Künftige Studienabgängerinnen rechnen mit tieferen Löhnen im Erwerbsleben als ihre männlichen Kommilitonen. Das zeigt eine Umfrage unter fast 900 Studierendem der Uni Freiburg und Berner Fachhochschule.
Demnach gaben die Männer einen um 9.7 Prozent höheren Lohn als Frauen an, den sie direkt nach Studienabschluss erwarten. Drei Jahre danach betrug der geschlechtsspezifische Unterschied sogar 11.6 Prozent. Das berichtet ein Team um die Wirtschaftswissenschaftlerin Ana Fernandes von der Uni Freiburg und der Berner Fachhochschule im Fachmagazin «Plos One».
Ausserdem legte die Untersuchung dar, dass sowohl die Studenten wie auch die Studentinnen ihre Lohnchancen zu optimistisch einschätzten: Ihre erwarteten Löhne lagen um 13 sowie 11.2 Prozent höher, als Absolventinnen und Absolventen mit vergleichbarer Ausbildung verdienen. Das Skurrile: Nachdem die Studienteilnehmenden über die tatsächlichen Löhne auf dem Arbeitsmarkt aufgeklärt wurden, erhöhten die Männer ihren Lohnwunsch sogar noch, während die Frauen ihre Gehaltserwartungen herunterschraubten.
Letzteres sei keine Überraschung, sagte Fernandes im Gespräch mit Keystone-SDA. Die Evidenz in der Forschung weise immer stärker darauf hin, dass sich Männer im Vergleich zu Frauen überschätzen würden.
Dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt weniger verdienen, ist gut dokumentiert. Ein Teil der Lohnunterschiede lässt sich etwa durch die Stellenwahl, Ausbildung oder Dienstjahre erklären. Gemäss dem Bundesamt für Statistik (BFS) liessen sich jedoch 45.4 Prozent des Lohnunterschieds im Jahr 2018 nicht erklären.
Wie sich die Erwartung an den Lohn unterscheiden, untersuchten die Forschenden nun, indem sie 865 Wirtschaftsstudierende befragten. Neben den Lohnvorstellungen erfasste das Team unter anderem ihre Berufsvorstellungen, also beispielsweise welchen Beruf sie anstreben und ob sie Wettbewerb unter Arbeitskollegen schätzen würden. Zudem wurden sie nach ihren Vorstellungen abseits des Arbeitsplatz befragt - ob sie sich etwa eine eigene Familie wünschten und als Eltern Voll- oder Teilzeit arbeiten möchten.
Indem die Forschenden die Informationen zu den Karrierezielen in ihre statistischen Analysen einfliessen liessen, reduzierte sich der geschlechtsspezifische Unterschied um rund die Hälfte. Wenn zudem die Faktoren zum Privatleben einbezogen wurden, waren die Unterschiede in den meisten statistischen Modellen nicht mehr statistisch signifikant. Fernandes' Ansicht nach sind die Resultate im Grossen und Ganzen repräsentativ für alle Studierenden, die einen akademischen Abschluss in Natur- und Sozialwissenschaften anstreben.
«Ich zweifle, ob es eine gute Idee wäre, die Werte und Vorlieben der Frauen zu ändern, um die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede auszuräumen», sagte die Forscherin. Viel wichtiger sei es, ihr Selbstvertrauen als Teil der Schulbildung zu stärken.
«Wir sollten Mädchen früh beibringen, dass Wettbewerbsfreudigkeit, die beim männlichen Geschlecht stärker ausgeprägt ist, nichts damit zu tun hat, ob man einer Aufgabe gewachsen ist oder nicht», betonte Fernandes. Wenn sich junge Frauen dem nämlich bewusst seien, würden sie unter Umständen auch eher auf Jobs mit viel Verantwortung abzielen und vor einem kompetitiven Umfeld nicht zurückschrecken. Dadurch würden junge Frauen auch ihre Lohnvorstellungen selbstbewusst nach oben schrauben. (aeg/sda)