb sind die Technologie-Konzerne in der Pflicht, mit ethischen Regeln das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Es muss klarer definiert werden, wem die persönlichen Daten gehören, und zwar in den nächsten zwei bis drei Jahren. Schliesslich wollen wir keine Verhältnisse wie bei den Chinesen und deren sozialen Punktesystemen. Das ist eines demokratischen Systems wie bei uns oder den USA nicht würdig.
Zumindest so lange diese Systeme noch demokratisch sind.
Die Bewahrung der Demokratie muss unser oberstes Ziel bleiben. Es darf auf keinen Fall durch die KI unterwandert werden.
Kehren wir zum Finanzsystem zurück. KI kann selbstständig eigene Lösungen entwickeln. Was, wenn die KI eine eigene Währung schafft?
In dieser Frage überschätzt man die Fähigkeiten der KI. Das aktuelle Finanzsystem mit seinen Zentralbanken lässt sich nicht so leicht aushebeln. Deshalb lässt man auch die Krypto-Währungen zu, solange sie ein gewisses Volumen nicht überschreiten.
Die Kryptos erleben einen Boom. Es gibt bereits die Forderung, die Zentralbanken sollten Bitcoins als Reserve-Währung halten. Derweil wollen die BRICS-Staaten eine Alternative zum Dollar schaffen. Kann die KI unter solchen Umständen nicht ein beträchtliches Chaos anrichten?
Im Gegenteil, ich glaube, dass wir dank der KI mehr Transparenz ins Finanzsystem bringen und dass die noch teilweise intransparenten Seiten der Krypto-Währungen ans Licht gebracht werden. Dass KI eine eigene Währung schaffen wird, halte ich für unwahrscheinlich.
Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ist ein treuer Begleiter der KI. Wenn immer mehr Finanztransaktionen von der KI abgewickelt werden, braucht es Sie dann noch?
Aktuell werden die meisten Arbeitsplätze in der IT-Branche vernichtet. In der Software-Branche spürt man allmählich, dass sich die KI selbst programmiert. Ironischerweise werden ausgerechnet diejenigen, die es erfunden haben, jetzt von der KI bedroht. Doch es entstehen gleichzeitig auch neue Opportunitäten.
Wie sieht die Situation bei den Banken aus?
Seit den neunziger Jahren, zu Beginn meiner Karriere, höre ich, dass tausende von Arbeitsplätzen bei den Banken abgebaut werden. Das ist auch eingetroffen, und das wird auch weitergehen. Doch die Ängste sind übertrieben. Dass administrative Arbeiten zunehmend von KI übernommen werden, finde ich positiv. So wird Platz geschaffen für mehr Kreativität.
Die Reichtums-Schere ist heute ein grosses Problem. Wird KI die Differenz zwischen Arm und Reich noch vergrössern?
Global betrachtet sollte die KI den ärmsten Ländern zugutekommen, denn die Technologie ist bezahlbar und kann angewendet werden, um den Zugang zu Wasser und Nahrung zu optimieren. Das sogenannte Ressourcen-Management, das sehr wichtig ist, wird dank KI verbessert.
Und bei den entwickelten Ländern wie der Schweiz? Wird die KI zu einer neuen Elite führen?
Die Schweiz steht punkto KI gut da. Dank stabilen politischen Verhältnissen und guten Hochschulen ziehen wir viele junge Talente an. Daher bin ich sehr zuversichtlich, dass wir den Wandel, den die KI verursachen wird, nicht nur bewältigen, sondern auf diesem Gebiet führend sein werden. Das wird neuen Wohlstand und neue Lebensqualität schaffen. Zudem entsteht so auch die Möglichkeit, dass wir durch die Produktivitätssteigerung die Arbeitszeit verkürzen können und damit neue Chancen für Bildung und Weiterentwicklung entstehen.
Die Angst, dass wir, was die KI betrifft, von den USA und China abgehängt werden, ist somit unbegründet?
Ja. Ich sehe ja, wie viel wir in die KI und die Ausbildung investieren. Die Schweizer Wirtschaft ist gut vorbereitet auf die Herausforderung der KI. Wobei die Anwendung in der Wirtschaft sich heute noch auf einem bescheidenen Level befindet. Wir sprechen von sechs Prozent der Unternehmen, die aktiv KI anwenden. Dieser Anteil wächst, und zwar rasant, aber wir befinden uns immer noch am Anfang der Entwicklung.
An den Aktienbörsen sind die Papiere von KI-Unternehmen dominant. Die Kurse von Nvidia, Palantir und anderen sind explodiert. Ist das nachhaltig?
Es wird massiv in die KI investiert. Das zeigt, dass wir nicht von einem kurzfristigen Hype sprechen, wie dies beispielsweise beim 3D-Printing der Fall war. Ich würde die heutige Situation mit derjenigen vergleichen, als der erste Internet-Browser erfunden wurde. Damit wurde das Internet von einem E-Mail-System zu dem, was es heute ist. So gesehen halte ich die Bewertungen für die meisten KI-Unternehmen für sportlich, aber nicht übertrieben.
Sprechen wir noch von KI und Ökologie. Von der KI erhofft man sich die Lösung der Umweltprobleme, doch derzeit schafft sie wegen ihres Energieverbrauchs vor allem ein Umweltproblem.
Dieses Thema wird uns 2025 noch stark beschäftigen. Alle Datenzentren, die jetzt gebaut werden, müssen zunächst einmal mit elektrischer Energie beliefert werden, und werden den Stromverbrauch ansteigen lassen. In einem zweiten Schritt sollte sich die Technologie jedoch selbst verbessern. Dazu kommt, dass auch die Entwicklung von nachhaltiger Energie Fortschritte machen wird.