Viele sprechen von einer Zeitenwende, BlackRock-CEO Larry Fink gar vom Ende der Globalisierung. Wie beurteilen Sie Putins Krieg und seine Folgen?
Wir haben ein Szenario für die nächsten zehn Jahre entworfen. Darin gehen wir nicht von einem Ende der Globalisierung aus, sondern von einer neuen Regionalisierung. Das bedeutet konkret, dass sich Länder mit gemeinsamen Interessen zu neuen Blöcken zusammenschliessen werden.
Was sind die Folgen einer solchen Blockbildung?
Eines der Probleme besteht darin, dass innerhalb dieser Blöcke die Inflationsgefahr zunehmen wird.
Inflation, und wie man sie bekämpfen soll, ist derzeit das dringendste makro-ökonomische Problem. Wie sehen Sie das?
Bis zum Ausbruch der Krise in der Ukraine bestand die Chance, dass sich die Inflation im Laufe dieses Jahr abschwächt. Putins Krieg könnte nun dazu führen, dass wir eine Inflationsrate von vier Prozent in den nächsten drei Jahre erleben, zumal die Zentralbanken bisher noch nicht energisch dagegen vorgehen.
Auch bei uns in der Schweiz?
Nein, vor allem in den USA. Wir sind wegen des starken Frankens zumindest teilweise geschützt.
Wie stark müssen die Zentralbanken auf die Bremse stehen, will heissen, die Leitzinsen erhöhen, damit die Inflation nicht ausser Kontrolle gerät? Und riskieren die Zentralbanken damit nicht, dass die Weltwirtschaft in eine Rezession gerät?
Wir gehen davon aus, dass die Zentralbanken keine neue Rezession riskieren wollen. Aber sie werden nahe ans Limit gehen, denn die einzige Möglichkeit, die strukturelle Inflation nachhaltig zu bekämpfen, besteht tatsächlich darin, eine künstliche Rezession hervorzurufen. Deshalb hat die Europäische Zentralbank (EZB) in den letzten zwei Wochen deutlich aggressivere Töne angeschlagen. Sie sehen die Krise in der Ukraine als einen Game Changer, zumindest was die Inflation betrifft. Auch die US- Zentralbank, die Fed, wird angesichts einer aktuellen Inflationsrate von rund acht Prozent härter vorgehen müssen.
Und was ist mit dem Wirtschaftswachstum?
Der Rohstoff-Schock könnte uns rund zwei Prozent des Wachstums der Weltwirtschaft kosten.
Das ist sehr pessimistisch. Die OECD beispielsweise geht vorläufig noch von der Hälfe aus. Andererseits befürchtet der ehemalige US-Finanzminister Lawrence Summers bereits eine Stagflation, ein stagnierendes Wachstum bei gleichzeitiger Inflation. Teilen Sie diese Befürchtung?
Wir unterscheiden zwischen einem Stagflations-Schock und einer kontinuierlichen Stagflation. Was wir derzeit erleben, ist ein Stagflations-Schock. Eine ausgewachsene Stagflation wie in den Siebzigerjahren sehen wir nicht; und wir halten es für wenig wahrscheinlich, dass sie eintreffen wird.
Warum nicht?
Die Löhne können derzeit mit der Inflation noch nicht mithalten. Das ist jedoch die Voraussetzung für eine Stagflation.
Russland und die Ukraine bestreiten zusammen bloss rund zwei Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Wie ist es möglich, dass Putins-Krieg einen solchen Stagflations-Schock auslösen kann?
Weil die Energiepreise explodiert sind. Sobald dies der Fall ist, greift die Teuerung auf andere Gebiete über. Dazu kommt, dass auch die Preise für die meisten anderen Rohstoffe in die Höhe geschossen sind. Wir sprechen daher von einem Rohstoff-Schock, und dieser betrifft alle, Konsumenten und Unternehmer.
Dank Corona hatten wir einen Lieferketten-Schock. Nun kommt ein Rohstoff-Schock dazu. Befeuern sich die beiden gegenseitig?
Corona hat die Inflation befeuert, weil die Menschen viel Geld gespart haben und es dann plötzlich ausgeben wollten. Es war also streng genommen gar kein Lieferketten-Schock.
Der Ketchup-Flaschen-Effekt, gewissermassen.
Richtig. Gleichzeitig mussten die Staaten ihre Ausgaben massiv erhöhen. Können Sie sich noch an die Maastricht-Limits erinnern? In den letzten Jahre sind sie im Westen rund achtmal hintereinander überschritten worden. China hat sich besser geschlagen. Deshalb liegt die chinesische Inflation aktuell bloss bei 1,5 Prozentpunkten. Das zeigt, dass bei uns die Inflation nicht wegen der Lieferketten befeuert wurde, sondern wegen der plötzlich auftretenden, massiven Nachfrage.
Und was ist mit dem Rohstoff-Schock?
Das ist tatsächlich ein Angebots-Schock. Wir können somit sagen, die Hälfte der Inflation stammt von einem Nachfrage-, die andere von einem Angebots-Schock.
Sie erwähnen China. Wird Putins-Krieg dazu führen, dass auch China vermehrt vom Welthandel abgeschnitten wird?
China hat derzeit grosse eigene Probleme, vor allem im Immobilienmarkt und im Nachlassen der Binnennachfrage.
Rein wirtschaftlich gesehen kann China somit kein Interesse an Putins Krieg haben.
Das sehe ich auch so. Ich bin kein Experte für Geopolitik. Aber von den Märkten aus betrachtet trifft dies sicher zu.
Aus der Markt-Perspektive betrachtet, wie sieht die Lage der Weltwirtschaft derzeit aus?
Die Weltwirtschaft wird von drei Motoren angetrieben: Die USA, Europa und China. Europas Wirtschaft ist seit einiger Zeit stark, dürfte sich aber im kommenden Quartal abschwächen. Die amerikanische wird nun durch Inflation zurückgebunden. China steckt jetzt ebenfalls in Schwierigkeiten. Das dämmert nun auch den Investoren. Die Kurse an den Aktienmärkten beginnen zu sinken.
Wird dieser Sinkflug weiter anhalten?
Wir befürchten, ja. Deshalb sind in Inflation abgesicherte Obligationen und Rohstoffe interessant. Gleichzeitig haben wir unsere Cash-Positionen erhöht.
Ältere Menschen schwören immer noch auf Gold. Zu Recht?
Gold ist zwar ein guter Schutz gegen die Inflation. Doch in den kommenden Jahren werden die Leitzinsen steigen, und steigende Leitzinsen sind der grösste Feind des Goldes. Gold mag daher auf den ersten Blick attraktiv erscheinen, auf den zweiten weniger.
Der Energie-Schock wird dazu führen, dass die Inventionen in nachhaltige Energie nochmals zunehmen. Wird Putins-Krieg damit indirekt zu einem Booster für einen Green New Deal?
Aus unserer Sicht wird der Energie-Schock bleiben, selbst wenn es zu einem raschen Ende dieses schrecklichen Krieges kommen sollte. Das bedeutet auch, dass auch die Inflation bis auf Weiteres bleiben wird; und das wiederum bedeutet, dass die Gefahr besteht, dass die Zentralbanken zu hart auf die Bremsen steigen und eine Rezession hervorrufen. Die Zentralbanken bewegen sich derzeit auf einem sehr schmalen Grat.
Was kann der Staat tun, um eine solche Entwicklung zu verhindern?
Wir gehen davon aus, dass Europa nochmals ein Hilfspaket in der Höhe von rund 550 Milliarden Euro schnüren muss, um eine schwerwiegende Krise zu verhindern.
Das ist beinahe so hoch wie das Covid-Hilfspaket, das 700 Milliarden Euro beträgt.
Ja, und das kann zum Problem werden. Die Konsumenten gewöhnen sich daran, dass sie einen Scheck erhalten, um den durch die Inflation verursachten Schaden auszugleichen. Das wäre dann tatsächlich ein Rückfall in die Siebzigerjahre. Deshalb muss die Regierung sagen: Okay, wir schicken euch einen Scheck – aber nur ein einziges Mal.
Wie lange werden wir noch unter den beiden Schocks leiden?
Ich fürchte, das Schlimmste steht uns noch bevor. Es gibt eine Regel des amerikanischen Ökonomen James Hamilton, die besagt: Nicht alle Rezessionen sind von steigenden Ölpreisen verursacht worden, aber in allen Rezessionen sind die Ölpreise gestiegen. Wir befinden uns derzeit in einem Zyklus, in dem zuerst die Inflation ansteigt, und dann das Wirtschaftswachstum abflacht.
Das Corona-Hilfspaket wurde erstmals mit Eurobonds finanziert, auch wenn sie nicht so genannt werden dürfen. Wird auch ein Energieschock-Hilfspaket, sollte es dazu kommen, wieder auf diese Weise finanziert werden? Und bedeutet dies, dass Eurobonds gewissermassen durch die Hintertür zum Normalfall werden?
Vorläufig sind es noch die einzelnen Länder – vor allem Frankreich und Italien –, die über solche Hilfspakete nachdenken. Doch sollte sich die Situation verschlimmern, dann besteht diese Option durchaus.
Schweisst Putins Krieg Europa somit nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich zusammen?
Dieses Szenario gewinnt tatsächlich an Momentum.
«Investieren, wenn die Kanonen donnern,» lautet eine alte Börsenweisheit. Ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man ihn befolgen sollte?
Nein. Im laufenden Jahr dürfte die Volatilität an den Märkten noch zulegen. Der Rohstoff-Schock wird noch länger anhalten. Wie lange, ist derzeit schwierig abzuschätzen. Spätestens Ende April werden jedoch neue Daten zur Verfügung stehen. Dann werden wir weiter sehen.
Also verkaufen, weil wir am Abgrund einer Rezession stehen?
Das sehen wir im Moment auch nicht, deshalb verkaufen wir auch keine Aktien.
Insofern habe ich mir angewöhnt, Aussagen von Ökonomen einfach zu ignorieren.